Eingefroren im Packeis: Fridtjof Nansen

Der Norweger will bis zum Nordpol - sei es zu Schiff oder zu Fuß. 15 Monate ist er verschollen – doch dann taucht er wieder auf.

Von National Geographic
bilder von National Library of Norway / L. Szacinski
Fridtjof Nansen 1889
Foto von National Library of Norway / L. Szacinski

Fridtjof Nansen 1889

Norwegen, Land der Berge, der Küsten und des Schnees. Ein bestimmter Männertyp wird dort Seemann, ein anderer Skiläufer. Manche verbinden beides miteinander – ein Beispiel ist Roald Amundsen, ein zweites Fridtjof Nansen.

Nansen studiert in Oslo Zoologie. 1882 fährt er das erste Mal in die Arktis. Auf einem Schiff norwegischer Robbenjäger gelangt er an die Ostküste Grönlands. Sie ist unzugänglich, unbewohnt. Nansen bestaunt die Berge und die Gletscher dahinter. 24 Tage sitzt er mit den Seeleuten im Packeis fest. Aber seiner Begeisterung für die Arktis tut das keinen Abbruch. «Diese ganze unbekannte Welt zog meine junge Seele zu sich hin und lockte», schreibt Fridtjof Nansen später. Er fasst den Plan, irgendwann ins Innere der Insel vorzudringen.

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Von 1882 bis 1886 arbeitet Nansen als Kurator am Naturhistorischen Museum in Bergen, verdient sich erste wissenschaftliche Lorbeeren. 1887 stellt Fridtjof Nansen dem akademischen Kollegium seine Idee vor, im nächsten Sommer Grönland zu durchqueren. Sie halten Nansen für verrückt, keiner hat den Weg durchs Eis bisher geschafft. Es ist so gut wie gar nichts über das Innere Grönlands bekannt. Doch Nansen hat Glück und findet einen Förderer. Etatrat Augustin Gamél stellt ihm 5000 Kronen zur Verfügung.

Die „Fram", Nansens Forschungsschiff, war so gebaut, dass sie dem Druck des Packeises standhalten konnte. Und an Bord gab es sogar Strom - erzeugt durch Windturbinen.

Im Juli 1888 erreicht der angehende Arktisforscher mit fünf Begleitern – darunter Otto Sverdrup und zwei Samen – den Sermilik-Fjord an Grönlands Ostküste. Von Umiivik brechen sie am 17. August ins Binneneis auf. Nansens Parole lautet: «Die Westküste oder der Tod!» Der Schnee ist locker, sie müssen tückische Spalten queren. Schneebrücken brechen ein, vor dem Absturz ins Nichts bewahrt nur ein horizontal gehaltener Skistock. Nansen und Sverdrup seilen sich wie Bergsteiger aneinander. Auf dem Plateau reisen sie nachts, dann ist es kälter, Schlitten und Skier gleiten besser. Sie schlafen tags – drei Männer in einem einzigen Schlafsack, so müssen sie weniger Gepäck transportieren. An manchen Tagen legen sie nur sieben Kilometer zurück. Wenn es zum Beispiel schneit, bremst die Unterlage. An anderen Tagen liegen spiegelglatte Eisflächen vor ihnen, und sie kommen gut voran. Manchmal wird ihr Weg von Mond und Nordlicht beleuchtet, für Nansen eine «Schönheitsoffenbarung».

Die Eisfläche steigt immer höher an. Die Kälte nimmt zu, einmal sind es minus 40 Grad im Zelt. Sie erreichen den höchsten Punkt ihrer Tour, 2716 Meter. Von da ab neigt sich das Land nach Westen. Sie setzen Segel über den Schlitten auf, nun jagen sie mit Windunterstützung dahin. Am 26. September erreichen sie die Westküste und steigen hinab zum Ameralik-Fjord. Nansen hat damit als Erster das grönländische Binneneis durchquert. In 40 Tagen haben er und seine Männer 560 Kilometer zurückgelegt. Sie berichten, dass Grönland unter einem geschlossenen Eisschild liegt. Das letzte Schiff nach Europa vor dem Winter ist allerdings längst abgefahren. Die Expedition überwintert vor Ort. Nansen studiert die Bräuche der Eskimos, lernt ihre Sprache, wird ein Buch darüber schreiben.

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BELIEBT

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    Fridtjof Nansen hat sich durch seine Leistung in die erste Riege der Arktisforscher gestellt. Doch auch sein nächstes Vorhaben halten alle erst einmal wieder für verrückt. Nansen hat einen Bericht gehört, dass Wrackteile der 1881 vor den Neusibirischen Inseln gesunkenen „Jeanette“ vor der Südwestküste Grönlands aufgetaucht sind. Es muss also eine Strömung geben, die von Ostsibirien über das Nordpolarmeer – vielleicht sogar den Pol – nach Grönland führt. Dann müsste man sich eigentlich mit einem Schiff vor Sibirien im Packeis einfrieren und durch die Eisdrift nach Norden tragen lassen können...

    Noch weiß man fast nichts über das innere Polarmeer. Manche Wissenschaftler vermuten am Nordpol Land, andere ein flaches Meer. Die norwegische Regierung sagt schließlich Mittel zu, um diese Fragen zu klären. Nansen bereitet das Unternehmen drei Jahre lang vor, lässt nach seinen Vorstellungen ein eistaugliches Schiff bauen. Er wählt zwölf Begleiter aus, die meteorologische, astronomische und magnetische Beobachtungen durchführen sollen. Fridtjof Nansen selber wird die Wassertemperatur messen und die Meeresströmungen erforschen.

    Im Juni 1893 stechen sie in See. Sie fahren am Nordkap vorbei in die Jugorstraße. Dort nehmen sie 30 ostjakische Schlittenhunde an Bord. Sie gelangen in die Karasee. Entlang der sibirischen Küste umfahren sie die Samojeden- (Jamal-), dann die Taimyr-Halbinsel. Am Kap Tscheljuskin erreichen sie den nördlichsten Punkt des asiatischen Festlands. Westlich der Belkowski-Insel nehmen sie Kurs auf das Eismeer – und frieren im September planmäßig im Packeis ein.

    Doch die Driftfahrt verläuft anders als erhofft. Es geht mal vorwärts, mal rückwärts, mal seitwärts. «Wie wir umhertaumeln, ist grässlich», schreibt Nansen. Die Schollen krachen gegeneinander, das Eis stöhnt. Die Männer können sich manchmal nur brüllend verständigen, so laut ist es draußen. Aber die „Fram“ hält der weißen Macht stand. Am 26. Oktober verschwindet die Sonne. Im Dezember lassen sie die Lotleine ins Meer. Sie ist 2100 Meter lang und erreicht keinen Grund, flach kann das Polarmeer also nicht sein. Im Februar 1894 erreicht das Schiff zum ersten Mal 80 Grad nördliche Breite – das wird gefeiert.

    Die Sonne kehrt zurück. Ein neuerliches Loten – die Leine erreicht auch bei 3475 Meter keinen Grund. Und noch etwas überrascht: In den mittleren Tiefen hat das Wasser Plusgrade, der Golfstrom scheint bis ins sibirische Polarmeer zu reichen. Im Juni sind die Norweger bei 81 Grad 52 Minuten. Es geht nur langsam nach Norden, dafür stetig nach Westen. Der zweite Winter im Eis steht bevor. Nansen fasst den Plan, im Frühjahr zu Fuß zum Pol aufzubrechen. Er wählt Hjalmar Johansen zum Begleiter.

    Am 14. März 1895 brechen sie mit drei Schlitten, zwei Kajaks und 28 Hunden auf. Es ist noch früh im Jahr, fast zu früh. Die Hunde frieren nachts, die Männer können vor Kälte nicht schlafen. Es gibt Probleme mit den Schlitten und mit den Skiern. Doch sie kämpfen, quälen sich Schritt für Schritt über Eisrücken und Spalten. Die weiße Fläche, auf der sie laufen, driftet jedoch nach Süden – in die entgegengesetzte Richtung. Sie laufen gegen die Strömung und erreichen dennoch am 8. April 86 Grad. Nur 368 Kilometer sind sie noch vom Pol entfernt, weiter nördlich hat es noch niemand vor ihnen geschafft. Nun aber machen die Bedingungen ein weiteres Vordringen unmöglich.

    Und jetzt? Die „Fram“ werden sie nicht wieder finden, sie hat sich inzwischen mit der Drift weit entfernt. Die Männer marschieren nach Westsüdwest. Knapp vier Monate später sichten sie die Inseln von Franz-Joseph-Land. Sie bauen sich eine Hütte aus Steinen, Moos und Treibholz, jagen Eisbären und Walrösser. So überwintern sie von August 1895 bis Mai 1896. Dann ziehen sie an der Ostseite des zugefrorenen Britannienkanals entlang, erreichen den Südrand der Inselgruppe – und treffen, man glaubt es kaum, auf andere Menschen. Der britische Polarforscher Frederick George Jackson hat dort das Hauptlager seiner Expedition aufgeschlagen. Auf seinem Dampfer erreichen Nansen und Johansen am 13. August den Hafen von Vardø in Norwegen. Eine Woche später kommt auch die „Fram“ zurück. Die Drift hat sie in einem weiten Bogen um Franz-Joseph-Land und Spitzbergen getragen, bevor Kapitän Sverdrup sie aus dem Eis befreien konnte.

    Eine der unglaublichsten Expeditionen in der Geschichte der Arktis ist nach mehr als 1000 Tagen im Eis zu einem glücklichen Ende gekommen. Nansen reist danach nie wieder ins Eis.

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    Ernest Shackleton

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