Geklont ins Leben zurück

Eine ausgestorbene Art auferstehen zu lassen ist keine Science-Fiction mehr. Aber ist es eine gute Idee?

Von Carl Zimmer
Foto von Robb Kendrick

Am 30. Juli 2003 drehten Forscher die Zeit zurück. Sie ließen erstmals eine ausgestorbene Tierart auferstehen – und mussten hilflos zusehen, wie sie gleich wieder starb.

Bei dem Tier handelte es sich um den Pyrenäensteinbock: Capra pyrenaica pyrenaica. Er war eine prächtige Kreatur, die Böcke dieser wilden Bergziegenart hatten lange, sanft geschwungene Hörner und wogen bis zu hundert Kilo. Tausende von Jahren lebte das Tier – von den Einheimischen bucardo genannt – hoch oben in den Pyrenäen, dem Gebirgszug zwischen Frankreich und Spanien, kletterte über Felsen, knabberte Blätter und Stängel und überstand auch raue Winter. So lange, bis Menschen begannen, den bucardo mit Gewehren zu jagen

Das Ende kam rasch. Spanische Biologen zählten im Jahr 1989 die überlebenden Pyrenäensteinböcke und stellten fest: Es waren gerade mal etwa ein Dutzend. 1999 lebte nur noch ein einziges Tier dieser Art, eine Geiß. Die Wissenschaftler nannten sie „Celia“. Mitarbeiter des Ordesa-Nationalparks unter der Leitung von Wildtierarzt Alberto Fernández-Arias fingen sie ein, legten ihr ein Halsband mit Peilsender an und ließen sie wieder frei. Neun Monate später empfingen die Wildhüter nur noch einen langen, gleichmäßigen Piepton, das Zeichen dafür, dass „Celia“ nicht mehr lebte. Man fand sie erschlagen unter einem umgestürzten Baum.

Mit ihrem Tod galt der Pyrenäensteinbock offiziell als ausgestorben. Aber einige von „Celias“ Zellen lebten weiter, aufbewahrt in Labors in Saragossa und Madrid. In den folgenden Jahren schleuste José Folch, ein Experte für Fortpflanzung, Kerne aus diesen Zellen in die Eizellen von Hausziegen ein und implantierte diese Klone in Leihmütter. Nach 57 Versuchen waren sieben Ziegen trächtig geworden, bei sechs endete das Experiment allerdings mit einer Fehlgeburt. Nur ein Muttertier – eine Kreuzung aus einem Spanischen Stein- bock und einer Hausziege – trug einen von „Celias“ Klonen aus. Folch und seine Kollegen brachten ihn per Kaiserschnitt zur Welt.

Das bucardo-Kitz wog etwa zwei Kilo. Es sah äußerlich gesund aus, rang aber heftig um Atem. Trotz aller Bemühungen der menschlichen Geburtshelfer starb es nach zehn Minuten. Bei der Obduktion stellten die Forscher fest, dass ein Lungenflügel missgebildet war. Er hatte einen riesigen zusätzlichen Lappen entwickelt, kompakt wie ein Stück Leber. Niemand hätte etwas tun können, der einzige geburtsreife Klon „Celias“ war nicht lebensfähig gewesen.

Der Pyrenäensteinbock ist nur eine von vielen Arten auf der Liste der Tiere, die der Mensch ausgerottet hat, manchmal absichtlich. Die Dronte zählt dazu, der Riesenalk, der Beutelwolf, der Chinesische Flussdelfin, die Wandertaube, der Kaiserspecht. Und da heute viele Arten gefährdet sind, wird die Liste wohl noch länger werden. Einer, der sich damit nicht abfinden mag, ist Alberto Fernández­Arias. Trotz des Fehlschlags mit „Celia“ gehört er zu den Forschern, die über­ zeugt sind, dass ausgestorbene Arten durch Klonen zu neuem Leben erweckt werden können.

Premiere: Im vergangen Herbst trafen sich zum ersten Mal in der Geschichte Genetiker, Wildtierbiologen, Naturschützer und Ethiker in Washington, um über die Möglichkeit der Wiedererweckung ausgestorbener Arten zu diskutieren.

Diese Möglichkeit beschäftigt viele Menschen, spätestens seit der amerikanische Romanautor Michael Crichton vor nun 30 Jahren in seinem Weltbestseller „Jurassic Park“ geklonte Dinosaurier auf ein zahlendes Publikum losgelassen hat. Lange war es eine Idee an der Grenze zwischen Realität und Science­Fiction. Doch „Celias“ Klon könnte der entscheidende Schritt in die Welt des Machbaren gewesen sein. Seit Fernández­Arias vor zehn Jahren das neugeborene Klonkitz in seinen Armen hielt und den minutenlangen Kampf ums Leben spürte, verfolgt er ungeduldig die Fortschritte bei den Versuchen, eine von Menschen ausgerottete Tierart wieder ins Leben zurückzuholen. Heute ist er überzeugt: «Wir sind bald so weit.»

Vergangenen Herbst traf ich Fernández­Arias auf einer wissenschaftlichen Tagung im Hauptsitz der National Geographic Society in Washington, D. C.. Zum ersten Mal in der Geschichte versammelten sich dort Genetiker, Wildtierbiologen, Naturschützer und Ethiker, um über die Möglichkeit der Wiedererweckung ausgestorbener Arten zu diskutieren. In Fachkreisen spricht man auch von „de­extinction“ oder vom Lazarus­Projekt – nach dem Mann, den der Jesus der biblischen Erzählung vom Tod ins Leben zurückrief

Kann man es tun? Und wenn man es kann: Soll und darf man es tun? Die Forscher berichteten einander mehrere Tage lang über erstaunliche Fortschritte beim Umgang mit Stammzellen, bei der Wiederherstellung alter DNA, bei der Rekonstruktion ganzer Genome. Im Laufe der Tagung wuchs die Aufregung, genauso wie die Überzeugung: Ja, es ist machbar!

«Die Methode ist schon viel weiter und viel schneller fortgeschritten, als wir uns je vorgestellt hatten», sagt Ross MacPhee, ein Säugetierexperte am Naturhistorischen Museum in New York. «Es ist jetzt höchste Zeit, dass wir uns ernsthaft die Frage stellen: Warum überhaupt sollten wir es tun wollen?»

Im Roman „Jurassic Parkwerden Dinosaurier wiederbelebt, weil sich jemand von einem Saurierpark ein großes Geschäft verspricht. Das Experiment geht katastrophal schief, aber die Menschen, die deswegen skeptisch auf solche Versuche schauen, vergessen, dass es sich bei „Jurassic Park“ um pure Phantasie handelt.

Dinosaurier sind seit 65 Millionen Jahren ausgestorben, es gibt von ihnen keine intakten Zellen mehr und auch keine Hoffnung, verwertbare DNA zu finden, aus denen man ihr Erbgut rekonstruieren könnte. Einen Tyrannosaurus rex oder einen Velociraptor wird niemand mehr auf die Welt zurückholen.

Die Arten aber, um die es heute geht, wurden erst vor wenigen Jahren oder Jahrtausenden ausgerottet. Von ihnen sind in Museen und naturwissenschaftlichen Sammlungen genug intakte Zellen oder Erbmaterial erhalten, aus denen man ihren genetischen Bauplan wiederherstellen kann. Und ist die Tatsache, dass es oft der Mensch war, der die Tiere auslöschte – indem er sie jagte, ihre Lebensräume zerstörte und Krankheiten verbreitete –, nicht Grund genug, sie zurückzuholen?

«Ich meine, wir sind verpflichtet, es zu versuchen», sagt Michael Archer, ein Paläogenetiker an der Universität von New South Wales. Er kennt natürlich das Argument, die Wiederbelebung einer nicht mehr existierenden Art bedeute, Gott zu spielen. Seine Antwort lautet: «Ich finde, wir haben Gott gespielt, als wir diese Tiere vernichtet haben.»

Andere Wissenschaftler denken weniger philosophisch, sie verweisen ganz pragmatisch auf den Nutzen mancher wiederbelebten Arten. Die meisten pharmazeutischen Präparate zum Bei­ spiel sind ursprünglich nicht in Labors entwickelt worden. Man hat sie in wilden Pflanzen­ und Tierarten gefunden, von denen manche inzwischen ausgerottet sind oder kurz davorstehen.

Andere ausgestorbene Tierarten haben dazu beigetragen, ganze Ökosysteme zu erhalten. Die Mammuts etwa, die vor 12000 Jahren in Sibirien lebten. Damals war die Landschaft keine mit Moosen überwucherte Tundra, sondern gras- bewachsene Steppe. Sergej Simow, ein russischer Ökologe und Direktor einer Forschungsstation in der Republik Sacha, behauptet seit langem, das sei kein Zufall: Die Mammuts und zahlreiche andere Pflanzenfresser hätten das Grasland erhalten, indem sie den Boden aufbrachen und mit ihrem Dung fruchtbar machten. Als sie verschwunden waren – verdrängt vom Klimawandel, gejagt vom Menschen –, gewannen Moose die Oberhand und verwandelten das Grasland in weniger fruchtbare Tundra.

In einem groß angelegten Experiment versucht Simow seit einiger Zeit, die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Er siedelt Pferde, Moschusochsen und andere große Säugetiere in einer sibirischen Region an, die er Pleistozän-Park nennt. Er wäre froh, dort auch wieder Wollhaarmammuts beobachten zu können. «Dieses Glück werden aber wohl erst meine Enkel haben», sagt er. «Mammuts pflanzen sich ja nur sehr langsam fort. Da braucht man schon einige Jahrzehnte Geduld.» Immerhin: Die Fortschritte der Biotechnik nähren seinen Optimismus.

Als Fernández-Arias vor zehn Jahren versuchte, den Pyrenäensteinbock zu klonen, hatte er, im Nachhinein gesehen, nur ein sehr grobes Instrumentarium zur Verfügung. Erst sieben Jahre zuvor war das Schaf „Dolly“, das erste geklonte Säugetier, zur Welt gekommen. Damals klonten Wissenschaftler ein Tier, indem sie ihm eine Zelle entnahmen und deren DNA in eine Eizelle pflanzten, aus der das eigene genetische Material entfernt worden war. Per Elektroschock setzten sie die Zellteilung in Gang, danach wurde der Embryo einer Leihmutter eingepflanzt. Fast alle Experimente misslangen, die meisten Tiere, die geboren wurden, waren krank. Auch „Dolly“ musste bereits im Alter von sechs Jahren eingeschläfert werden, obwohl Schafe sonst doppelt so alt werden können. Sie litt an den Folgen einer Virusinfektion, zeigte aber auch unübersehbare Alterserscheinungen. Bis heute ist nicht geklärt, ob die Ursache dafür war, dass man „Dolly“ aus den Zellen eines bereits ausgewachsenen Schafs geklont hatte – aus Zellen also, die altersbedingt bereits vorgeschädigt gewesen sein könnten.

Inzwischen aber haben Wissenschaftler das Klonen zum Alltagsgeschäft gemacht. Die Liste geklonter Arten reicht vom Hirsch bis zur Hauskatze, von der Ziege bis zum Rennkamel. In Südkorea hat der Zoll im Jahr 2008 sieben Klone eines besonders erfolgreichen Drogenspürhundes namens „Chase“ erzeugen lassen.

Außerdem ist es gelungen, adulte, also ausgereifte Zellen von Tieren anzuregen, in einen embryogleichen Zustand zurückzukehren. Diese kann man dazu bringen, sich in jede Art von Zelle umzuwandeln – auch zu Eizellen oder Spermien. Aus solchen Eizellen können dann ganz normale Embryos werden.

Das ist die Technik, um eine verschwundene Spezies wieder zum Leben zu erwecken. Das Mammut ist dafür ein guter Kandidat, weil sein Erbgut im Dauerfrostboden oft gut erhalten ist. Mittlerweile haben sich koreanische Forscher aus Seoul mit Mammutexperten der sibirischen Stadt Jakutsk zusammengetan. Im Sommer 2012 reisten sie den Fluss Jana hinauf und frästen mit Hochdruckschläuchen Rinnen in die gefrorene Steilküste. Sie fanden Knochenmark, Fell, Haut und Fett von Mammuts. Das Gewebe wird derzeit in Seoul untersucht.

«Ideal wäre es, wenn wir eine lebensfähige Zelle fänden», sagt Hwang In Sung, der die Jana- Expedition organisiert hat. Der Klonexperte arbeitet am privaten Sooam-Institut für Biotechnologie, einer Einrichtung, die auch anbietet, «gebrochene Herzen zu heilen», indem sie für private Kunden – gegen viel Geld – eine Kopie ihrer verstorbenen Hunde klont.

Wenn die Sooam-Forscher tatsächlich eine vitale Mammutzelle fänden, könnten sie daraus Millionen Zellen züchten und so programmieren, dass daraus Embryos entstehen. Diese würde man dann Elefantenkühen, den engsten leben- den Verwandten der Mammuts, einsetzen.

«Die Methode, aus- gestorbene Arten wiederzubeleben, ist schon viel weiter und viel schneller fortgeschritten, als wir uns je vorgestellt hatten.» Ross MacPhee, Paläontologe

Tritt der Idealfall – der Fund einer ganzen lebensfähigen Zelle – nicht ein, setzt Hwang auf Plan B: die Gewinnung eines intakten Zellkerns aus einer Mammutzelle. Der Zellkern enthält das Erbgut eines Tieres. Diese Wahrscheinlichkeit ist sehr viel größer. Doch die Aufgabe, ein Mammut statt aus einer Zelle aus einem Zellkern zu klonen, ist wesentlich komplizierter.

Die Forscher müssten den Kern mit den Mammutgenen in die Eizelle einer Indischen Elefantenkuh einbringen, aus der zuvor der eigene Zellkern entfernt wurde. Bislang ist es allerdings noch nie gelungen, entwicklungsfähige Eizellen aus Elefanten zu entnehmen. Klappt das und ist die Mammut-DNA gut genug erhalten, könnte sich mithilfe der Elefanteneizelle tatsächlich ein Mammutembryo entwickeln. Der müsste dann noch in die Gebärmutter einer hormonell vorbereiteten Elefantenkuh gepflanzt werden. Wenn alles gut geht, würde es fast zwei Jahre dauern, bis man sieht, ob die Elefantenkuh ein gesundes Mammut zur Welt bringt. «Aber wenn wir es gar nicht erst versuchen wollen – woher sollen wir dann wissen, dass es unmöglich ist?», entgegnet Hwang den vielen Zweiflern. Eine Frage, die er sich selber dabei bislang nicht stellt, ist: «Und wie geht es der Elefantenkuh, die man zwingt, ein Mammut zur Welt zu bringen?»

Ein bisschen kleiner, aber nicht weniger spektakulär ist das Tier, das der amerikanische Autor und Umweltschützer Stewart Brand zurück auf die Erde holen will. Es handelt sich um die rotbrüstige Wandertaube Ectopistes migratorius. In Schwärmen von Millionen flog sie noch im 19. Jahrhundert über den Himmel der USA, und obwohl Jäger sie in großen Mengen abschossen, hätte niemand geglaubt, dass es diese Art einmal nicht mehr geben könnte.

Im Jahr 1813 schrieb der amerikanische Naturforscher John James Audubon nach einer Flussfahrt auf dem Ohio: «Die Luft war buchstäblich mit Tauben gefüllt. Das Mittagslicht verschwand wie bei einer Sonnenfinsternis, der Kot fiel in Sprenkeln herab, als wären es schmelzende Schneeflocken. Das ständige Schwirren der Flügel wirkte geradezu einschläfernd auf meine Sinne. An den Ufern drängten sich Männer und Jungen und schossen unablässig auf die wandernden Tauben. Riesige Mengen wurden so vernichtet.»

«Die Ausrottung rückgängig zu machen wäre wirklich cool. Ich würde gern einen lebenden Säbelzahntiger sehen.» Hank Greely, Bioethiker

Doch die Wälder, in denen die Taube lebte, wurden abgeholzt, und die gnadenlose Bejagung zeigte schließlich doch Wirkung. Der letzte offiziell registrierte wilde Vogel wurde 1900 von einem Jungen mit einem Luftgewehr abgeschossen, 14 Jahre später starb die letzte Wandertaube, „Martha“, im Zoo von Cincinnati.

«Der Lebensraum der Wandertaube war auch meiner», sagt Stewart Brand über seine Jugend, in der er die Wälder von Illinois durchstreifte. Bekannt wurde er durch den „Whole Earth Catalog“: In dem begann er schon 1968, ökologisch korrekte Produkte aufzulisten. Er ist verheiratet mit Ryan Phelan, der Gründerin des Biotech-Unternehmens DNA Direct. Zu dessen Dienstleistungen gehören auch Erbgut-Tests und genetische Beratung.

Vor zwei Jahren stellte sich das Paar die Frage, ob es wohl möglich sei, die Wandertaube aus ihrem Erbgut wiedererstehen zu lassen, die Ausrottung rückgängig zu machen. Bei einem Treffen mit dem Harvard-Biologen George Church, einem führenden Klonexperten, der im vorigen Oktober ebenfalls an dem Kongress in Washington teilnahm, stellten die drei fest, dass sie in die gleiche Richtung dachten.

Church wusste, dass die üblichen Klontechniken nicht funktionieren würden, da sich Vogelembryos in Eierschalen entwickeln. Außerdem würde vermutlich kein Museumsexemplar der Wandertaube (darunter „Martha“, die im Smithsonian­Institut in Washington, D. C., ausgestellt ist) ein intaktes Genom enthalten. Doch Church kann sich einen anderen Weg vorstellen.

Präparierte Tiere enthalten immer noch verwertbare Teilstücke des Erbguts. Genetiker lesen heute aus solchen Teilstücken das komplette Genom eines Organismus ab. Noch ist es zwar nicht möglich, daraus den genetischen Bauplan eines Tieres im Ganzen funktionsfähig zusammenzusetzen. Church hat aber Techniken entwickelt, die es ihm ermöglichen, große Erbgut­Stücke aus dem Bauplan herzustellen und zu vervielfältigen.

Theoretisch könnte er Gene für typische Eigenschaften von Wandertauben produzieren – zum Beispiel ein Gen für die langen Schwanzfedern – und sie in das Genom der Stammzelle einer gewöhnlichen Felsentaube einschleusen.

Diese Stammzellen werden biotechnisch dazu gebracht, sich in Keimzellen zu verwandeln; das sind die Vorläufer von Eizellen und Spermien. Und diese Keimzellen spritzt man in normale Eizellen von Felsentauben. Die Taubenküken, die aus diesen Eiern schlüpfen, sehen aus wie normale Felsentauben. Ihre Eizellen und Spermien allerdings enthalten nun die Wandertaubengene. Wenn man sie untereinander kreuzt, schlüpfen in der folgenden Generation Küken mit spezifischen Eigenschaften von Wandertauben. Zug um Zug und über viele Generationen kann man so immer mehr Gene von Wandertauben reaktivieren, bis die neuen Tauben von der ausgerotteten Art nicht zu unterscheiden sind.

«Zweiflern sage ich immer: Wenn wir es gar nicht erst versuchen wollen, woher sollen wir dann wissen, dass es unmöglich ist?» Hwang In Sung, Klonexperte

Diese Methode soll theoretisch bei jeder Art mit einem nahen lebenden Verwandten und einem gut erhaltenen Genom funktionieren. Das heißt, selbst wenn es dem Sooam­Team in Korea nicht gelingt, einen intakten Zellkern zu finden, soll es möglich sein, Mammuts auf diese Weise zurückzubringen. Die meisten notwendigen Gene lassen sich bereits rekonstruieren, und an Rohmaterial aus dem sibirischen Permafrost für weitere Experimente herrscht kein Mangel. «Es ist nur eine Frage, wer das bezahlt», sagt Hendrik Poinar, ein Experte für Mammut­DNA an der McMaster­Universität in Ontario.

Es werden aber wohl noch einige Jahre ins Land gehen, bis Mammut und Wandertaube wieder aus der Liste der ausgestorbenen Arten gestrichen werden können. Bei zwei anderen Spezies könnte es schneller gehen. Möglicher­ weise hat eine entsprechende Meldung sogar schon in Ihrer Tageszeitung gestanden, wenn das Magazin mit diesem Artikel auf Ihrem Couchtisch liegt. Es handelt sich um zwei australische Froscharten, an denen auch die Pharmaindustrie sehr interessiert ist.

Kopf der Forschergruppe ist Michael Archer. Vor einigen Jahren hatte der Paläogenetiker den – damals noch gescheiterten – Versuch geleitet, den ausgestorbenen australischen Beutelwolf zu klonen. Als Tasmanischer Tiger genoss er in seiner Heimat Kultstatus, was nicht verhinderte, dass er vor 80 Jahren ausstarb. Auch Archer hatte bei seinen Versuchen, ihn auf die Welt zurückzuholen, kein Glück. Doch bei seinem neuen Projekt könnte er nun Erfolg haben.

Die beiden Froscharten, um die es geht, sind erst vor gut 20 Jahren ausgestorben. Sie hatten die gleiche, ganz besondere Fortpflanzungsmethode. Der weibliche Frosch stieß eine Wolke von Eiern ins Wasser. Das Männchen besamte sie, woraufhin das Weibchen die befruchteten Eier mit dem Maul aufnahm und hinunterschluckte. Ein Hormon in den Eiern sorgte dafür, dass der Magen des Weibchens fortan keine Säure mehr produzierte – er wurde faktisch zur Gebärmutter. Ein paar Wochen später öffnete das Weibchen sein Maul und würgte seinen komplett entwickelten Nach­ wuchs aus. Dieses wundersame Kunststück gab den Fröschen ihre Namen: Nördlicher (Rheobatrachus vitellinus) und Südlicher (Rheobatrachus silus) Magenbrüterfrosch.

Doch kaum hatte die Forschung begonnen, sich für diese Tiere zu interessieren, «waren sie verschwunden, ausgestorben», sagt Andrew French, ein Klonexperte an der Universität von Melbourne und Mitglied des Teams von Michael Archer. Nur aus früher gefangenen und präparierten Tieren in Sammlungen ließ sich noch ihr Erbgut gewinnen.

Um die Ausrottung ungeschehen zu machen, schleusen die Wissenschaftler Zellkerne des Magenbrüterfrosches in Eizellen des Australischen Sumpffrosches und einer Art des Südfrosches Mixophyes. Ein Problem ist, dass Froscheier schon nach wenigen Stunden ihre Fruchtbarkeit verlieren. Die Forscher brauchen also viele frische Eier, die Eispender haben jedoch nur einmal im Jahr eine kurze Laichzeit. Dennoch gibt es Fortschritte. «Ich kann bestätigen, dass wir Embryos dieser ausgestorbenen Arten haben», sagte Archer im vorigen Jahr. «Wir kommen gut voran.»

«Ohne den ausgestorbenen Tieren einen artgerechten Lebensraum garantieren zu können, ist das Klonen Geld­ verschwendung.» Glenn Albrecht, Ökosystemforscher

Warum aber nun dieser Aufwand? Wäre die Welt denn um so vieles reicher, wenn es Froschweibchen gäbe, die Frösche in ihrem Magen wachsen lassen? Für Andrew French ist das keine Frage. Er hofft durch die Erforschung der Magenbrüter auf Erkenntnisse, die eines Tages Frauen zugutekommen könnten, die wegen Abstoßungsreaktionen Schwierigkeiten haben, ein Kind auszutragen. Und die Pharmaindustrie sieht hier die Chance auf die Entwicklung eines Säurestoppers, der Magenkranken helfen könnte.

Andere Wissenschaftler widersprechen. Sie sagen, sich auf ausgestorbene Arten zu konzentrieren lenke nur davon ab, dass es viel wichtiger sei, das anhaltende Artensterben zu verhindern. «Ich sehe die Notwendigkeit nicht, ausgestorbene Arten wiederzubeleben», sagt John Wiens, ein Evolutionsbiologe an der Stony­Brook­Universität in New York. «Warum sollte man Millionen von Dollar investieren, um eine Handvoll Arten auferstehen zu lassen, wenn es gleichzeitig Millionen gibt, die wir noch nicht einmal kennen, die wir entdecken, erforschen und deren Lebensraum wir schützen müssen?»

Befürworter der Lazarus­Projekte entgegnen, dass die Klonierungstechnik und die Fortschritte bei der Rekonstruktion des Erbguts eben auch dazu beitragen könnten, gefährdete Arten zu erhalten, insbesondere solche, die sich in Gefangenschaft nur schwer züchten lassen. Natürlich sei das teuer, aber das sei jede innovative Technik am Anfang. Mit jedem Fortschritt werde es preiswerter.

Der Klonexperte George Church wählt ein drastisches Beispiel: «Was wäre, wenn Leute sich durchgesetzt hätten, die fürchteten, die Arbeit an einem Impfstoff gegen Kinderlähmung würde die Weiterentwicklung der „Eisernen Lunge“ behindern?» Dieses Beatmungsgerät half Menschen, deren Lunge durch Polio geschädigt war. Dank des Impfstoffs braucht man sie heute nicht mehr. «Es ist nicht leicht, im Voraus zu sagen, welche Technik sich als die bessere erweisen wird», so Church.

Andererseits: Wäre es wirklich die Rettung einer Art, wenn es gelingen sollte, eine Felsen­ taube genetisch über mehrere Generationen mit allen Eigenschaften der Wandertaube zu programmieren? Wäre das so entstandene Tier wirklich eine Wandertaube oder nur ein Kuriosum? Sollten Archer und French tatsächlich einen einzigen Magenbrüterfrosch erzeugen, bedeutet das, sie haben die Art wieder zum Leben erweckt? Wenn dieser Frosch keinen Partner hat, wird es ihm nicht besser gehen als „Celia“, der letzten Pyrenäensteinbockgeiß. Würde es genügen, eine Population dieser Froschart im Labor oder in einem Zoo zu halten? Oder müsste man sie erst mit Erfolg auswildern, damit sie wirklich wieder als Teil unserer natürlichen Lebenswelt würde?

Die Auswilderung von Arten, die in freier Natur ausgestorben sind, ist auch nicht ohne Probleme», sagt der Biologe Stuart Pimm von der amerikanischen Duke­Universität. Er war an einem Projekt beteiligt, die Arabische Oryxantilope auszuwildern. 1982 hatte man die Tiere in ein Refugium in Zentral­Oman gebracht, kurz darauf waren fast alle von Wilderern getötet worden. «Wir hatten die Tiere, wir haben sie in die Natur entlassen, aber die Welt war nicht bereit, sie zu schützen», sagt Pimm. «Eine Art wiederzubeleben löst das Problem nicht.»

Jagd und Wilderei sind dabei nur ein Aspekt. Für viele Arten gibt es gar keinen Lebensraum mehr. Der Chinesische Flussdelfin starb aus, weil die Wasserverschmutzung zu groß war und immer noch ist. Frösche werden weltweit durch einen vom Menschen verbreiteten Krankheitserreger getötet, den Chytridpilz. Könnten die australischen Biologen eines Tages tatsächlich Magenbrüterfrösche in ihren alten Bergbächen wieder aussetzen, wäre es denkbar, dass sie um­ gehend erneut aussterben. «Ohne einen artgerechten Lebensraum garantieren zu können, ist das Klonen doch nur eine bodenlose Geldverschwendung», sagt Glenn Albrecht, der Direktor des Instituts für Soziale Nachhaltigkeit an der Murdoch­Universität in Australien.

Den Lebensraum haben wir ja, sagen diejenigen, die sich für die Neuerschaffung der Wandertauben einsetzen. Die Wälder im Osten der USA erholen sich zusehends, sie wären das perfekte Habitat für diese Art. Skeptiker halten dagegen: Man würde ein Tier mit künstlich veränderten Genen in die Umwelt entlassen. Könnten zum Beispiel Wandertauben damit zu Trägern für ein im Erbgut verstecktes Virus wer­ den, das andere Vogelarten gefährdet? Und was würden die Bewohner von Chicago, New York oder Washington heute wohl davon halten, wenn Schwärme von Wandertauben wie einst den Himmel verdunkelten und ihren Kot auf Straßen und Köpfe fallen ließen?

«Solche Probleme sollten wir dann lösen, wenn es sein muss», beschwichtigt Hank Greely, ein Bioethiker an der Stanford­Universität. Für ihn wie für viele andere ist die Tatsache, dass Klonierer und Genetiker endlich weit genug fortgeschritten sind, ausgestorbene Arten in absehbarer Zeit zurück ins Leben zu holen, Grund genug, dies erwartungsfroh anzugehen, statt es furchtsam kaputt zu reden. «Die Ausrottung rückgängig machen zu können wäre wirklich cool», sagt Greely. «Ist das nicht faszinierend? Ich würde gern einen leben­ den Säbelzahntiger sehen.»

(NG, Heft 5 / 2013, Seite(n) 64 bis 81)

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