Alnwick Garden: Tödliches Paradies

Zwischen Rosen und Wasserspielen liegt im Nordwesten Englands ein ganz besonderer Ort: Der „Alnwick Garden“ beherbergt einen Themengarten mit rund 100 tödlichen Giftpflanzen – den sogenannten „Poison Garden“.

Von Simone Kapp
Veröffentlicht am 3. Aug. 2021, 14:22 MESZ
Engelstrompeten im Alnwick Garden

Rund hundert hochgiftige Pflanzen erwarten die Besucher im Poison Garden, unter anderem Engelstrompeten, deren enthaltenes Alkaloid Skopolamin Lähmungen und Erbrechen auslösen kann.

Foto von The Alnwick Garden, Margaret-Whittaker

Ein schweres, schwarzes Eisentor mit Totenköpfen und der Warnung „These Plants Can Kill“ bremst Besucher vor dem Eingang zum Poison Garden. Der Zutritt ohne Tour Guide ist nicht gestattet, denn sämtliche Pflanzen im Garten sind hochgiftig.

Auf den ersten Blick wirkt der Poison Garden wie ein normaler Kräutergarten. Doch der Eindruck täuscht: Keine der Pflanzen darf berührt werden, auch daran zu riechen ist streng verboten. Einige Pflanzen sind in stabilen Käfigen verwahrt, um zu verhindern, dass Besucher den Gewächsen zu nahe kommen.

1996 begann Jane Percy, die Herzogin von Northumberland und treibende Kraft hinter dem Alnwick Garden, mit der Planung der Anlage. Zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Jacques Wirtz und unterstützt von freiwilligen Helfern setzte sie eines der wohl ehrgeizigsten Gartenprojekte in Großbritannien seit Ende des zweiten Weltkriegs um. Rund 42 Millionen Pfund kostete die Neugestaltung. Finanziell unterstützt wurde das Projekt maßgeblich vom zwölften Herzog von Northumberland.

Die Gartenanlage wurde 2001 eröffnet und im Jahr 2005 öffnete dann auch der Poison Garden seine Tore. Daneben gibt es weitere Themengärten, etwa den Kirschgarten oder den Rosengarten.

Auch der Kirschgarten ist ein Teil der Gartenanlage von Alnwick Castle.

Foto von The Alnwick Garden

Der Besuch im Poison Garden ist ungefährlich, wenn man den Anweisungen der Gartenführer folgt: Nichts anfassen, nichts beschnuppern und nicht zu nahe bei den Pflanzen stehen. Zur Sicherheit sind im Garten Ruhebänke verteilt, außerdem stehen qualifizierte Ersthelfer bereit.

Giftpflanzen: Gefahr und Faszination

Ein Besuch im Medici-Giftgarten in Padua brachte die Bauherrin auf die Idee, einen Garten ausschließlich mit Giftpflanzen anzulegen: „Ich dachte mir, dafür kann man Kinder interessieren“, lässt die Herzogin von Northumberland National Geographic mitteilen. „Kindern ist es gleichgültig, ob Aspirin aus Weidenrinde stammt. Wirklich spannend ist es, zu wissen, wie eine Pflanze dich tötet, wie man stirbt und wie lange es dauert, bis man tot ist.“ Mit diesem ungewöhnlichen Ansatz ist das Team des Alnwick Garden auch in Schulen gefragt. Hier erhalten Kinder und Jugendliche Einblick in die Welt der Giftpflanzen und lernen, sich zu schützen.

Der Umgang mit Giftpflanzen ist im Alltag wenig geübt. Der Informationszentrale gegen Vergiftungen der Universität Bonn zufolge gingen im Jahr 2019 5144 Anfragen zu Vergiftungen mit Pflanzen ein – mit 12% der Anfragen der drittgrößte Anteil an Vergiftungsursachen nach Medikamenten (31%) und Reinigungsmitteln (14%). Besonders Kinder sind gefährdet: 3978 Anfragen betrafen Vergiftungen durch Pflanzen bei Kindern – fast viermal so viele wie bei den Erwachsenen: Hier lag der Anteil im Jahr 2019 bei 1011 Anfragen.

BELIEBT

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    Giftpflanzen im Hausgarten

    Das Wissen um Giftpflanzen und die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist unverzichtbar. Giftpflanzen findet man nicht nur im Poison Garden; viele der hochgiftigen Pflanzen kennt man aus dem eigenen Garten.

    „Das Außergewöhnliche an diesen Pflanzen ist, dass viele Menschen von den am weitesten verbreiteten Giftpflanzen nicht wissen, dass diese tödlich sind“, so Jane Percy. Viele Besucher sind demnach überrascht, dass der als Sichtschutz geschätzte Kirschlorbeer hochgiftig ist. Die Blätter und Beeren enthalten cyanogene Glycoside, die sich in Blausäure umwandeln können.

    Viele der Pflanzen im Giftgarten sind auch in Deutschland weit verbreitet. Dazu zählt zum Beispiel die Engelstrompete (Brugmansia): Eine Blüte enthält rund 0,65 Gramm des Hauptwirkstoffs Skopolamin. Schon ihr Blütenstaub kann zu Lähmungen und Halluzinationen führen. Weitere Vergiftungssymptome sind Erbrechen, Durchfall und Herzbeschwerden.

    „Das Außergewöhnliche an diesen Pflanzen ist, dass viele Menschen von den am weitesten verbreiteten Giftpflanzen nicht wissen, dass diese tödlich sind“, sagt Jane Percy.

    Foto von The Alnwick Garden

    Ein weiteres Beispiel ist der Eisenhut (Aconitum). Obwohl er die giftigste Pflanze hierzulande ist, ist der Eisenhut in vielen Blumengärten zu finden. Seine Alkaloide können ab 0,2 Gramm tödlich sein. Schon bei bloßer Berührung können Taubheitsgefühle an den Händen auftreten. Bei Verzehr tritt nach sechs Stunden der Tod ein.

    Daneben finden sich im Poison Garden auch klassische Giftpflanzen: Schierling (Conium maculatum) etwa, womit sich der griechische Philosoph Sokrates vergiftet haben soll, oder die Tollkirsche, bei der drei Beeren ein Kind töten können. Venezianische Damen träufelten sich den Saft der Beeren direkt in die Augen, um ihre Pupillen zu erweitern – dies galt als besonders schön. Der Name Atropa Belladonna verweist noch heute auf dieses Schönheitsritual der Elite.

    Die tödlichste Giftpflanze im Garten

    Neben all den bekannten und tödlichen Giftpflanzen zeigt der Poison Garden auch Gewächse, die man im ersten Moment nicht zu den Giftpflanzen zählen würde, die aber dennoch tödlich sein können. So sterben laut Angaben der Betreiber am Konsum von Tabak pro Jahr mehr Menschen als durch eine der anderen Giftpflanzen im Poison Garden.

    Das Rizin des Wunderbaums gilt als eines der tödlichsten Gifte der Welt.

    Foto von Eugene Sergeev – stock.adobe.com

    Auch den Wunderbaum oder Rizinus kann man im Poison Garden sehen. Neben Rizinusöl, das zum Beispiel in der Kosmetik Anwendung findet, enthalten die Samen des Wunderbaums auch das Protein Rizin. Dieses Lektin gilt als eines der potentesten Gifte der Welt: Für Menschen kann schon eine Dosis von 0,3 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht tödlich sein.

    Andere Pflanzen sind nur teilweise oder zu bestimmten Zeiten giftig, wie der Rhabarber: Die Blätter sind reich an Oxalsäure, die in großen Mengen zu Vergiftungen und Nierensteinen führen kann. Zwischen April und Ende Juni sind die Stängel des Rhabarbers zwar essbar, danach jedoch steigt der Oxalsäuregehalt auch in den Stängeln jedoch so weit an, dass der Genuss für Menschen gefährlich wird. Traditionell gilt der 24. Juni, der Johannistag, als letzter Zeitpunkt für die Rhabarberernte.

    Die Geschichte des Gartens

    Der Poison Garden ist Teil der Gartenanlage The Alnwick Garden im Nordosten von England. Schon 1750 legte der 1. Herzog von Northumberland einen Garten bei Alnwick Castle an. Der 3. Herzog von Northumberland brachte von seinen Reisen Ableger, Samen und Stecklinge exotischer Pflanzen mit und kultivierte diese im Alnwick Garden.

    Während des zweiten Weltkrieges wurde der Garten im Zuge der „Dig for Victory“-Kampagne genutzt, um die Bevölkerung zu versorgen. 1950 wurde der Garten geschlossen. Für mehrere Jahrzehnte lag die Anlage brach und sollte in einen Parkplatz umgewandelt werden – doch es kam anders.

    Von Anfang an wurde der Garten als Ort für alle Menschen konzipiert. Auch heute noch steht der Gemeinschaftsgeist im Mittelpunkt. Es sollen sich Einheimische wohlfühlen und Fremde anziehen, denn der Garten stärkt auch den Tourismus und damit die Wirtschaft in der Region. Das Konzept geht auf: Jährlich besuchen rund 600 000 Menschen den Alnwick Garden.

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