1.100 Tonnen verrottendes Fleisch helfen der Serengeti
Tausende Gnus sterben bei ihrer jährlichen Wanderung – ihre Kadaver sind eine lebenswichtige Ressource für das Ökosystem.
Für die Gnus kann die jährliche große Wanderung durch die Serengeti den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.
Raubtiere wie Krokodile und Großkatzen lauern der über eine Million Tiere starken Herde auf, wenn diese ihre bis zu 3.200 Kilometer lange Route durch die Savannen von Tansania und Kenia zurücklegt.
Aber eine der gefährlichsten – und oft wenig beachteten – Herausforderungen dieser Migration ist das Ertrinken. Tausende Gnus überqueren den großen Fluss Mara zur selben Zeit. Dabei werden zahlreiche Tiere von der Strömung fortgerissen.
Zum ersten Mal haben Wissenschaftler nun eine Schätzung abgegeben, wie viele Gnus jedes Jahr dadurch sterben: Im Schnitt kamen sie auf 6.250 Tiere, was der Masse von zehn Blauwalen entspricht.
Aber nicht nur das: Amanda Subalusky, eine Forscherin für Gewässerökologie am Cary Institute of Ecosystem Studies in New York, hat mit ihren Kollegen offenbart, dass die verwesenden Kadaver lebenswichtige Nährstoffe in die Wasserwege der Serengeti zurückführen.
„Wenn die Tiere ertrinken, lassen wir alles stehen und liegen und untersuchen sie“, sagt Subalusky, deren Studie in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschien.
DER KREISLAUF DES LEBENS
Es ist keine einfache Aufgabe herauszufinden, welchen Beitrag etwa 1.100 Tonnen verwesender Gnus zum Ökosystem der Flüsse leisten.
Für die Studie schleppten Subalusky und ihr Team ertrunkene Gnus aus dem Wasser, sezierten sie und untersuchten ihre exakte Nährstoffzusammensetzung.
Sie platzierten Teile der Gnus auch wieder im Wasser – geschützt von speziellen, krokodilsicheren Käfigen –, um zu sehen, wie lange jeder Teil des Gnus, also Haut, Fleisch und Knochen brauchte, um sich in dieser Umgebung zu zersetzen.
Chemischen Messungen des lokalen Wassers und der Fische dienten zur Überprüfung, wie viele der Nährstoffe aus den Gnus von der Umwelt aufgenommen wurden. Das Team stellte fest, dass nur ein kleiner Teil der Kadaver von Krokodilen verschlungen wird – sie könnten eben auch nur so viel fressen, bis sie voll sind, erklärt Subalusky.
DAS VERMÄCHTNIS DER TOTEN
Den Hauptbeitrag für die Umwelt leisten die Skelette der toten Gnus. Ihre Knochen benötigen zum Verrotten etwa sieben Jahre und geben während dieser Zeit Phosphor ab – ein Element, das für das Wachstum von Pflanzen und Tieren von entscheidender Bedeutung ist. Ein schleimiger Bakterienfilm bildet sich auf den Knochen im Fluss und stellt eine Nahrungsquelle für die dort lebenden Fische dar.
„Es gibt dieses Vermächtnis des großen Ertrinkens in Form von Tierknochen, die über Jahrzehnte einen Beitrag für das Ökosystem leisten könnten“, sagt Subalusky. Ihre Studien wurden während ihres Aufbaustudiums an der Yale Universität von der National Geographic Society gefördert.
Das Wissen darum, wie die toten Gnus auf die Umwelt wirken, kommt zur rechten Zeit: Es zeigt, was verloren gehen würde, wenn die Gnupopulationen oder ihre Wanderrouten nachlassen würden, sagt Kendra Chritz. Die Geochemikerin vom Smithsonian National Museum of Natural History war an der Studie nicht beteiligt.
„Es gibt viele große, afrikanische Säugetiere, die nicht länger migrieren oder deren Wanderrouten durch menschliches Bevölkerungswachstum oder Landnutzung unterbrochen wurden“, so Chritz.
Auch, wenn die Wanderung der Gnus nicht länger von Plänen für einen Highway durch die Serengeti bedroht ist: Die Migrationen anderer großer Säugetiere auf der ganzen Welt, darunter Springböcke und Bisons, haben einen Rückgang verzeichnet oder haben gänzlich aufgehört.
DIE RECHNUNG GEHT NICHT AUF
Mit den neuen Zahlen dazu, wo etwa die Hälfte der Nährstoffe aus den Gnus landen, geht die Rechnung aber noch immer nicht auf. „Wir könne nicht nachweisen, was mit etwa der Hälfte des Kohlenstoffs und Stickstoffs passiert“, erklärt Subalusky.
Chemische Analysen zeigen, dass die Fische im Fluss einige der Nährstoffe aufnehmen, aber wie viel genau, das weiß man nicht.
Insgesamt ist es ein recht neues Konzept, dass terrestrische Migrationen so einen großen Einfluss auf Gewässerökosysteme haben. Laut Subalusky muss dieser Aspekt genauer erforscht werden.
„Früher haben wir die Gnus nur als eine kurze Schwemme von Kadavern betrachtet, die für begrenzte Zeit zur Verfügung standen und dann verschwanden“, sagt sie. Die neue Studie „hat unser Verständnis für die Größenordnung dieses Themas verändert.“
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