Prähistorischer wolfsgroßer Otter hatte erstaunlich starken Biss

Studien des urzeitlichen Sumpfbewohners liefern neue Hinweise auf die anatomischen Veränderungen, die der Gebrauch von Werkzeugen ausgelöst haben könnte.

Von Jason G. Goldman
Veröffentlicht am 9. Jan. 2018, 12:03 MEZ
Der Riesenotter Siamogale melilutra machte in den Feuchtgebieten im heutigen Südwesten Chinas Jagd auf Beute.
Foto von Illustration by Mauricio Anton

Vor sechs Millionen Jahren streifte ein 50 Kilogramm schwerer Otter durch die sumpfigen Feuchtgebiete des heutigen südwestlichen Chinas.

Im Gegensatz zu den heutigen verspielten Ottern der Pazifikküste, die Steine benutzen, um Seeigel zu knacken, hätte ihr urzeitlicher Vorfahre mit seinem kräftigen Kiefer problemlos die Schale des Weichtiers durchbeißen können.

Der prähistorische Otter Siamogale melilutra wurde Anfang 2017 in der chinesischen Provinz Yunnan ausgegraben und wissenschaftlich beschrieben.

In einer neuen Studie untersuchten Forscher den Kieferknochen des Tieres und kamen zu dem Schluss, dass es im späten Miozän vermutlich ein Spitzenprädator gewesen ist. Sein kräftiger Kiefer mit den starken Zähnen verlieh ihm einen kräftigen Biss und hätte dem Otter eine große Vielfalt an Beutetieren eröffnet.

„Wir glauben trotzdem, dass er wahrscheinlich Weichtiere verzehrte, aber seine Leistungsfähigkeit ging dabei weit über die der heute lebenden Otter hinaus“, sagte der Studienleiter Z. Jack Tseng von der SUNY Universität in Buffalo.

Die Entdeckung gewährt nicht nur Einblicke in das Leben dieses alten Riesenotters, sondern gibt auch Hinweise auf das Verhalten moderner Otter, zum Beispiel auf den bemerkenswerten Gebrauch von Werkzeugen.

WAS FÜR GROSSE ZÄHNE DU HAST ...

Die heutigen Otter lassen sich größtenteils in zwei Gruppen aufteilen: Die Weichtierfresser machen Jagd auf wirbellose Tiere wie Krabben, Muscheln und Seeigel, während die Fischfresser sich hauptsächlich von Fisch ernähren.

Um die Fressgewohnheiten von Siamogale besser zu verstehen, sahen sich Tseng und sein Team die Kieferknochen und Schädel von zehn der 13 heute lebenden Otterarten an. Sie erstellten am Computer 3D-Modelle ihrer Kiefer sowie ein Modell des fossilen Otters.

BELIEBT

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    Die 3D-Rekonstruktionen zeigen den Kiefer des um die zehn Kilogramm schweren Fischotters (links) und des 50 Kilogramm schweren Siamogale melilutra (rechts).
    Foto von Illustration by Z. Jack Tseng

    Wenn die Muskeln den Kiefer bewegen, wird die Energie über den Knochen zu den Zähnen weitergeleitet. Ein Teil der Energie geht naturgemäß durch Reibung und Wärme verloren, und im Falle des Kiefers auch durch leichte Verformungen im Knochen selbst.

    Für ein effektiveres Kauen wären daher steifere Kieferknochen nötig, die sich beim Zubeißen weniger verbiegen. Ein effizienter Biss kann außerdem ein Licht auf die Nahrungsvorlieben eines Tieres werfen.

    Die Forscher vermuteten daher, dass Weichtierfresser steifere Kiefer als Fischfresser haben müssten, da sie die harte Schale ihrer Beute aufbrechen müssen. Stattdessen entdeckten sie einen einfachen linearen Zusammenhang bei allen lebenden Ottern: Je kleiner der Otter, desto steifer der Kiefer.

    „Das hat uns überrascht“, sagt Tseng, dessen Team seine Ergebnisse in „Scientific Reports“ veröffentlicht hat.

    Die nächste Überraschung kam, als Siamogales Kiefer sich als sechsmal fester herausstellte, als man anhand seiner Körpergröße vorhergesagt hatte. Da Otter so ausgezeichnet an die Jagd im Wasser angepasst sind, ernährte sich wohl auch dieser große Vorfahre noch von Schalentieren. Aber er war auch in der Lage, deutlich zähere und größere Beute als seine modernen Verwandten zu fressen.

    GEWITZTES GEHÄMMER

    Obwohl keiner der modernen Otter so auffällig wie Siamogale ist, brechen einige von ihnen dennoch aus dem linearen Muster aus, das Tseng und sein Team entdeckt haben.

    Afrikanische Kapotter haben beispielsweise leicht kräftigere Kiefer, als ihre Größe vermuten lässt. Das lässt sich zweifelsfrei auf ihre Vorliebe für Krabben zurückführen, die relativ harte Panzer haben. Seeotter hingegen, die sich regelmäßig die Bäuche mit stacheligen Seeigeln vollschlagen, haben flexiblere Kiefer, als ihre Körpergröße vermuten lässt. (Lesenswert: Seltenes Otterfossil in mexikanischer Wüste entdeckt)

    Das könnte daran liegen, dass Seeotter das Durchbrechen der Exoskelette ihrer Seeigelbeute auf ihre Pfoten ausgelagert haben. Als eines der wenigen bekannten Meeressäugetiere, die Werkzeuge benutzen, verwendet der Seeotter Steine als Hammer, um seine Beute aufzubrechen.

    Bisher ist es zwar nur Spekulation, aber die Forscher glauben, dass die Werkzeugnutzung die Notwendigkeit für einen kräftigeren Biss der Seeotter verringert hat.

    „Wir haben keine handfesten Beweise“, gibt Tseng zu, „aber es deutet darauf hin.“

    „Ich glaube, sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen“, sagte der Paläontologe Bobby Boessenecker vom College of Charleston, der an der Studie nicht beteiligt war. Er weist jedoch darauf hin, dass der Fossilbericht für Seeotter zu spärlich ist, um das mit Sicherheit sagen zu können.

    Dennoch ist es keine wirklich verrückte Idee. Einige Anthropologen argumentieren, dass sich bei unseren menschlichen Vorfahren mit Beginn der Werkzeugnutzung auch die Schädelform zu verändern begann. Indem ein Teil der Arbeit, die sonst unsere Verdauungsprozesse erledigten, auf unsere Hände ausgelagert wurde, veränderten sich unsere Schädel. Wo sie zuvor hauptsächlich zur Nahrungsverarbeitung (also dem Kauen) dienten, wurden sie nun mehr und mehr zu schützenden Vorrichtungen für unser Gehirn.

    „Irgendwie“, so sagt Tseng, „sind die Ernährungsweise und die Evolution des Gehirns miteinander verbunden.“

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