Stille Felder: Weltweit stürzen die Feldvogel-Populationen ein

Die moderne Landwirtschaft hat die Welt verändert. Für etliche Vogelarten könnte sie das Ende bedeuten.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 6. Juni 2018, 14:23 MESZ
Die Populationen von Vogelarten, die auf oder in der Nähe von Feldern leben – hier abgebildet ...
Die Populationen von Vogelarten, die auf oder in der Nähe von Feldern leben – hier abgebildet das Rothuhn (Alectoris rufa) –, sind weltweit zurückgegangen. Im französischen Département Deux-Sèvres ist der Rothuhnbestand seit 2009 um 86 Prozent geschrumpft.
Foto von Tim Graham, Getty Images

Seit jeher schallten die Gesänge zahlreicher Vogelarten zusammen mit dem Rauschen des Windes über Wiesen und Felder. Mittlerweile verstummen diese Melodien. In den letzten vierzig Jahren sind die Zahlen jener Vögel, die auf oder in der Nähe von Feldern wohnen, auf der ganzen Welt zurückgegangen. Es ist eine Abwärtsspirale, die der Öffentlichkeit Forschern zufolge kaum oder gar nicht bewusst ist.

„Es sind entweder große, charismatische Tiere, von denen jeder weiß, dass sie verschwinden, oder unbekannte Arten, die aussterben, ohne je bemerkt worden zu sein. Aber was ist mit dem Schicksal der ganz gewöhnlichen Arten, die ebenfalls ohne Vorwarnung verschwinden?“, fragt Benoît Fontaine, ein Naturschutzbiologe des französischen Muséum national d’histoire naturelle.

Im März verkündeten Fontaine und seine Kollegen die Ergebnisse eines Gutachtens zu Frankreichs Vogelpopulationen. Die Bilanz, die weltweit Schlagzeilen machte, ist erschreckend: Seit 1989 sind die Populationen von Frankreichs Feldvögeln um ein Drittel geschrumpft.

Auf lokaler Ebene sind die Ergebnisse teils noch viel alarmierender. Im ganz Frankreich befinden sich Vögel, die gut an menschliche Umgebungen angepasst sind, auf einem aufsteigenden Ast. Aber auf den Ackerflächen des Département Deux-Sèvres befinden sich diese Alleskönner im freien Fall. Einige Arten hatten seit 2009 einen Rückgang von bis zu 85 Prozent zu verzeichnen. Für die Forscher ist dieser Einbruch ein Zeichen für die schlechte Gesundheit des Ökosystems.

„Der stumme Frühling, vor dem Rachel Carson gewarnt hat, könnte zur Realität werden, wenn wir nicht schnell handeln“, sagte Vincent Bretagnolle in einer Mitteilung. Der Ökologe vom Center for Biological Studies ist der Leiter der Studie.

Tatsächlich spielt sich diese tragische Geschichte von Frankreichs Vögeln überall in der industrialisierten Welt ab. Im Vereinigten Königreich sind die Populationen der Feldvögel seit den 1970ern um mehr als die Hälfte zurückgegangen, wobei ein Großteil des Einbruchs in den 1980ern stattfand. Seit 1980 hat sich die Gesamtzahl der europäischen Feldvögel um etwa 300 Millionen Tiere verringert. Auch in Kanada und den USA ist der Bestand von 74 Prozent aller Feldvogelarten seit 1966 geschrumpft.

„Es ist sehr wichtig, diese Geschichte zu kommunizieren, auch wenn sie nicht neu ist“, schrieb Ian Burfield, der globale Wissenschaftskoordinator für BirdLife International, in einer E-Mail an National Geographic.

WARUM VERSCHWINDEN DIE VÖGEL?

Lange vor dem Beginn des Ackerbaus haben sich einige Vögel an ein Leben auf offener Flur angepasst. Als diese Landschaften nach dem Willen des Menschen geformt und verändert wurden, passten sich die Vögel an, bauten Nester in Hecken und fraßen die für Felder typischen Insekten und Samen.

Aber die Grüne Revolution der Landwirtschaft in den 1960ern hat die Art, wie wir Nahrung anbauen, dramatisch verändert. In der industrialisierten Welt wurden die Felder zu mechanisch bestellten Monokulturen, die mit Düngemitteln genährt und mit Herbiziden und Insektiziden geschützt werden.

Dieser Umbruch beschwichtigte die Angst vor einer globalen Hungerkrise, da sich die Erträge verdreifachten – auch wenn sich die Bevölkerungszahl verdoppelte. Doch für die Vögel bedeutete diese schöne neue Welt der Ertragssteigerung den langsamen Tod. Die zuvor wilden Flächen, auf denen die Vögel nisteten, sind nun unwirtliche Mais- und Weizenfelder. Mähmaschinen töten und verletzen Vögel und zerstören ihre Nester.

Insektizide vernichten einen Teil ihrer Nahrung. Niederländische Forscher fanden 2014 heraus, dass die Verwendung des Insektizids Imidacloprid mit dem Rückgang der insektenfressenden Vögel in den Niederlanden zusammenhing. Drei Jahre später verkündeten Forscher, dass die Masse der Insekten in Deutschland von 1989 bis 2016 um drei Viertel zurückgegangen war – ein Einbruch, der ebenfalls mit der modernen Landwirtschaft zusammenhängt.

„Als ich ein Kind war, haben wir im Urlaub mit dem Auto Frankreich durchquert. Nach der Reise mussten wir die Windschutzscheibe putzen, weil sie voller Insekten war, die darauf aufgeschlagen waren“, sagt Fontaine. „Das ist mittlerweile nicht mehr der Fall. Sie ist nach der ganzen Reise immer noch sauber.“

Wissenschaftler halte diesen Schwund für fatal. Am 31. Mai veröffentlichten 233 Forscher aus der ganzen Welt einen gemeinsamen Brief im Fachmagazin „Science“, in welchem sie Beschränkungen für den Einsatz von Neonicotinoiden fordern – einer Gruppe von Insektiziden, die in der Landwirtschaft häufig verwendet werden.

WAS KANN MAN TUN?

Von all den Bedrohungen, denen Vögel heutzutage ausgesetzt sind, ist die aktuelle Form der Landwirtschaft bei Weitem der größte Risikofaktor für ein Aussterben der Arten. Zu diesem Schluss kam der Bericht „State of the World‘s Birds“ von BirdLife aus dem Jahr 2018. Damit sich die Populationen erholen können, müssen den Forschern zufolge die Landwirtschaftspraktiken radikal verändert werden, um nachhaltiger zu werden. Einfache Lösungen gibt es dafür nicht.

„Die Leute suchen immer nach einfachen Lösungen: ‚Oh, dieses Pestizid ist giftig, tauschen wir es gegen ein anderes.‘ Meiner Meinung nach ist das eine Sackgasse“, sagt Christy Morrissey. Die Ökologin der University of Saskatchewan untersucht den Einfluss von Pestiziden auf nordamerikanische Vögel und hat den Brief gegen Neonicotinoide ebenfalls unterzeichnet.

„Es geht nicht darum, dass irgendein Pestizid ein Problem darstellt“, erklärt sie. „Es geht darum, dass Pestizide ein Symptom eines größeren Problems sind: der kompletten Abhängigkeit von chemischen Zusätzen.“

Im Rahmen von Projekten arbeiten Forscher und Bauern daher zusammen, um eine neue „agroökologische“ Zukunft zu bauen. Testfarmen in den USA, Kanada und dem Vereinigten Königreich bringen mehr Vielfalt auf ihre Ackerflächen und bauen natürliche Schutzorte für einheimische Vögel. Morrissey baut ein Netzwerk kanadischer Forscher auf, um neue Methoden zu entwickeln, mit denen die Bodengesundheit, Wasserqualität und Artenvielfalt von Ackerland überwacht werden kann.

Einige Initiativen berücksichtigen auch die wirtschaftlichen Bedenken der Bauern. Fontaine verweist auf ein relativ neues Pilotprojekt in Italien, das Bauern versicherte, die gewillt waren, auf Pestizide zu verzichten. Das Geschäft der Bauern blieb nicht nur stabil – auch die Erträge sanken kaum.

„[Die Bauern] sind nicht die Bösen. Wenn sie ihre Felder auf eine Weise bestellen können, die besser für die Artenvielfalt ist, dann sind sie natürlich gewillt, das zu tun“, sagt Fontaine. „Außerdem kennen sie die Felder gut und sind am ehesten in der Lage, Veränderungen vorzunehmen.“

Dennoch gibt Fontaine zu, dass es nicht einfach ist. Als sein Team im März die entmutigenden Prognosen des Gutachtens vorstellte, beklagten sogar die verständnisvollen Bauern, dass all ihre harte Arbeit umsonst gewesen ist.

„Was sie machen, zeigt sich nur im Kleinen. Die Veränderungen müssen im viel größeren Stil erfolgen“, so Fontaine.

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