Lemuren können Schwäche riechen
Mit ihren feinen Nasen können die Primaten so allerhand aus den komplexen Eigengerüchen ihrer Artgenossen herauslesen.
Einem Lemuren kann man nichts vormachen.
Manche Menschen sind gut darin, ein Pokerface aufzusetzen, um sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen – aber Lemuren schätzen ihr Gegenüber anhand seines Geruchs ein. Das bedeutet, dass diese kleinen Primaten Madagaskars einander nicht täuschen können, indem sie einfach nur stark aussehen. Sie müssen auch stark riechen.
Wie genau aber erschnüffeln sie die Schwäche ihrer potenziellen Rivalen?
DER GERUCH DER SCHWÄCHE
Männliche und weibliche Kattas, die ebenfalls zur Teilordnung der Lemuren zählen, besitzen Duftdrüsen im Genitalbereich, während Männchen zusätzliche Drüsen an ihren Hand- und Schultergelenken haben, die allesamt unterschiedliche Gerüche produzieren. Dieses individuelle Eau de Katta verrät eine Menge über den Gesundheitszustand der Tiere.
Im Rahmen einer zehn Jahre währenden Studie des Lemur Center der Duke University fanden Forscher heraus, dass Kattas, die sich Verletzungen zuziehen, die kostspielige Produktion ihrer persönlichen Duftnote zeitweise zurückfahren. Andere Lemuren können diese Veränderung riechen und ausnutzen, berichteten die Forscher in „Scientific Reports“.
Lemuren leben für gewöhnlich in sozialen Gruppen, die von Weibchen dominiert werden. Aber „sowohl Männchen als auch Weibchen verteidigen ihren sozialen Status mit Aggression und Duftmarkierungen“, erzählt die Hauptautorin der Studie, Rachel Harris. Die Ökologin arbeitete während der Studie am Duke Lemur Center.
„Die Weibchen sind dominant und aggressiv“, sagt Christine Drea, eine Anthropologin am Duke Lemur Center. Die Männchen bekämpfen einander, die Weibchen kämpfen um die Kontrolle der Gruppe und die Weibchen bekämpfen auch die Männchen, „weil sie es können“, so Drea.
Sowohl in Gefangenschaft als auch in der Wildnis ziehen sich die Tiere bei diesen Auseinandersetzungen natürlich auch Verletzungen zu.
Im Rahmen der Studie analysierten die Forscher die Genitalsekrete von 23 Lemuren im Center, die (hauptsächlich bei Kämpfen) verletzt wurden. Sie verglichen die Gerüche zum Zeitpunkt vor der Verletzung, während der Verletzung und nach der Heilung der Wunden.
Sobald die Tiere verletzt wurden, „verschwand ihre gesamte olfaktorische Signatur praktisch“, sagt Drea.
Die verletzten Lemuren verloren bis zu zehn Prozent ihres Geruchs. Dabei kam es zu einer Reduktion aller ihrer hunderten Geruchsbestandteile sowie zum vollständigen Verschwinden einiger Verbindungen.
In der Lemurengesellschaft hat der Mangel an Eigengeruch Konsequenzen für das soziale Leben der beeinträchtigten Tiere.
DER PREIS DES PARFUMS
Der Status eines Lemuren spiegelt sich in der Qualität und der Stärke seines Geruchs wieder, erklärt Drea. Um der Konkurrenz ein Schnippchen zu schlagen, markieren Lemuren daher Baumstämme und Äste mit ihrem Geruch und übersprühen auch Duftmarken, die andere Lemuren hinterlassen haben.
Wenn Männchen eine schwache Duftmarke eines verletzten Lemuren entdecken, werden sie diese mit höherer Wahrscheinlichkeit überdecken als eine starke Duftmarke eines gesunden Rivalen. Das lässt vermuten, dass Männchen mit einem schwächeren Duft von gesunden Männchen als schwächere Rivalen angesehen werden. Verletzte Männchen können eventuell auch nicht problemlos durch die Gegend streifen, um neue Markierungen abzusetzen.
Ein abgeschwächter Geruch könnte sowohl bei wildlebenden Männchen als auch bei Tieren in Gefangenschaft „ernste Folgen für den sozialen Status des Tieres innerhalb der Gruppe haben“, so Harris. „Verletzte Tiere könnten ihren hohen Status oder Zugang zu potenziellen Partnern für die Paarung verlieren.“
Die Ergebnisse der Studie lassen vermuten, dass gleiches auch für Weibchen gilt, auch wenn die Datenlage noch keine gesicherten Schlüsse zulässt. Allerdings gibt es keinen Zweifel daran, dass Geruch für Weibchen eine große Rolle spielt.
„In der Duftmarke eines Weibchens können sich bis zu 300 unterschiedliche Komponenten finden, verglichen mit den etwa 200 Komponenten bei männlichen Düften“, erklärt Harris. Die Weibchen untersuchen diese Duftmarken ihr zufolge sehr genau – vermutlich, um ihre Rivalen einschätzen zu können, „besonders andere Weibchen“.
Die Studie bestätigte auch, dass ein hoher Energieaufwand nötig ist, um diese Düfte zu produzieren. Das zeigte sich daran, dass die verletzten Tiere die Duftproduktion zurückfuhren, während sie sich auskurierten.
„Nur ein starkes, gesundes Tier kann sich das leisten“, so Drea.
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