Diese Ameisen schmücken ihr Zuhause mit den Köpfen ihrer Feinde

Wir verstehen mehr und mehr, warum eine Tierart Jagd auf Feinde machen, die größer sind als sie – und es könnte mit dem Schutz vor Kidnapper-Ameisen zu tun haben.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 9. Aug. 2019, 12:10 MESZ
Diese in Florida beheimatete Ameisenart Formica archboldi sammelt die Schädel ihrer Feinde – Wissenschaftler sind sich ...
Diese in Florida beheimatete Ameisenart Formica archboldi sammelt die Schädel ihrer Feinde – Wissenschaftler sind sich immer noch nicht sicher warum.
Foto von Adrian Smith

Forscher kommen aktuell der Lösung eines Rätsels um drei Ameisenarten auf die Spur: die Kopfjägerin, die Bissige und die Entführerin.

Seit nunmehr 60 Jahren ist der Forschung bereits eine Spezies von kleinen, rostfarbenen Ameisen bekannt: Formica archboldi. Das Besondere an ihnen ist die Angewohnheit, ihre Nester mit Schädeln bzw. Kopfhüllen verschiedener Schnappkiefer-Ameisenarten zu dekorieren.  

Das ist außergewöhnlich, denn Schnappkiefer-Ameisen sind mit effektiven Stacheln und riesigen Mandibeln ausgerüstet, die sie ähnlich einer Bärenfalle schließen können. Die massiven Mundwerkzeuge ermöglichen es den Insekten außerdem unter anderem, sich bei einem Angriff blitzschnell in Sicherheit zu katapultieren.

Die winzigen F. archboldi-Ameisen, die in Florida und den umliegenden Bundesstaaten beheimatet sind, schaffen es dennoch, sie zu bezwingen und ihre Köpfe zu erbeuten – nur wie?

„Es ist mehr als seltsam, aber bisher hat sich das niemand näher angesehen“, sagt Adrian Smith, ein Biologe, der an der North Carolina State University forscht.

In einer neuen Studie, die im Wissenschaftsmagazin Insectes Sociaux veröffentlich wurde, belegt Smith, dass F. archboldi ihre Opfer mithilfe einer hocheffizienten giftigen Säure überwältigen.

Interessanterweise scheinen Formica archboldi-Ameisen eine Vorliebe für einige Arten von Schnappkiefer-Ameisen zu besitzen. Diese Insekten sind etwas größer und können sich mit eindrucksvollen Mandibeln und einem großen Stachel verteidigen.
Foto von Adrian Smith

Das ist interessant, meint Smith. Die meisten Ameisenarten dieser Familie besitzen zwar Öffnungen, aus denen sie Säure verspritzen können, doch in der Regel ist das nur das letzte Mittel zur Verteidigung. F. archboldi dagegen setzt sie zum Angriff ein.

„Sie scheinen sich voll und ganz an solche Kämpfe angepasst zu haben“, sagt Smith.

Ungeklärt ist, was die Kopfjäger zu effizienten Gegnern von Schnappkiefer-Ameisen macht, aber der Grund dafür könnte in einer wachsartigen Schicht von Duftstoffen liegen, die Ameisen produzieren. Diese Duftstoffe sind als lange Kohlenwasserstoffketten auf ihrer harten Körperdecke, der Kutikula, verankert. Als Smith Proben dieser Duftstoffe von F. archboldi entnahm, stellte er fest, dass sie mit denen der bejagten Schnappkiefer-Ameisen fast vollständig übereinstimmten.

Das entspräche einem Löwen, der nach Zebra riecht oder einer Klapperschlange, deren Geruch einer Feldmaus gleicht.

Galerie: 35 Aufnahmen von tierischen Kämpfen

BELIEBT

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    Nun sollte man meinen, dass diese Nachahmung des Geruchsprofils der Beute den Kopfjäger-Ameisen einen Vorteil im Kampf verschafft. Dafür hat Smith jedoch keine Belege gefunden.

    Aber er hat eine andere Hypothese, die noch eine dritte Ameisenart mit einbezieht. Diese ist dafür bekannt, komplette Kolonien von F. archboldi zu entführen und sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen.

    Für Ameisen sind chemische Botenstoffe immens wichtig. Die Tiere besitzen zwar Augen, doch sie verlassen sich auf Duftstoffe um ihren Nestgenossinnen zu Nahrungsquellen zu folgen, Freunde von Feinden zu unterscheiden und um nicht versehentlich als Abfall angesehen und aus der Kolonie geworfen zu werden.

    Kopfjäger, Schnappkiefer und Entführer

    Einige Ameisen nutzen ihren Geruch jedoch als Deckmantel.

    „Die Gattung der Polyergus ist ein hochspezialisierter ‚obligatorischer Sklavenjäger‘, eine Raub- oder Kidnapperameise“, erklärt Smith.

    Wie auch immer man sie nennen will – sie macht keine halben Sachen.

    Sobald eine Kidnapper-Königin eine Kolonie von Kopfjägern identifiziert hat, schleicht sie sich hinein, ermordet die amtierende Königin und „badet dann in ihren Körperflüssigkeiten“, sagt Smith. Die Betrügerin nutzt dann ihr frisch aufgetragenes Duftprofil, um der Entdeckung zu entgehen, während sie Eier legt. Die daraus schlüpfenden Arbeiterinnen haben nur einen Job: losziehen und noch mehr Formica-Ameisen fangen.

    Ameisen opfern sich selbst, statt ihre Verletzungen behandeln zu lassen

    Smith ist der Meinung, dass es evolutionäre Vorteile hätte, wenn die Formica-Ameisen ihre Duftprofile immer wieder ändern würden, da jede Kidnapper-Ameisenart normalerweise nur eine bestimmte Unterart von Formica-Ameisen parasitiert. Durch die Veränderung des Dufts könnten die Entführer von ihrer Spur abgebracht werden.

    Tatsächlich könnte das der Grund dafür sein, dass die Kopfjäger-Ameisen sich deswegen an den Duft der Schnappkiefer-Ameisen angepasst haben, da diese nicht von den Kidnappern parasitiert werden. Das verschafft ihnen zwar keinen Vorteil gegenüber ihrer bissigen Beute, verschafft ihnen jedoch das Deckmäntelchen einer anderen Art.

    „Dafür habe ich jedoch keinerlei Beweise gefunden“, betont Smith. „Das ist reine Spekulation.“

    Eine koevolutionäre Beziehung

    Eins steht jedoch fest: Die zueinander passenden Profile von Kohlenwasserstoffketten sind kaum ein Zufall, denn diese Kopfjäger-Ameisen findet man nur in Gegenden, in denen es auch Schnappkiefer-Ameisen gibt. Außerdem imitieren die Kopfjäger nur einheimische Schnappkiefer-Arten, keine kürzlich eingeschleppten.

    All diese Hinweise deuten auf eine komplexe, koevolutionäre Beziehung zwischen den Kopfjäger- und den Schnappkiefer-Ameisen hin, sagt Smith. Wir verstehen nur noch nicht, worin diese Beziehung besteht.

    Andere Experten für diese Art nahmen diese Studie mit Überraschung und Begeisterung auf.

    „Ich finde es bemerkenswert, dass Formica archboldi die großen Schnappkiefer-Ameisen überwältigen können und sich sogar auf sie spezialisiert haben“, kommentiert Andy Suarez, ein Entomologe der University of Illinois in Urbana-Champaign. „Die Betäubung der Schnappkiefer-Ameisen mit ihrer Ameisensäure wirkt wie aus einem Film von Peter Jackson entsprungen.“

    Corrie Moreau, Entomologin am Field Museum of Natural History und National Geografic-Explorer, stimmt zu, dass die neue Studie sehr interessant ist.

    „Trotz der sorgfältigen Analyse dieser merkwürdigen Tiere bleibt jedoch die Frage, warum diese Ameisen sich mit den Skeletten ihrer Beute umgeben“, meint Moreau. „Ich frage mich, ob sie die toten Körper der Beutetiere vielleicht nutzen, um ihren Geruch als Deckmantel zu nutzen, unter dem sie sich verstecken können.“

    „Das zeigt nur wieder einmal, dass jede Erkenntnis über die Natur zahlreiche weitere Fragen aufwirft“, sagt sie.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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