Gutachten: Füttern von Stadttauben darf nicht verboten werden
Beliebt sind Stadttauben bei vielen Menschen nicht. Fütterungsverbote sind dennoch rechtswidrig – laut eines neuen Gutachtens.
Die Stadttaube hat es nicht leicht: Während ein niedliches Rotkehlchen oder der unerwartete Anblick eines Habichts, der über einer belebten Einkaufsstraße durch die Lüfte gleitet, für Freude sorgt, lösen die grauen, gurrenden Vögel in den meisten Menschen oft negative Gefühle aus. Ekel, weil sie ihren Kot – eine Taube produziert im Jahr rund drei Kilogramm davon – auf Gebäuden, Denkmälern und Parkbänken hinterlassen. Sorge, weil die sogenannten „Ratten der Lüfte“ Krankheiten übertragen sollen. Die Gefahr scheint allgegenwärtig, denn Stadttauben gibt es viele: In Deutschland leben laut Angaben des NABU zwischen 190.000 und 310.000 Brutpaare.
Zwar ist inzwischen bekannt, dass die meisten Krankheitserreger bei Tauben wirtsspezifisch sind und keine Gefährdung für den Menschen darstellen. Um die Bausubstanz zu schützen und die Zahl der Tiere einzudämmen, haben viele deutsche Kommunen trotzdem Fütterungsverbote für Stadttauben erlassen. Wer sich dem Verbot widersetzt und dabei erwischt wird, muss ein Bußgeld zahlen: In Frankfurt am Main ist mit einer Strafe von bis zu 200 Euro zu rechnen, in Hamburg, Stuttgart und Braunschweig kostet es bis zu 5.000 Euro, wenn man den Vögeln ein paar Brotkrumen hinwirft.
Ein Gutachten, das von Dr. Kathrin Herrmann, Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin, in Auftrag gegeben wurde, hat diese Verbote nun jedoch als rechtswidrig und Verstoß gegen das Tierschutzgesetz eingestuft – und gegen das Fundrecht. Der Grund: Stadttauben seien keine Wild-, sondern Haustiere.
Kommunen haben Fürsorgepflicht
Dem Gutachten zufolge handelt es sich bei Stadttauben (Columba livia forma domestica) in Deutschland immer um ehemalige Haustiere oder deren Nachkommen, die auch Generationen später das ihnen angezüchtete Verhalten – wie zum Beispiel den Brutzwang – nicht verlieren. Genanalysen haben ergeben, dass sich Stadttauben nicht mit Wildtaubenarten paaren, sodass die Nachkommen gezüchteter Tauben genetisch nicht „verwildert“ sind. Somit besteht weiterhin eine Fürsorgepflicht für die domestizierten Tiere.
Da die ursprünglichen Eigentümer der Vögel nicht mehr ermittelt werden könnten, sei die Erfüllung der Halterpflichten Aufgabe der Kommunen. Diese müssten sich um Fütterung, Pflege und tierärztliche Versorgung der Tauben kümmern – täten aber genau das Gegenteil.
„Soweit in deutschen Kommunen noch Taubenfütterungsverbote existieren, sind diese als Landesrecht rechtswidrig, da sie gegen das höherrangige Bundestierschutzgesetz und das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz verstoßen“, sagt Dr. Christian Arleth, juristischer Referent der Landestierschutzbeauftragten. „Deutsche Kommunen stehen sowohl tierschutzrechtlich als auch nach dem Fundrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Pflicht.“
Taubenschlag statt Verbot
Der beste Weg zur Umsetzung sei für Kommunen und Tiere die Errichtung betreuter Taubenschläge, in denen die Eier gegen Gipsimitate ausgetauscht würden und die Population kontrolliert werden könne. „Wie langjährige Erfahrungen von funktionierenden Taubenschlägen zeigen, ist dieses Konzept geeignet, Stadttauben an einen festen Standort zu binden“, erklärt Herrmann. So würden auch immense Kosten für Stadtreinigung und Vergrämungsmaßnahmen eingespart. „Wir haben die Chance, win-win-Situationen zu schaffen – für Menschen und Tiere.“
In Berlin wurden die Ergebnisse des Gutachtens im Koalitionsvertrag berücksichtigt. Da der Umgang mit Stadttauben aber auf kommunaler Ebene geregelt wird, hat diese Entscheidung keine bundesweiten Folgen. Hierzu müsste zunächst in einem einschlägigen Prozess ein Gerichtsurteil gegem das Verbot fallen. Möglicherweise könnte es bald dazu kommen, denn schon seit dem Jahr 2019 wird vor dem Verwaltungsgericht in Kassel die Klage einer Frau verhandelt, die wegen des Fütterns von Stadttauben Bußgeldbescheide erhalten hatte. Es ist davon auszugehen, dass das Gutachten aus Berlin in den Verhandlungen berücksichtigt werden wird.
Wenn füttern, dann richtig
Unabhängig davon, welchen Ausgang der Prozess hat und ob die Fütterungsverbote bundesweit gekippt werden müssen, sollte man Stadttauben generell nicht mit Brot füttern. Nicht nur, weil es die Tiere krank macht, sondern auch, weil durch stärkehaltiges Futter der Taubenkot saurer wird, wodurch die Substanz von Gebäuden noch stärkeren Schaden nehmen kann. Wer richtig füttern möchte, bringt Stadttauben Hülsenfrüchte oder Kerne mit – und wer die Arbeit der kommunalen Taubenschläge unterstützen möchte, lässt das Füttern ganz bleiben.