Wer schlau ist, wird alt: Großes Gehirn lässt Papageien länger leben
Forschende des Max-Planck-Instituts haben untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der extrem hohen Lebenserwartung mancher Papageienarten und der Größe ihrer Gehirne gibt. Es zeigt sich: Intelligenz ist der Schlüssel zum Überleben.
Bunt und schlau: Der Hellrote Ara hat in freier Wildbahn eine durchschnittliche Lebenserwartung von 30 Jahren – eine extreme Seltenheit in der Klasse der Vögel.
Dass die Gehirngröße im Hinblick auf die durchschnittliche Lebenserwartung von Lebewesen eine Rolle spielt, konnte bereits eine Studie von Biologen der Universität Barcelona, Spanien, aus dem Jahr 2010 zeigen: 493 verschiedene Spezies – vom Nager über den Wal bis zum Raubtier – wurden damals untersucht. Das Ergebnis: Tiere mit verhältnismäßig großen Gehirnen lebten im Vergleich länger.
Da sich die Studie jedoch ausschließlich mit Säugetieren beschäftigte, waren Papageien nicht Teil der Untersuchungen. Dabei stechen gerade diese Vögel nicht nur durch ihre bemerkenswerten kognitiven Fähigkeiten hervor – neben Rabenvögeln sind sie die intelligentesten ihrer Klasse –, sondern auch durch ihre auffällig hohe durchschnittliche Lebenserwartung. Grund genug für die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell, eigene Forschungen anzustellen, um herauszufinden, ob die Gehirngröße die lange Lebensspanne von Papageien bedingt.
In ihrer Studie – der weltweit ersten dieser Art – kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass, ebenso wie bei den Säugetieren, auch bei Papageien ein Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren besteht. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in der Zeitschrift Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.
Langes Leben dank großem Hirn – oder umgekehrt?
Am Anfang der Arbeit des Teams um Simeon Smeele, Doktorand des Instituts und Hauptautor der Studie, standen zwei Fragen, die es zu beantworten galt: Verlängert ein relativ großes Gehirn die Lebensdauer, indem es Vögeln in freier Wildbahn bessere Überlebenschancen verschafft? Und: Ist die höhere Lebenserwartung biologisch vorbestimmt, um dem Gehirn die nötige Entwicklungszeit zu geben, wie es bei Primaten der Fall ist?
Die Untersuchungen zeigten, dass Papageien mit relativ großen Gehirnen besser dazu in der Lage waren, Probleme zu lösen. Ihre kognitiven Fähigkeiten begünstigten also ihr Überleben in Situationen, die andernfalls zu einem frühzeitigen Tod hätten führen können. „Dies unterstützt die Idee, dass größere Gehirne Arten im Allgemeinen flexibler machen und ihnen ein längeres Leben ermöglichen“, sagt Smeele. „Wenn ihnen zum Beispiel ihr Lieblingsfutter ausgeht, können sie lernen, etwas Neues zu finden und so zu überleben.“ Ein großes Gehirn ist also ein Indikator für Intelligenz – und kluge Vögel leben länger.
Überrascht waren die Wissenschaftler, als sie feststellten, dass Faktoren wie die Ernährung oder die längere Entwicklungszeit, die für das Wachsen größerer Gehirne erforderlich ist, keinen Einfluss auf die durchschnittliche Lebenserwartung zu haben scheinen. „Wir hätten erwartet, dass die Entwicklungsbiologie eine wichtigere Rolle spielen würde, denn bei Primaten sind es energetische Kosten für die lange Entwicklungsdauer, die den Zusammenhang zwischen Gehirngröße und Langlebigkeit erklären“, sagt Smeele.
Jeder Papagei ist anders
Die größte Herausforderung für das Team war die Beschaffung qualitativ hochwertiger, aussagekräftiger Datensätze zur relativen Gehirngröße, dem durchschnittlichen Körpergewicht und zur Entwicklungsbiologie. „Vergleichende lebensgeschichtliche Studien erfordern große Stichproben, um Gewissheit zu erlangen, da viele Prozesse gleichzeitig ablaufen, was zu großer Varianz in den Daten führt", erklärt Smeele. Um nachvollziehen zu können, welche Aspekte für die Höhe der Lebenserwartung tatsächlich relevant sind, musste also eine möglichst große Zahl heute lebende Papageienarten miteinander verglichen werden.
Mit Unterstützung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der gemeinnützigen Organisation Species360, welche die weltweit größte Datenbank für Wildtierdaten aus Zoos und Aquarien verwaltet, war es schließlich möglich, die nötigen Daten in ausreichender Menge zusammenzutragen. Sie enthielten Informationen von rund 130.000 individuellen Tieren, auf deren Basis zuverlässige Schätzungen zur durchschnittlichen Lebensdauer von 217 Papageienarten – mehr als die Hälfte aller bekannten Papageienspezies – abgeleitet werden konnten.
Dabei zeigten sich zwischen den verschiedenen Arten große Unterschiede: Vom Buntbrust-Zwergpapagei, der im Schnitt zwei Jahre alt wird, bis hin zum Hellroten Ara, der eine durchschnittliche Lebenserwartung von 30 Jahren hat. Diese lange Lebensspanne ist laut Smeele bei Vögeln dieser Größe extrem selten: „Einige Individuen haben eine maximale Lebensdauer von über 80 Jahren, was selbst für Menschen ein respektables Alter ist. Diese Werte sind spektakulär, wenn man bedenkt, dass ein durchschnittlicher Mann beim Menschen etwa 100 Mal mehr wiegt.“
Wie beeinflusst kulturelles Lernen die Lebensdauer?
Als nächstes möchte das Team untersuchen, ob auch Sozialität und kulturelles Lernen bei Papageien in Bezug auf ihre Langlebigkeit eine Rolle spielen könnten. „Vögel mit großen Gehirnen verbringen möglicherweise mehr Zeit mit dem sozialen Lernen von Futtersuchtechniken“, erklärt Smeele. Diese längere Lernzeit könne eine weitere Erklärung für die längere Lebensspanne sein. „Eine Sache, die uns Menschen besonders macht, ist die Fülle an sozial erlernten Fähigkeiten. Wir sind sehr gespannt darauf, ob langlebige Papageien auch eine ‚Kindheit‘ haben, in der sie alles lernen müssen – vom Finden und Öffnen von Nüssen bis hin zum Vermeiden von aggressivem Verhalten dominanter Männchen.“