Selbstmedikation mit Korallenschleim: So heilen Delfine ihre Hautprobleme

Forschende haben Delfine bei einem seltsamen Verhalten beobachtet: Sie reiben sich im Riff an regelmäßig an Korallen. Der Grund offenbart ein erstaunliches, medizinisches Wissen der Tiere.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 27. Mai 2022, 10:18 MESZ
Zwei Delfine Schwimmen unter der Wasseroberfläche. An der Flosse des kleinere Delfins kann man eine Pilzinfektion ...

Ein Delfin mit einer Pilzinfektion an seiner Rückenflosse. Heilender Korallenschleim kann hier womöglich Abhilfe schaffen.

Foto von Angela Ziltener

Die Aufnahmen sind faszinierend: Geduldig warten die Angehörigen einer Familie von Indopazifischen Großen Tümmlern darauf, bis sie an der Reihe sind. Nach und nach nähern sie sich einer Koralle und reiben ihre Körper daran. Bereits vor dreizehn Jahren wurde dieses außergewöhnliche Verhaltensmuster von Delfinen erstmals von Angela Ziltener vor der Küste Ägyptens beobachtet. 

Nun konnte die Wildtierbiologin der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit der Lebensmittelwissenschaftlerin Gertrud Morlock von der Justus-Liebig-Universität Gießen und ihren Teamkollegen den möglichen Grund dafür nachweisen. Die Korallen und Schwämme, die wohl gezielt von den Tieren ausgewählt werden, enthalten wertvolle biologisch aktive Stoffe – die von den Tieren aktiv zur Behandlung von Hautkrankheiten eingesetzt werden.

Allheilmittel für die Delfinhaut

Für ihre Studie beobachteten die Forschenden das Verhalten von rund 360 Indopazifischen Großen Tümmlern während verschiedener Boots- und Unterwasseruntersuchungen mit Tauchgängen über mehrere Jahre hinweg. Schließlich machten sie zwei Korallenarten und einen Schwamm aus, die besonders bevorzugt aufgesucht wurden. Die Polypen jener Organismen – also ihre winzigen Ausstülpungen – schienen bei den Reibe-Bewegungen der Delfine ein Sekret abzugeben.

Um dem Geheimnis des sich stetig wiederholenden Verhaltens der Tiere auf die Spur zu kommen, entnahmen die Forschenden den drei Meeresorganismen schließlich Schleim-Proben. Diese wurden dann mittels einer Dünnschichtchromatographie untersucht, bei der durch ein physikalisch-chemisches Trennverfahren die Zusammensetzung einer Probe bestimmt wird.

Gefunden wurden letztendlich 17 Substanzen mit zum Teil antimikrobiellen und antioxidativen Eigenschaften. Dies bestärkte die Hypothese, die Tümmler würden das Sekret der vielzelligen Meeresorganismen gezielt nutzen. Denn laut den Forschenden könnten die Inhaltsstoffe tatsächlich dazu beitragen, das Mikrobiom der Delfinhaut zu stärken. Auch bei Infektionen oder gewissen Hautkrankheiten könnte der Schleim helfen – oder diesen sogar prophylaktisch vorbeugen.

Erlerntes Medizinwissen

Neben der Tatsache, dass die Tiere sich scheinbar geduldig abwechseln, seien auch andere Beobachtungen bemerkenswert. Laut den Forschenden „pflückten” die Delfine teilweise sogar Teile der Korallen und trugen sie für einige Minuten in ihren Mündern umher. Dabei sei es nicht selten vorgekommen, dass die Körper der Tiere sogar die grüne oder gelbliche Färbung des Schleimes annahmen. 

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    Die Jungtiere schienen sich bei ihren Annäherungen deutlich vorsichtiger an den Korallen und Schwämmen zu reiben als die Erwachsenen. „Dies würde bedeuten, dass das Verhalten und das mögliche Wissen über die Wirkungen der in Wirbellosen enthaltenen bioaktiven Verbindungen nicht angeboren ist, sondern durch soziale Lernprozesse erworben wird”, erklären Morlock, Ziltener und ihr Team in der Studie. Weitergegeben würde das Wissen dann von Generation zu Generation. Die Ergebnisse wären damit ein weiteres Indiz für die außergewöhnliche soziale Intelligenz von Delfinen.

    Dass Riffe als Lebensräume für Delfine eine große Bedeutung haben, ist nichts Neues. Sie gelten als wichtige Orte für ihr Sozialleben. Die interdisziplinäre Studie macht allerdings deutlich, dass das sowohl die Riffe mit ihren wirbellosen Bewohnern wie Korallen und Schwämmen als auch das Zusammenspiel dieses Lebensraums mit den heimischen Wirbeltieren noch viele Geheimnisse bergen. Weitere Antworten auf die vielfältigen Forschungsfragen setzen vor allem eines voraus: Den dringend notwendigen Schutz dieser Gebiete

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