Delfine lernen Werkzeuggebrauch von ihren Freunden

Eigentlich ging man davon aus, dass Delfine Jagdtechniken nur von ihren Müttern erlernen. Nun zeigt sich: Auch unter Gleichaltrigen kommt es zur Wissensvermittlung.

Von Liz Langley
Veröffentlicht am 2. Juli 2020, 12:53 MESZ
Große Tümmler bei der Jagd

Große Tümmler bei der Jagd im Kanal von Rangiroa in Französisch-Polynesien. Die Meeressäuger nutzen zwei Arten von Werkzeugen, um Nahrung zu finden – eine in der Natur seltene Verhaltensweise.

Foto von Greg Lecoeur, Nat Geo Image Collection

In der australischen Shark Bay spielt sich unter den Tümmlern Außergewöhnliches ab: Nicht miteinander verwandte Tiere wurden dabei beobachtet, wie sie sich gegenseitig eine neue Art der Werkzeugnutzung beibringen. Es ist ein Verhalten, das Wissenschaftler bisher nur bei Menschen und anderen Menschenaffen nachweisen konnten.

Darüber hinaus ist es das erste bekannte Beispiel dafür, dass Delfine dieses Wissen innerhalb derselben Generation weitergeben anstatt von einer Generation zur nächsten. Laut den Autoren einer neuen Studie sei das gerade deshalb bemerkenswert, weil solch ein soziales Lernen zwischen Gleichaltrigen in der Natur selten ist.

Untamed mit Filipe Deandrade: Delfine

Bei einer Praxis namens Shelling verfolgen Delfine kleine Fische bis an den Meeresboden, wo sich die Beute in leeren Schneckenhäusern und Muschelschalen versteckt. Die Tümmler bringen die Schalen dann an die Oberfläche, schütteln sie mit ihrer langen Schnauze, lassen das Wasser ablaufen und schnappen sich die Fische, die herausfallen.

Die Jungtiere erlernen Jagdtechniken gemeinhin von ihren Müttern: In der Shark Bay bringen die Delfinmütter ihren Jungen beispielsweise das Sponging bei, eine andere Form der Werkzeugnutzung. Dabei polstern die Tümmler ihre Schnauzen mit Schwämmen, um sie bei der Nahrungssuche zwischen den rauen Felsen zu schützen.

BELIEBT

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    Delfin beim Shelling

    Ein Delfin in der Shark Bay beim Shelling – eines von nur zwei bekannten Beispielen für die Werkzeugnutzung unter Delfinen.

    Foto von Sonja Wild, Dolphin Innovation Project

    „Der Umstand, dass das Shelling nicht von Müttern an ihre Nachkommen vermittelt wird, sondern zwischen Delfinen derselben Generation, ist ein wichtiger Meilenstein. Er offenbart Ähnlichkeiten zu bestimmten Primaten, die ebenfalls auf das vertikale und horizontale Erlernen von Strategien für die Nahrungssuche angewiesen sind“, erklärte der Studienautor und Anthropologe Michael Krützen von der Universität Zürich in einer Pressemitteilung.

    Obwohl Delfine und Menschenaffen große Unterschiede in ihrer Evolutionsgeschichte und ihren Lebensräumen aufweisen, seien sie beide langlebige Säugetiere mit großen Gehirnen und einer enormen Kapazität für Innovation und Kultur, so Krützen.

    Die Psychologin Maggie Stanton vom Franklin & Marshall College in Pennsylvania hat Schimpansen im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania sowie Delfine in der Shark Bay erforscht. Sie verweist auf den Fall einer Schimpansenfamilie in Gombe: Die hat möglicherweise von einem fremden Weibchen, das sich der Gruppe anschloss, gelernt, wie man mit Werkzeugen Termiten aus ihrem Bau holen kann.

    Das Shelling-Mysterium

    Im Jahr 2007 begann Krützen mit einer Studie über die Delfine in der Shark Bay. Dabei wurden mehr als tausend Individuen über einen Zeitraum von elf Jahren identifiziert. Während dieser Zeit beobachteten Wissenschaftler bei 19 Delfinen insgesamt42 Mal Shelling. Die Hälfte dieser Vorkommnisse ereignete sich nach einer Hitzewelle im Jahr 2011, die möglicherweise zu einem Absterben von Meeresschnecken geführt hat. Dadurch blieben mehr leere Gehäuse auf dem Meeresboden zurück.

    Aufgrund der Länge ihrer Studie hatten die Wissenschaftler sehr genaue Kenntnisse über die Familiengeschichte, das Alter, das Geschlecht und das Verhalten der einzelnen Delfine. Das erleichterte es ihnen, die 19 Delfine zu studieren, die sie beim Shelling beobachtet hatten. So stellten sie zum Beispiel fest, dass die Delfine, die das Shelling praktizieren, Zeit mit anderen Delfinen verbrachten, die diese Methode ebenfalls nutzten. Daher sei es wahrscheinlich, dass sie sich die Strategie bei Artgenossen abschauen, mit denen sie ihre Zeit verbringen, sagt Sonja Wild. Die Hauptautorin der Studie ist eine Post-Doktorandin an der Universität Konstanz.

    Galerie: Die Sprache der Delfine: Wir müssen reden

    Laut der Studie, die am 25. Juni in der Zeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht wurde, gehörten die Delfine, die das Shelling betrieben, immer derselben Generation an.

    Das Team wusste, dass auch Umweltfaktoren diese Wissensvermittlung erklären könnten – beispielsweise ein Lebensraum, in dem es viele leere Gehäuse gibt. Ein genetisches Merkmal innerhalb einer Familiengruppe wäre ein weiterer möglicher Grund.

    Deshalb kombinierten die Forscher ihre Daten über die Delfinsichtungen sowie genetische und Umweltdaten in einem Computermodell, das verschiedene Möglichkeiten der Wissensvermittlung für das Shelling untersuchte. Das Modell, welches die horizontale Wissensvermittlung stützte, lieferte laut der Studie das stärkste Ergebnis.

    Obwohl es sich bei 42 Beobachtungen nur um einen kleinen Datensatz handelt, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass das Verhalten wahrscheinlich häufig auftritt. Weil es aber nur wenige Sekunden dauert, ist es von einem Boot aus schwierig zu erkennen.

    Gruppendynamik hilft beim Lernen

    Genau wie Schimpansen leben Delfine in losen Gemeinschaften, in denen sich die Individuen frei zwischen den Gruppen bewegen. Das bedeutet, dass sie regelmäßig Kontakt zu verschiedenen Tieren und Verhaltensweisen haben – häufiger als beispielsweise eine Paviangruppe mit festen Mitgliedern.

    Delfine weisen in dieser Hinsicht Ähnlichkeit zum Menschen auf: „Manchmal ist man mit einer Gruppe von Freunden zusammen und manchmal mit der eigenen Familiengruppe, und das ändert sich im Laufe des Tages“, sagt Wild.

    Sie findet vor allem den Umfang der neuen Studie bemerkenswert, insbesondere, weil sie mögliche ökologische und genetische Gründe für das Shelling berücksichtigte.

    „Solche Langzeit-Feldstudien sind von unschätzbarem Wert – anders kommt man gar nicht an diese Daten.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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