Trauern asiatische Elefanten um ihre Toten?

Eine Studie hat erstmals das Verhalten von asiatischen Elefanten nach dem Tod ihrer Angehörigen analysiert. Grundlage für die Forschung zur Verhaltensbiologie der sozialen Dickhäuter waren Amateuraufnahmen aus dem Internet.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 15. Juni 2022, 09:01 MESZ
Eine Elefantendame mit Kalb auf einer grünen Wiese.

Elefanten gelten schon lange als ausgesprochen kluge Tiere. Doch wie emotional sind sie?

Foto von May Chanikran / Adobe Stock

Immer wieder versucht eine scheinbar verzweifelte Elefantenkuh mit Rüssel und Vorderbeinen ihrem lebloses Kalb aufzuhelfen – vergeblich. Ein anderes Video zeigt, wie ein Muttertier ihr verstorbenes Jungtier durch den Wald und über eine Straße trägt. Die verwackelten Filmaufnahmen zeigen nur einen Bruchteil der Verhaltensweisen, die bei asiatischen Elefanten nach dem Tod ihrer Angehörigen, oftmals ihrer Kälber, beobachtet werden konnten. 

Forschende des Smithsonian's National Zoo and Conservation Biology Instituts in Washington und des Instituts für Advanced Study der Universität Kyotos haben diese auf Video festgehaltenen Verhaltensmuster nun wissenschaftluch untersucht.

In einer nie zuvor dagewesenen Studie, die im Fachmagazin The Royal Society erschien, analysierten sie die – vermeintlichen – Trauerreaktionen asiatischer Elefanten. Dabei stützten sie sich hauptsächlich auf Sekundärdaten aus Amateurvideos. 

Bewegende bewegte Bilder

Da derartige Vorfälle äußerst selten in der Feldforschung beobachtet werden können, griff das Team für genauere Analysen auf 24 Videos von Fällen aus Indien, Sri Lanka, Thailand und Deutschland, die zwischen 2010 und 2021 auftraten. Diese zeigten größtenteils wildlebende, aber auch einige in Gefangenschaft gehaltene Tiere.

Die in den Videos sichtbaren Verhaltensmuster wurden für die Studie in zwei grobe Kategorien eingeteilt. Unter die erste Kategorie fiel das auffällige Tragen und Halten toter Kälber von weiblichen Elefantenkühen, vermutlich die Mütter der Kälber. Unter dem Filmmaterial befanden sich fünf solcher Fälle. Bekannt ist dieses Verhalten in ähnlicher Weise unter anderem bei Walen wie Orcas. Laut Studie zeigt dieses Verhaltensmuster, dass die Mütter definitiv spüren, dass etwas mit ihrem Nachwuchs nicht in Ordnung ist. Anhand des Bildmaterials gingen die Forschenden davon aus, dass einige der Tierkinder schon über einen längeren Zeitraum von mehreren Wochen auf diese Weise fortbewegt worden waren. 

Der zweiten Kategorie ordneten die Forschenden Verhaltensweisen zu, die auch von anderen Familien- und Herdenmitgliedern ausgingen: Unruhig anmutende Körperhaltungen, Lautäußerungen in Form von Gesang und Luftstößen oder das Beschnüffeln und Berühren des toten Körpers. Auch pflegerisches Verhalten wie die vergeblichen Versuche, das verstorbene Familienmitglied anzuheben oder zu stützen wurde analysiert. Die Tiere wurden zudem dabei gefilmt, wie sie die Kadaver durch eine scheinbare Totenwache durch teils aggressives Verhalten vor Angreifern oder Menschen zu schützen versuchten oder mit Körperkontakt neben diesen schliefen. 

Trauer oder keine Trauer?

Wie auch bei ihren afrikanischen Verwandten, steht nun die Frage im Raum: Ist dieses Verhalten auf Emotionen wie Kummer oder gar Trauer zurückzuführen? „Wenn ich als Mensch sehe, dass ein Elefant so reagiert, denke ich, dass er eine emotionale Verbindung mit den Verstorbenen hat“, sagt Sanjeeta Sharma Pokharel. „Aber als Wissenschaftler müssen wir es beweisen.“ Doch das sei auch nach der Studie noch nicht abschließend möglich.

Elefant schlägt Löwen in die Flucht
Angriff ist die beste Verteidigung: Das dominante Weibchen demonstriert dem Rest der Elefantenherde, wie man Löwen vertreibt. Szenen aus „Afrikas tödlichste Jäger“.

„Zusammengenommen weisen diese Beobachtungen darauf hin, dass asiatische Elefanten Interesse an sterbenden und toten Artgenossen zeigen”, so Pokharel und ihr Team. Die Motivation für das Verhalten gegenüber der toten Familienmitglieder könne zwar durchaus auf sogenannte thanatologische Verhaltensweisen zurückgeführt werden, also tatsächlich in besonderem Maße mit dem Sterben und dem Tod verbunden sein. Ob die Tiere diese Prozesse jedoch auch auf kognitiver Ebene als solche deuten können und es sich um Rituale zur Trauerbewältigung im menschlichen Sinne handelt, bleibt laut Studie offen und wird in Zukunft weiter untersucht. 

Verhaltensbiologie: Hilfe durch Soziale Medien

Im Hinblick auf die ausgewerteten Daten zeigt die Studie, dass die Wissenschaft von Aufnahmen seltener Momente profitieren kann und sich dadurch ganz neue Möglichkeiten für die Forschung eröffnen. Aufgrund der geringen Häufigkeit und Dauer von gewissen Verhaltensweisen – auch bezogen auf den Tod eines Familienmitgliedes – sei diese unmittelbare Dokumentation unglaublich wertvoll, um die Verhaltenskomplexität einer Art zu entschlüsseln, so die Studie. 

Diese Sekundärdaten stellten „eine wichtige Ergänzung für die Untersuchung mehrerer Themen in der Verhaltensökologie von Tieren” dar. Die zusätzlichen Informationsquellen dienen also nicht nur einem besseren Verständnis der Zusammenhänge der Wildtierökologie – sondern bieten auch Aufschluss bezüglich der Bedrohung und des Schutzes bestimmter Tierarten.

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Dennoch können durch Erfassen solcher Sekundärdaten auch wertvolle Informationen verloren gehen. Die festgehaltenen Momente würden lediglich einen unbekannten Bruchteil des gesamten Repertoires an Bewältigungen des Todes der Elefanten darstellen, ergänzen die Forschenden. Es sei beispielsweise nicht auszuschließen, dass die direkten Einflüsse von Menschen das aufgewühlte Verhalten zusätzlich beeinflussen. 

Auch der direkte Vergleich mit menschlichen Emotionen sei laut Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht leichtfällig zu treffen. Denn um die tatsächlichen Motivationen und Emotionen der hochintelligenten Tiere zu entschlüsseln, müsse die Forschung tiefer greifen. 

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