Warum erkranken Elefanten so selten an Krebs?

Aktuelle Tests an Genen könnten wichtige Hinweise zu der überraschend niedrigen Krebsrate der großen Tiere liefern.

Von Maya Wei-Haas
Veröffentlicht am 15. Aug. 2018, 15:53 MESZ
Gemessen an ihrer enormen Körpergröße und ihrer langen Lebenserwartung, haben Elefanten eine erstaunliche niedrige Krebsrate. Forscher ...
Gemessen an ihrer enormen Körpergröße und ihrer langen Lebenserwartung, haben Elefanten eine erstaunliche niedrige Krebsrate. Forscher wollen herausfinden, warum das so ist, um neue Behandlungsmöglichkeiten für Menschen zu entwickeln.
Foto von Michael Nichols

Etwa 30 Milliarden Zellen machen jeden von uns zu dem Menschen, der er ist. Gemeinsam mit zahlreichen Mikroben hält dieser Zellmotor unseren Körper am Laufen. Er sorgt dafür, dass unser Herz schlägt, unser Magen verdaut und unsere Muskeln arbeiten. Im Laufe der Zeit teilen sich die Zellen, damit die neuen die alten ersetzen können. Dass es dabei auch zu genetischen Fehlern kommt, ist fast unvermeidbar. Nicht selten resultieren diese Kopierfehler in Krebs.

Statistisch gesehen sollten größere Tiere, die auch mehr Zellen haben, daher öfter an Krebs erkranken. Dieser Logik zufolge müssten Elefanten, die hunderttausende Male mehr Zellen als kleinere Säugetiere haben, eine viel höhere Erkrankungsrate aufweisen. Das ist aber nicht der Fall.

Eine Studie, die im August 2018 im Fachmagazin „Cell Reports“ erschien, liefert neue Hinweise auf die Ursache dieses Phänomens.

„Von einer evolutionären und biologischen Perspektive aus gesehen, ist das absolut faszinierend“, sagt Joshua Schiffman, ein pädiatrischer Onkologe der University of Utah, der an der Studie nicht beteiligt war. „Das ist ein großartiger Anfang“, findet er, mahnt aber auch zu weiteren Tests, die die Erkenntnisse bestätigen müssen. „Ich glaube, wir stehen gerade erst am Anfang.“

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DAS DILEMMA DER KÖRPERGRÖSSE

Im Jahr 2015 veröffentlichten Schiffman und sein Team eine Studie, in der sie ein ausschlaggebendes Detail dieser Diskrepanz zwischen Größe und Krebshäufigkeit beschrieben – ein Dilemma namens Peto’s Paradox. Sie entdeckten, dass die Rüsselträger zusätzliche Kopien eines Gens namens P53 haben, welches die Tumorbildung unterdrückt. Menschen haben nur eine Kopie dieses Gens, Elefanten haben 20.

Wenn sich die Zellen im Körper eines Tieres teilen – egal ob Mensch, Elefant oder Wal –, agieren diese Gene wie ein Arzt, der eine medizinische Ersteinschätzung vornimmt. „P53 kann DNA Schäden erkennen und fragt dann: ‚Okay, welche Optionen haben wir?‘“, erklärt Amy Boddy, eine Biologin der University of California in Santa Barbara, die an der Studie nicht beteiligt war. Zellen mit kleineren Fehlern können repariert werden, aber wenn der Schaden zu groß ist, wird die Zelle zu einem Krebsrisiko. Dann legt P53 fest, dass sie zerstört wird.

Bei den meisten Tieren läuft diese Entscheidung oft auf die Reparatur der Zelle hinaus. Elefantenzellen hingegen werden häufiger zerstört, erklärt der Studienautor Vincent Lynch, ein Evolutionsbiologe an der University of Chicago. „Elefanten sind seltsam“, sagt er. „Wenn man die DNA ihrer Zellen beschädigt, sterben [die Zellen] einfach.“ Lynch wollte wissen, warum das so ist. Er hat das Team geleitet, welches die zusätzlichen P53-Gene bei Elefanten unabhängig bestätigt hat.

STUMMER KILLER

Lynch und seine Kollegen machten sich auf die Suche nach anderen genetischen Unterschieden zwischen Elefanten und kleineren Säugetieren. Besonderes Augenmerk legten sie dabei auf Gene mit zusätzlichen Kopien. Etwas fiel ihnen dabei besonders auf: Der Leukämiehemmender Faktor (LIF), der auch für seine Rolle bei der Fruchtbarkeitssteigerung bekannt ist.

„Es hat mich ein bisschen überrascht, dass es die LIF-Gene sind“, so Boddy. Fruchtbarkeit scheint relativ wenig mit Krebsprävention zu tun haben, aber Lynch glaubt, dass LIF6 noch eine andere Funktion erfüllen könnte: die Vernichtung beschädigter Zellen.

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    Die meisten Säugetiere – vom winzigen Pfeifhasen bis zum Zwergwal – besitzen nur eine LIF-Kopie. Aber Elefanten und ihre nahen Verwandten, darunter auch die Seekuh und der Schliefer, haben mehrere. Elefanten verfügen über sieben bis elf Kopien, „je nachdem, wie man zählt“, sagt Lynch.

    Nur eine davon scheint eine Funktion zu erfüllen: LIF6. Bisher wurde das Gen nur bei Elefanten gefunden.

    LIF6 tauchte vor etwa 59 Millionen Jahren in den Genen der Elefantenvorfahren auf, wie die Studienautoren vermuten. Zunächst war es wahrscheinlich nur ein nutzloses, defektes Gen. Aber als die Tiere sich weiterentwickelten, veränderte sich auch das Gen. Diese Veränderungen könnten letztendlich dazu beigetragen haben, dass Elefanten eine solche Größe erreichen können.

    Wenn P53 der Arzt ist, der die Ersteinschätzung vornimmt, dann führt LIF6 seine Anweisungen aus und vernichtet die geschädigten Zellen.

    Lynch und sein Team demonstrierten die Genaktivität von LIF6, indem sie Zellen Afrikanischer Elefanten im Labor schädigten. Dieser Schaden schien dafür zu sorgen, dass P53 das LIF6-Gen aktivierte, welches die betroffenen Zellen tötete. Als die Forscher verhinderten, dass LIF6 einschritt, schien die den Elefanten eigene Empfindlichkeit gegenüber Zellschäden zu verschwinden, wie Lynch sagt.

    NETZWERKE GEGEN KREBS

    LIF6 sei aber nicht das einzige Gen, das den Krebs in Grenzen hält, betont Lynch. „LIF6 spielt eine kleine Rolle in einem großen Prozess“, erklärt er. Schiffman stimmt dem zu und sagt, dass es „fast mit Sicherheit noch andere Erkenntnisse geben wird.“ Eine solche Erkenntnis gewann sein Team Anfang des Jahres. Sie betrifft ein weiteres Set an Genen, das dabei hilft, defekte Elefanten-DNA zu reparieren, anstatt betroffene Zellen zu töten.

    Die Forscher hoffen, dass die Erforschung der Krebsabwehrmechanismen der Tiere bei der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für den Menschen helfen kann. „Dafür waren 59 Millionen Jahre der Evolution notwendig“, sagt Schiffman über die Entwicklung von LIF6. „Ich finde, das sind 59 Millionen Jahre der Forschung und Entwicklung. 59 Millionen Jahre, in denen die Natur versucht hat herauszufinden, wie sich Krebs am besten vermeiden lässt.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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