Das Dorf der Elefanten: Zwischen Tradition und Ausbeutung

In Ban Ta Klang leben die Menschen mir ihren Elefanten zusammen, die sie für den Tourismus aufziehen und trainieren.

Von Natasha Daly
bilder von Kirsten Luce
Veröffentlicht am 8. Nov. 2019, 16:33 MEZ
Thong Bai, der Chang Beer-Werbespot-Star, ist einer von einigen hundert in Gefangenschaft gehaltenen Elefanten, die im ...
Thong Bai, der Chang Beer-Werbespot-Star, ist einer von einigen hundert in Gefangenschaft gehaltenen Elefanten, die im Dorf Ban Ta Klang leben. Wenn er nicht in der Unterhaltungsindustrie arbeitet, ist er in diesem Gehege angekettet.
Foto von Kirsten Luce

Solange Juthamat Jongjiangam sich zurückerinnern kann, gibt es im thailändischen Dorf Ban Ta Klang schon Elefanten.

„Seit ich zwei oder drei war, hatte ich immer Elefanten um mich“, erklärt sie, während sie ihre kleine Tochter vor dem Haus der Familie in Ban Ta Klang stillt. Der winzige Ort liegt im Osten Thailands. Ein paar Meter zu unserer Linken stehen vier Elefanten angekettet an ihren Plätzen.

Jongjiangam ist eine Mahut – eine Elefantenpflegerin und -trainerin. Auch ihr Vater und Bruder sind Mahuts. Und sie möchte, dass ihre Tochter ebenfalls mit Elefanten aufwächst.

Das Zuhause der Familie ist eines von vielen, die sich auf der roten Erde des Dorfes aneinanderreihen. Vor jedem Haus gibt es eine breite Plattform aus Bambus, auf der man sitzt, schläft und fernsieht.

Ein Mahut übt mit einem jungen Elefanten den Rüsselstand. Sobald der Elefant eines Mahuts drei Tricks beherrscht und aktiv an einer der örtlichen Vorführungen teilnimmt, zahlt die thailändische Regierung einen monatlichen Beitrag zu seinem Unterhalt.
Foto von Kirsten Luce, National Geographic

Als ich in der Abenddämmerung die Hauptstraße entlanggehe, fallen mir die vielen, hellen Fernsehbildschirme auf, doch vor allem sehe ich überall Elefanten. Vor einigen Häusern steht nur einer, vor anderen entdecke ich bis zu fünf Tiere unter den hohen Bäumen und in mit Planen oder Wellblech abgedeckten Verschlägen. Einige stehen eng zusammen – Mütter mit ihren Kälbern –, die meiste sind jedoch allein. Fast alle tragen Fußfesseln oder Hobbel, mit denen ihre Vorderbeine zusammengebunden sind. Zwischen ihren Beinen laufen Hunde und Hühner umher und wirbeln dabei roten Staub auf.

In Thailand leben rund 3.800 Elefanten in menschlicher Obhut und sie sind ein Eckpfeiler der thailändischen Tourismusindustrie. Viele arbeiten in Camps, wo sie für Touristen Kunststücke vorführen und für die Besucher zum Anfassen nah sind. In Ban Ta Klang, das auch als „Dorf der Elefanten“ bekannt ist, gibt es immer etwa 300 Elefanten. Die umliegende Region in der Provinz Surin rühmt sich, dass hier mehr als die Hälfte aller in Gefangenschaft lebenden Elefanten des Landes zu finden ist.

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BELIEBT

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    Schon lange bevor die Touristenmassen nach Thailand kamen auf der Suche nach Elefantenreiten und anderer Unterhaltung, war diese Region das Zentrum des Elefantenhandels. Die Tiere waren Wildfänge, die gezähmt und auf die Holzarbeit trainiert wurde. Nachdem die Abholzung im Jahr 1989 verboten wurde, waren viele Mahuts plötzlich arbeitslos. Also zogen sie mit ihren Elefanten in die Städte, wo sie durch die verkehrsreichen Straßen wanderten und um Trinkgelder bettelten.

    Nun erfährt das Geschäft mit den Elefanten einen neuen Boom: Tourismus. Jedes Jahr im November werden in Surin, der gleichnamigen Hauptstadt der Provinz, Hunderte von ihnen angeboten, gekauft und verkauft.

    Ban Ta Klang ist als „Dorf der Elefanten“ bekannt und während der letzten Jahre immer beliebter unter Touristen geworden. Die Besucher möchten sehen, wie Menschen und die Elefanten in ihrer Obhut eng zusammenleben. Elefantentourismus ist ein Eckpfeiler der thailändischen Tourismusindustrie.
    Foto von Kirsten Luce, National Geographic

    Die Regierung fördert die Abrichtung von Elefanten für die Tourismusindustrie, indem sie den Mahuts monatliche Subventionen zahlt. Sobald ein Elefant drei Tricks vorführen kann und aktiv an den örtlichen Shows teilnimmt oder für Ritte mit Touristen zur Verfügung steht, wird der Betrag ausbezahlt. Viele der Mahuts in Ban Ta Klang, darunter auch Jongjiangams Familie, nehmen an dem Programm teil.

    „Die Elefanten werden vererbt“, sagt Wanchai Sala-ngam, ein Mahut dessen Haus nur fünf Minuten zu Fuß von Jongjiangams entfernt liegt. „Genauso wie der Grundbesitz.“

    Aber nicht jeder Mahut in Ban Ta Klang genießt das Privileg einer Erbschaft. Viele von denen, die sich um die Elefanten kümmern, besitzen sie nicht – so ist es auch bei Jongjiangams Familie. Stattdessen zahlen die Eigentümer, die oft nicht einmal in Surin leben, den Familien ein bescheidenes Gehalt für die Pflege und das Training ihrer Elefanten für die Unterhaltungsindustrie.

    Die Elefanten in Ban Ta Klang leben mit den Menschen zusammen. Viele werden vor den Häusern an kurzen Ketten angebunden. Das Dorf ist ein Hotspot für die Elefantenindustrie in Thailand: Hier werden sie gezüchtet und trainiert und viele werden von hier aus an Camps im ganzen Land verkauft, um dort zu arbeiten und auf engstem Raum ihr restliches Leben zu verbringen.
    Foto von Kirsten Luce, National Geographic

    Einer der Elefanten, die Jongjiangams Familie in der Vergangenheit trainierte, wurde schließlich in ein Camp in Chiang Mai verkauft, einem Hotspot der Elefantentourismus-Industrie. „Es ist normal, dass junge Elefanten in diese Camps verkauft werden“, erklärt sie und fügt dann hinzu, dass die Elefanten, die sie aufziehen und um die sie sich kümmern, für sie zur Familie gehören. „Aber wenn sie eines Tages weggeholt werden, kann man nichts dagegen tun. Einmal wurde meinem Vater ein Elefant weggenommen, ohne dass er sich auch nur verabschieden konnte.“

    Siriyupha Chalermlam, 16, ruht sich mit ihrer Tochter Joy vor dem Haus ihres Vaters in Ban Ta Klang aus. Die Familie verdient ihren Lebensunterhalt mit der Aufzucht von vier Elefanten. Sobald sie ausgebildet sind, können die Elefanten aus Ban Ta Klang an Touristikunternehmen verkauft oder für Events vor Ort vermietet werden.
    Foto von Kirsten Luce, National Geographic

    Sri Somboon, der Nachbar der Familie, besitzt eigene Elefanten. Sein Vater war Elefantenfänger und lehrte seinen Sohn das Handwerk der Mahuts ab dem Alter von sieben oder acht Jahren. Somboon ist inzwischen mittleren Alters und hat bereits sechs Elefanten aufgezogen. Fünf von ihnen leben in Ban Ta Klang, einer arbeitet in einem Camp in der Touristenhochburg Pattaya an der Küste.

    „Hauselefanten“, meint Somboon und gestikuliert in Richtung Garten, während er die Lautstärke seines Fernsehers leiser dreht. Neben seiner Terrassenplattform, wo ein zwei Monate alter Babyelefant neben seiner Mutter spielt. Somboon deutet auf die andere Straßenseite, wo ein dritter seiner Elefanten an einen Baum gebunden ist, ein dreijähriger Bulle namens Saeng Kaem. Er schwenkt den Kopf vor uns zurück und schlägt mit dem Rüssel. Das Tier sieht aus, als würde es den Verstand verlieren.

    Somboon führt aus, dass Saeng Kaem gerade mitten im Training steht und große Fortschritte beim Malen macht. Das ist einer der Tricks in Elefantenshows, die man oft sieht: Ein Elefant fährt mit einem Pinsel über ein Papier, geführt von seinem Mahut mithilfe des Elefantenhaken – einem Holzstock an dessen Ende ein spitzer Metallhaken befestigt ist. Saeng Kaem wurde bereits für 80.000 Dollar verkauft, ein durchschnittlicher Preis für einen jungen, ausgebildeten Elefanten in Thailand. Wenn Saeng Kaem bereit ist, sagt Somboon, wird er in einem Touristencamp weiter südlich arbeiten.

    Eine komplexe Tradition

    An einem Abend sitze ich mit Wanchai Sala-ngam und Jakkrawan Homhual vor Homhuals Haus. Beide sind 33 Jahre alt und seit ihren Kindertagen beste Freunde. Unser Gespräch dreht sich um das Training der Elefanten.

    Die beiden Männer erklären mit, dass die Jungtiere mit etwa zwei Jahren von ihren Müttern getrennt werden. Die Mutter wird an einen Baum gebunden, das Baby weggebracht und eingesperrt. Sie verwenden den Elefantenhaken an einem seiner Ohren, um dem Jungtier Basiskommandos beizubringen: nach links und rechts gehen, sich umdrehen und anhalten. Damit ein Elefant lernt, sich hinzusetzen, „fesseln wir seine Vorderbeine“, sagt Sala-ngam. „Ein Mahut benutzt den Elefantenhaken am Rücken. Der andere zieht an einem Seil an den Vorderbeinen.“ Er fügt außerdem hinzu: „Um Elefanten zu trainieren, muss man den Elefantenhaken benutzen, damit sie gehorchen.“

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    Die Tradition der Elefantenhaltung vereint viele Aspekte, die sich auf den ersten Blick zu wiedersprechen seinen und für Außenstehende nur schwer miteinander zu vereinbaren sind. Die Mahuts sprechen von ihren Elefanten als Familienmitgliedern, doch sie nutzen auch Elefantenhaken und andere bestrafende Trainingsmethode. Außerdem werden die Tiere oft mit Hobbeln an der Fortbewegung gehindert. In Ban Ta Klang gibt es einen beinahe idyllisch wirkenden Elefantenfriedhof: Mehr als 100 gepflegte Elefantengräber mit den für Thailand typischen Grabsteinen in Form von traditionellen Hüten. Sie sollten den Elefanten an ihrer letzten Ruhestätte symbolisch Schatten spenden. Doch unweit des Friedhofes gibt es auch einen Kreisverkehr mit Stauen von Elefanten, die von Elefantenfängern geritten werden. In den Händen halten die Fänger Seile und Elefantenhaken.

    Die tief verwurzelte Tradition der Elefantenzähmung ist von den Aspekten Respekt und Ausbeutung geprägt, die ständig miteinander im Streit zu liegen scheinen. Und diese Spannungen werden noch verstärkt, da die Mahuts zunehmend mit der Kommerzialisierung ihrer traditionellen Lebensweise für die profitable Unterhaltungsindustrie zu kämpfen haben, die auf den Rücken der Elefanten aufgebaut wurde.

    Jongjiangam hat Ban Ta Klang einmal verlassen, um in einem Elefantencamp in der Küstenstadt Hua Hin zu arbeiten. „Es war sehr anstrengend.“ Sie erzählt von dem Druck den das Management auf sie ausübte, damit ihr Elefant sich bei den Shows gut präsentiert. „Wenn der Elefant nicht gut ankam, wurde mir der Lohn gekürzt.“

    An elephant practices painting in Ban Ta Klang. Painting is one of the most common tricks in elephant shows. Typically the elephant is guided by a mahout who bears a bullhook—a wooden stick with a sharp metal hook at the end.

    Foto von Kirsten Luce, National Geographic

    Mehrere Einwohner von Ban Ta Klang sprechen mit mir darüber, dass die Camps oft Leute ohne Erfahrung mit Elefanten für die Arbeit als Mahuts einstellen. „Vielen von denen wollen einfach nur einen Job“, meint Sala-ngam. Er ist zwar der Meinung, dass der Einsatz des Elefantenhakens manchmal notwendig ist, wenn das Tier nicht gehorcht, betont aber auch, dass „man ihn nicht die ganze Zeit über benutzen darf.“ Er erzählt, dass er gesehen hat, wie Mahuts in vielen Camps in Pattaya und Phuket die Haken übermäßig oft einsetzen, insbesondere, wenn der Elefant keine Trinkgelder einbringt.

    „Leute, die sie nicht selbst aufziehen, verstehen sie nicht. Deswegen schlagen sie sie.“ Für Sala-ngam ist das frustrierend. „Die Leute denken, wir wären die Bösen, obwohl wie uns nicht verhalten [wie einige der Camp-Mitarbeiter] und auch ganz anders denken.“

    Jongjiangam blieb nur zwei Monate in dem Camp in Hua Hin, bevor sie nach Ban Ta Klang zurückkehrte. „Ich will hier nicht mehr weg“, sagt sie über ihre Heimatstadt. „Hier kenne ich die Elefanten.“

    Ein Umzug mit 500 Elefanten

    Viele der Einheimischen geben an, dass der monatliche Beitrag der Regierung es ihnen ermöglicht, in Ban Ta Klang zu bleiben. Dennoch ist das Leben hier schwierig, insbesondere für die Elefanten.

    Laut Sala-ngam gab es früher mehr Land und die Elefanten konnten ihre Kindheit und Jugend an längeren Ketten im Wald verbringen. Sie konnten ihre Umwelt erkunden und sich freier bewegen als heute.

    Jetzt, meint er, sind weite Teile dieses Landes verschwunden, wurden verkauft und für Landwirtschaft und Bauprojekte gerodet. Das Futter für die Elefanten ist extrem knapp. Er deutet auf die Häuser und Elefantengehege auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Das war früher alles Wald.“

    Einige der örtlichen Mahuts sind Mitglieder des Surin Projects das im Jahr 2009 von der Save Elephant Foundation ins Leben gerufen wird. Die gemeinnützige, thailändische Stiftung arbeitet mit der Provinzregierung von Surin zusammen. Das Projekt hat seinen Sitz auf einer Fläche von 800 Hektar, das die Regierung die die Regierung wiederaufforsten lassen will. Teilnehmende Mahuts können ihre Elefanten hierher bringen, um sie frei laufen zu lassen und sie arbeiten mit Touristen zusammen, die Geld bezahlen, um beispielsweise bei der Feldbepflanzung und dem Aufbau provisorischer Unterstände für die Elefanten zu helfen. Die Mahuts erhalten wöchentliche Zahlungen für ihre Mitgliedschaft und ihre Bereitschaft, das Leben ihrer Elefanten zu verbessern.

    Das Surin Project bietet eine alternative Tourismus-Einnahmequelle zur traditionellen Unterhaltungsindustrie mit Elefanten; doch deren Einfluss auf die Mahuts in Ban Ta Klang kann wohl nicht so schnell gebrochen werden. Oft wird das Argument angebracht, dass die 3.800 in Gefangenschaft lebenden Elefanten in Thailand mehr davon haben, in Shows für Touristen auftreten, als bettelnd durch die Straßen der Städte zu ziehen. Doch solange Touristen bereit sind, viel Geld für die Begegnung mit Elefanten zu zahlen, wird die Zucht und Ausbildung von kleinen Elefanten – in Ban Ta Klang und andernorts – in jedem Fall weitergehen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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