Love Island in Wuppertal: Wie ein Zoo Papageien verkuppeln will

Bei der Partnerwahl sind Hyazinth-Aras anspruchsvoll. Die Single-Börse Aralandia in Wuppertal soll helfen: Hier können sich Vögel aus verschiedenen Zoos kennen- und lieben lernen. Funktioniert das?

Von Viola Diem
Veröffentlicht am 26. Juli 2022, 10:32 MESZ
Zwei Hyazinth-Aras in Aralandia, einer Anlage im Wuppertaler Zoo.

Ist es ein Match? Zwei Hyazinth-Aras in Aralandia, einer Anlage im Wuppertaler Zoo. Hier sollen die 16 Aras internationaler Herkunft "verkuppelt" werden, um sich im Anschluss zu vermehren. Denn: Papageien sind die am stärksten gefährdete Vogelgruppe der Welt, wildlebende Tiere eine Seltenheit. 

Foto von Claudia Philipp

Das Ara-Weibchen ist umzingelt. Beziehungsweise: „umsinglet“. An einem warmen Junimorgen nähern sich gleich zwei interessierte Männchen. Das eine hat dem Weibchen Futter mitgebracht – ein Trick, der bei Hyazinth-Ara-Damen oft funktioniert. Das Männchen stellt damit unter Beweis, dass es sich kümmern könnte, sollte das Weibchen eines Tages seine Küken ausbrüten. Doch das Weibchen scheint nicht überzeugt. Es tippelt unentschlossen von einem Kandidaten zum anderen und guckt an ihnen vorbei in die Voliere: Ist der Richtige vielleicht doch noch da draußen?

Da draußen, das ist Aralandia, eine Anlage im Wuppertaler Zoo, die in dieser Form einzigartig ist: Aralandia ist eine Partnerbörse für Papageien. 2021 wurde sie offiziell eröffnet, momentan leben hier 16 kobaltblaue Hyazinth-Aras. Sie kommen aus Frankreich, den Niederlanden, Deutschland – und sie alle sind Singles. Das Ziel: Sie sollen hier die „Liebe ihres Lebens“ finden und sich dann irgendwann vermehren.

Ein Masterstudent, der die Aras für ein Forschungsprojekt beobachtete, verglich Aralandia augenzwinkernd mit der Fernsehsendung Love Island. Dort kommen Singles auf eine Insel und dürfen erst nach Hause, wenn sie einen Partner gefunden haben. Währenddessen werden sie beim Flirten beobachtet. Im Gegensatz zu ihnen stellen die gefiederten Kandidaten in Wuppertal sich nicht freiwillig zur Schau, sondern werden von ihren Heimatzoos aus dem internationalen Zooverband EAZA (European Association of Zoos and Aquaria) auf unbestimmte Zeit nach Deutschland geschickt. Irgendwann dürfen sie wieder zurück – im besten Fall mit einem Partnervogel an ihrer Seite.

Nur noch wenige wildlebende Tiere

Papageien sind die am stärksten gefährdete Vogelgruppe der Welt. Das gilt auch für Hyazinth-Aras, die mit bis zu einem Meter Länge größten flugfähigen Papageien unseres Planeten, die seit 2016 auf der Roten Liste gefährdeter Arten des IUCN geführt werden. Besonders die fortschreitende Zerstörung ihres Lebensraums und illegaler Tierhandel gefährden die Spezies.

In Südamerika laufen bereits mehrere Projekte zum Schutz der Vögel. Trotzdem leben unterschiedlichen Schätzungen zufolge nur noch zwischen 4.300 und 6.500 Exemplaren in der freien Natur – Tendenz sinkend. Die größte Population ist im Pantanal zu Hause, dem größten Sumpfgebiet der Erde, das in Brasilien, Bolivien und Paraguay liegt.

Erst wählerisch, dann treu

Dass Hyazinth-Aras sich nur sehr langsam vermehren, ist eine weitere Schwierigkeit. Sie brüten erst spät, meist zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr. Davor sind sie sehr wählerisch bei der Partnersuche, denn wenn sich zwei Vögel gefunden haben, verbringen sie meist ihr ganzes Leben miteinander.

In ihrem natürlichen Lebensraum finden Hyazinth-Ara-Singles in der Regel mehrere potenzielle Partner, schnäbeln mal hier, mal dort, bis sie sich dann irgendwann auf einen Vogel festlegen. Bei diesem Ansatz, Aras in einer großen Gruppe zu halten, setzt das Konzept von Aralandia an – die meisten Zoos halten nur ein Weibchen und ein Männchen. Zwar werden die Zuchtbücher zurate gezogen, ehe man die Tiere zusammensetzt und zu verkuppeln versucht. Aber nur, weil zwei Vögel genetisch ein hübsches Paar abgeben, muss in der Praxis nicht unbedingt die nötige Anziehung bestehen. Viele Zoos haben Zuchtschwierigkeiten, der Nachwuchs lässt auf sich warten oder bleibt ganz aus.

BELIEBT

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    Vier der 16 Aras, die in Aralandia einen Partnervogel finden sollen. Sie kommen aus Frankreich, den Niederlanden, Deutschland – und werden nach Wuppertal geschickt, um sich zu vermehren. Anschließend ziehen sie wieder zurück – bestenfalls mit Partnervogel. 

    Foto von Kranz

    Von katastrophaler Haltung zum Single-Paradies?

    Im Zoo in Wuppertal werden seit fast 100 Jahren Aras gehalten, darunter auch Hyazinth-Aras. Die Haltung sei allerdings lange katastrophal gewesen, sagt Zoodirektor Arne Lawrenz. Der Platz war begrenzt, die Tiere durch gestutzte Flügel flugunfähig gemacht, und den Partner selbst aussuchen konnten sie sich auch nicht.

    Im Laufe der Jahre hat laut Lawrenz ein Umdenken hin zu nachhaltigeren Zuchtabsichten stattgefunden – generell und auch bei ihm selbst. Dass die Vögel sich aus einer größeren Gruppe einen Partner aussuchen können, ist der erste Schritt. „Das Ziel von Aralandia ist es langfristig, die Population zu vergrößern. Nicht für den Selbstzweck, sondern um die Tiere auszuwildern“, erklärt Lawrenz. Zwar ist schon früher Ara-Nachwuchs im Wuppertaler Zoo geschlüpft, es handelte sich aber häufig um Hybride, also Mischlinge aus verschiedenen Ara-Arten. Ein Umstand, der eine Auswilderung ausschließt. Auch die Prägung der Tiere auf den Menschen, die bisher üblich war, stand dem entgegen. All das sollte in Aralandia anders werden.

    Im Jahr 2013 begann ein Team aus Tierärzten, Architekten, Landschaftsgärtnern und Softwareentwicklern an Aufbau, Technologien und Nachhaltigkeitskonzepten zu feilen. Die Kosten von etwa sechs Millionen Euro für Entwicklungen und Bau wurden aus Spenden an den Zoo-Verein Wuppertal e.V. finanziert. Nach und nach zogen Vögel in Aralandia ein, bis im Jahr 2021 die offizielle Einweihung für Zoo-Besucher stattfand.

    Hightech für die Vogelzucht

    Die Gäste betreten Aralandia durch eine Sicherheitsschleuse. Das Geschrei der Aras ist schon aus einiger Entfernung zu hören, auf einem Pfad, der durch das Gelände führt, kann man die Tiere dann aus der Nähe beobachten. An diesem Tag halten sich die meisten Vögel auf Ästen und auf dem Dach des Besucherhäuschens auf. Für die Lehmmauer und die Wasserfälle interessiert sich gerade keiner von ihnen. Die Aras haben Gesellschaft. Irgendwo im Dickicht versteckt sich ein südamerikanisches Pudu, das aussieht wie ein geschrumpftes Reh. Ein Schwarm Sonnensittiche piepst noch im Stall. An der Mündung eines kleinen Bachs stehen 17 Chile-Flamingos grazil und teils kopfunter im Teich.

    Die Flugvoliere ist 1.100 Quadratmeter groß und neun Meter hoch. Die Aras können sich darin frei bewegen. Über mehrere Tunnel in einer Steinmauer gelangen sie vom Stall in den Außenbereich. Hyazinth-Aras nisten zwar in Höhlen, sind aber normalerweise nicht in Tunneln wie diesen unterwegs. Während einer Eingewöhnungsphase lernen sie selbstständig die Durchgänge zu benutzen.

    Die Tunnel wurden speziell für die Anlage entwickelt und fungieren als Schleuse. Sie sind verschließ- und herausnehmbar, sodass man die Vögel beispielsweise für Untersuchungen fangen kann. Außerdem ist eine Waage darin eingebaut, die das Gewicht der Tiere misst und protokolliert. „Das Gewicht sagt viel über die Gesundheit aus und hat auch einen gewissen Einfluss auf die Fruchtbarkeit“, erklärt Tiermediziner Dominik Fischer, der als Kurator im Zoo unter anderem den Bestand der Vögel verwaltet. „Ist ein Ara stark übergewichtig, kann das zu Unfruchtbarkeit führen. Ist er unterernährt, bleibt nicht genug Energie für die Ei- beziehungsweise Spermaproduktion oder die Paarung.“

    Fischer schaut durch die Besucherscheibe in den Stall. Auf den Ästen geht es gerade heiß her: Zwei Aras machen sich gegenseitig an ihrem Gefieder zu schaffen und halten zwischendurch flüchtig ihre Hinterteile aneinander. „Das Aneinanderdrücken der Kloaken ist ein erster Kopulationsversuch“, erklärt Fischer. Auch das gegenseitige Putzen sei ein typisches Zeichen gegenseitiger Zuneigung: „Gerade an die langen Schwanzfedern kommen sie schließlich selbst schlecht ran.“

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    Schnäbeln, putzen, kennenlernen

    Auf einem anderen Ast verhakt ein Ara seinen Fuß akrobatisch im Gitter über sich, um dann kopfüber den anderen im Schnabel des Nachbarvogels zu versenken. Hier geht einer aufs Ganze, erklärt Fischer. „Das ist ein großer Vertrauensbeweis – theoretisch könnte der andere ihm den Fuß abbeißen.“ Hyazinth-Aras sind die Papageienart mit dem stärksten Schnabel. Mit ihm können sie Schwarznüsse, Paranüsse, Palmnüsse und sogar Macadamianüsse knacken. Teilweise nutzen sie dazu auch Hölzchen oder Steine als Hebel.

    Wenn auf den Ästen wild geschnäbelt, gefüßelt, geputzt und gerieben wird, hat das nicht zwangsläufig etwas zu sagen. Erstmal gehe es wild durcheinander, jeder mit jedem, sagt Fischer, oft werde nur gespielt. Erst wenn zwei Vögel die meiste Zeit des Tages miteinander verbringen und später versuchen, abseits der Gruppe eine Nisthöhle zu finden, sei das ein Zeichen dafür, dass es ernst wird.

    Forschung für das perfekte Halsband

    Zu erkennen, wer mit wem Zeit verbringt, ist eine besondere Herausforderung des Projekts. Selbst für Fachleute wie Fischer und Zoodirektor Lawrenz sind die Tiere praktisch nicht zu unterscheiden. Zudem können sie sie nicht 24 Stunden am Tag kontrollieren. Technik muss helfen.

    In der Voliere sind darum etwa 20 Senderboxen installiert – schwarz und etwa so groß wie ein Modem. Jeder Ara trägt in einem maßgeschneiderten, blauen Halsband einen Peilsender, der alle 30 Sekunden ein Standortsignal abgibt. Die Sendestationen erfassen diese Signale und speisen die Daten in eine dafür entwickelte Software ein. Fischer nennt die Halsbänder einen der größten Erfolge des Projekts.

    Jahrelang wurde an Tragekomfort, Stabilität, Verschluss, Sendergröße und -qualität gearbeitet. „Diese Technik könnte zukünftig helfen, ausgewilderte Aras in freier Natur zu orten.“ Insgesamt sei die Technik der Anlage ein Modellversuch, wie man Zoohaltung optimieren, Tiere also selbstständiger leben lassen kann. Ein Zoo in der Schweiz plant nun ebenfalls eine Voliere nach Wuppertaler Vorbild nachzurüsten.

    Das erste Paar?

    Am Computer öffnet Fischer eine Tabelle. In zahllosen Spalten kommen Kennnummern, Koordinaten und Uhrzeiten zum Vorschein. „Wie ich es mir dachte“, sagt er und markiert die Spalten mit der Kennzeichnung 18075 – ein Weibchen aus dem Nürnberger Tiergarten – und 19075, die einem Männchen aus dem Tierpark Berlin zugeordnet ist. Ihre Koordinaten waren in den letzten Stunden fast identisch, sie saßen also ununterbrochen nebeneinander. „Das sind die beiden, die sich gerade im Stall geputzt haben. Wir sind uns ziemlich sicher, dass das was Ernstes ist.“

    Drei Paare glauben Fischer und seine Kolleginnen und Kollegen inzwischen dank des Systems identifiziert zu haben. „Allerdings haben wir bei einem Paar festgestellt, dass es sich um zwei Weibchen handelt“, erzählt Fischer. Homosexuelle Paare seien für die Vorhaben zwar nicht zielführend, „es könnte aber sein, dass sich beispielsweise zwei Männchen so stimulieren, dass sie Sperma produzieren. Damit könnten wir durch Nutzung der assistierten Reproduktion Weibchen besamen, bei denen es mit ihrem Partner – oder der Partnerin – nicht auf natürlichem Wege klappt.“

    Nehmt euch ein Zimmer!

    Um sicherzugehen, dass sie tatsächlich echte Paarungsversuche starten, werden heterosexuelle Paare wie 18075 und 19075 in den kommenden Monaten in einem separaten Bereich mit einem Holzstumpf und einer Nisthöhle gehalten. Denn erst wenn sie die Möglichkeit hätten, zu nisten, würden die Tiere die Kopulation nicht mehr nur üben, erklärt Fischer. Bis es dann wirklich Nachwuchs gibt, kann es trotzdem noch dauern. Das zentrale Ziel – eine neue Generation aufzubauen, die ausgewildert werden kann – ist also eine langwierige Angelegenheit.

    Im Idealfall sollen die Jungen aber nicht in Wuppertal schlüpfen: Hat sich ein sicheres Paar gefunden, soll dieses möglichst bald gemeinsam in einen der Partnerzoos ziehen – und Platz für neue Singles machen. Im August werden ein Männchen aus Budapest und ein Weibchen aus dem Tierpark Berlin erwartet. Eines aus Krefeld befindet sich bereits im Quarantäne-Bereich.

    Gesundheitschecks und Quarantäne

    Die Aufnahmekriterien für Aralandia sind streng. Ehe die Tiere einziehen dürfen, müssen sie diverse Gesundheitschecks bestehen und Quarantänestationen durchlaufen. Wie Menschen können sich auch Hyazinth-Aras mit Herpesviren infizieren. Bei den Vögeln verursachen diese jedoch keine Bläschen am Schnabel, sondern führen im schlimmsten Fall zu spontanen Todesfällen. Die Gespräche mit einem Vogelpark in Singapur wurden vorerst ganz gestoppt, weil die Aras dort nicht auf Chlamydien getestet werden.

    Die Kosten für die medizinischen Untersuchungen müssen die Partnerzoos selbst tragen, für Unterhalt und Verpflegung der Vögel in Aralandia bezahlen sie nichts. Fischer rechnet damit, dass die meisten Aras mindestens zwei Jahre in Aralandia bleiben. Das entspricht nur einem Bruchteil ihres Lebens: In Gefangenschaft werden die Tiere bis zu 90 Jahre alt. Doch was passiert, wenn ein Tier auch nach mehreren Jahren keinen Partner findet? „Dann wäre das auch ok“, sagt Fischer. „Das Tier kann trotzdem bleiben und eben nur zugucken. Da gilt das gleiche wie im Swinger Club: Alles kann, nichts muss.“

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