Wie deutsche Forscher das Sumatra-Nashorn retten wollen

Weltweit existieren nur noch 47 Sumatra-Nashörner. Aus Hautproben eines verstorbenen Nashornbullen haben Berliner Wissenschaftler jetzt besondere Stammzellen gezüchtet. Können sie die Spezies vor dem Aussterben bewahren?

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 11. Nov. 2022, 09:11 MEZ
Ein Sumatra-Nashorn mitten eines dichten Waldes.

Der Sumatra-Nashornbulle Kertam verstarb im Jahr 2019 in Malaysia, doch mithilfe von Stammzellen, die aus seinen Hautproben gewonnen wurden, könnte er auch nach seinem Tod zur Rettung seiner Art beitragen.

Foto von Ben Jastram/Leibniz-IZW

Im Oktober veröffentlichten der World Wide Fund for Nature (WWF) und die Zoologische Gesellschaft London (ZSL) den Living Planet Report 2022 – einen ökologischen Lagebericht der Erde. Teil dieses Berichts ist ein Index, der die Zu- und Abnahme der Populationsgrößen bestimmter Wildtierarten aufführt und bezüglich des Artensterbens ein bedrückendes Bild zeichnet: Zwischen den Jahren 1970 und 2018 sind die betrachteten Wirbeltierbestände im Schnitt um 69 Prozent geschrumpft.

Von diesem Trend betroffen ist auch das Sumatra-Nashorn (Dicerorhinus sumatrensis), die kleinste und ursprünglichste Nashornart der Welt. Während im Jahr 2015 noch rund 100 Individuen existierten, wurden im Jahr 2022 nur noch 47 gezählt. Damit gehört die Spezies, die durch Wilderei und die Zerstörung ihres Lebensraums akut vom Aussterben bedroht ist, zu den seltensten Großsäugetierarten der Erde. Die meisten der noch lebenden Tiere sind in sehr kleinen, voneinander getrennten Regenwald-Territorien auf Sumatra heimisch. Einige wenige, die jedoch einer anderen Unterart angehören, leben auf Borneo. Die Isolation der Kleinstpopulationen erschwert die Partnersuche und die Durchmischung des Genpools und stellt somit eines der Hauptprobleme für den Arterhalt dar.

iPS-Zellen: Basis für jede Form von Körperzelle

Im Kampf um die Rettung des Sumatra-Nashorns ist einem Team aus Forschenden des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin und internationalen Kooperationspartnern nun ein Durchbruch gelungen. Aus Hautproben des im Jahr 2019 verstorbenen Sumatra-Nashornbullen Kertam generierten sie Stammzellen, aus denen im nächsten Schritt Samenzellen gezüchtet werden sollen. Die begleitende Studie zu den Forschungsergebnissen ist in der Zeitschrift iScience erschienen.

Kertams Hautzellen wurden im Labor durch die Zugabe genetischer Faktoren neu programmiert. Die so gewonnenen sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) teilen sich immer wieder neu und sind dadurch unsterblich. Sie haben ähnliche Eigenschaften wie embryonale Stammzellen und können in vitro – also außerhalb des Körpers – in jede beliebige Art von Körperzelle verwandelt werden. Dieser Ansatz brachte bereits im Rahmen des Forschungsprojekts BioRescue zur Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns gute Ergebnisse. Auch in der menschlichen Stammzellforschung hat man den Nutzen von iPS-Zellen bereits erkannt.

Dem Studienteam ist es gelungen, aus den iPS-Zellen von Kertam Hirn-Organstrukturen, sogenannte Organoide, zu züchten. „Soweit wir wissen, wurden solche Mini-Gehirne bisher nur aus iPS-Zellen von Mäusen, Menschen und nichtmenschlichen Primaten gewonnen“, sagt Silke Frahm-Barske, Stammzellenforscherin am Max-Delbrück-Centrum.

Embryonen aus dem Labor

Der Erfolg lässt darauf hoffen, dass sich auf diese Weise auch Samenzellen herstellen lassen. „Dieser Schritt ist allerdings schwieriger“, sagt Vera Zywitza, Erstautorin der Studie vom Max-Delbrück-Centrum. „Um Spermien zu gewinnen, ist es erforderlich, aus den iPS-Zellen zunächst primordiale Keimzellen, die Vorläufer von Ei- und Samenzellen, zu generieren.“ Gelingt es den Forschenden, diese herausfordernde Aufgabe zu lösen, könnten aus den gewonnenen Samenzellen durch künstliche Befruchtung im Labor Sumatra-Nashorn-Embryonen entstehen, die dann von tierischen Leihmüttern ausgetragen werden.

BELIEBT

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    Ohne wissenschaftliche Unterstützung sieht die Zukunft des Sumatra-Nashorns düster aus, denn bisherige Ansätze, den Artbestand zu erhöhen, brachten keine zufriedenstellenden Ergebnisse. In den Achtzigerjahren startete in Indonesien ein Projekt, in dem wilde Sumatra-Nashörner in Reservaten zusammengebracht wurden, um die Fortpflanzung voranzutreiben. Das Problem: „Weibchen, die lange Zeit nicht trächtig waren, werden oft unfruchtbar, zum Beispiel durch Zysten an ihren Fortpflanzungsorganen“, erklärt Thomas Hildebrandt, Abteilungsleiter für Reproduktionsmanagement am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Manche seien zudem für Nachwuchs inzwischen schlicht zu alt.

    Aus diesem Grund wollen die Berliner Forschenden in Zukunft auch iPS-Zellen von anderen Sumatra-Nashörnern herstellen. Gleichzeitig betonen sie aber, dass der Einsatz solcher Hilfsmaßnahmen nur der letzte Ausweg bleiben dürfe. „Trotz aller Begeisterung: Was wir im Labor tun, kann allenfalls ein kleines Stück weit dazu beitragen, die Nashörner vor dem Aussterben zu retten“, sagt Vera Zywitza. Darum habe es weiterhin oberste Priorität, die noch vorhandenen Lebensräume der Tiere zu schützen und zu bewahren. Das gilt für Sumatra-Nashörner, aber auch für all die anderen Spezies, die vom Aussterben bedroht sind.

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