Dialekt des Schwarms: Wie Bienen sprechen lernen

Honigbienen kommunizieren in Tanzsprache miteinander. Eine Studie beantwortet erstmals die Frage, ob sie die richtigen Bewegungen von Geburt an kennen oder sie voneinander lernen.

Im Alter von etwa acht Tagen beginnen Jungbienen, erfahrene Arbeiterinnen beim Tanzen zu beobachten, bevor sie im Alter von zwölf Tagen zum ersten Mal selbst tanzen. Forschende haben untersucht, was passiert, wenn den Bienen die Vortänzerinnen fehlen.

Foto von Ante Hamersmit / unsplash
Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 17. März 2023, 15:46 MEZ

Findet eine Honigbiene eine Futterquelle, lautet die Devise: weitersagen. Je nachdem, wie weit die Quelle entfernt liegt, nutzt sie nach ihrer Rückkehr im Bienenstock dafür eine besondere Form der Kommunikation: den Rund- beziehungsweise Schwänzeltanz. Bei Letzterem, mit dem sie auf weiter entfernte Futterquellen hinweist, bewegt sie sich in hohem Tempo in achtförmigen Bahnen und wackelt mit dem Hinterleib. Dieser so faszinierende wie komplexe Vorgang wurde bereits in der Antike beobachtet und beschrieben, erste Entschlüsselungsversuche starteten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Doch auch nach über hundert Jahren Bienentanz-Forschung gibt es noch einige offene Fragen zu dem Phänomen. Einer davon sind nun Forschende der University of California San Diego (UCSD) und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS) nachgegangen. Im Rahmen einer Studie, die in der Zeitschrift Science erschienen ist, haben sie untersucht, welche Rolle soziales Lernen in Bezug auf den Schwänzeltanz spielt. Ihr Ergebnis: Jungbienen lernen das richtige Tanzen von erfahrenen Arbeiterinnen – ohne diese Lektionen sind Fehler vorprogrammiert.

Die Entschlüsselung der Sprache der Bienen
Wie das mathematische Rätsel hinter dem Tanz der Bienen gelöst wurde. Szenen aus „Unser Kosmos: Die Reise geht weiter“.

Soziales Lernen im Bienenstock

Wenn ein Individuum durch Beobachtung oder Interaktion mit einem anderen lernt, spricht man von sozialem Lernen. Von Insekten mit einem fortgeschrittenen Grad an sozialer Organisation – dazu gehören auch Bienen – ist bekannt, dass sie soziales Lernen nutzen. Der Schwänzeltanz ist ein Beispiel dafür: Führt eine erfolgreiche Sammlerin ihren Tanz vor, gibt sie dadurch ihr Wissen über Standort und Qualität der Futterquelle an die anderen Arbeiterinnen weiter. Bevor eine Honigbiene zum ersten Mal selbst tanzt, folgt sie zunächst erfahrenen Tänzerinnen.

Wie groß der Einfluss des sozialen Lernens auf diese Kommunikationsform ist, war bisher jedoch unklar. Shihao Dong von der CAS, Erstautor der Studie, James Nieh, Biologe an der UCSD, und ihr Team untersuchten darum, ob Jungbienen diese Lehrzeit brauchen, um die Tanzsprache ihres Volks korrekt zu erlernen, oder ob das Tanzen eine angeborene Fähigkeit ist, die durch soziales Lernen nicht verbessert wird.

BELIEBT

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    “Bienen, die sich nicht an erfahrenen Tänzerinnen orientieren konnten, produzierten deutlich mehr ungeordnete Tänze.”

    von Shihao Dong
    Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS)

    Für die Studie gründete das Forschungsteam mithilfe frisch geschlüpfter Bienen mehrere Völker. In manchen hatten die jungen Bienen vor ihrem ersten eigenen Tanz nie die Gelegenheit, andere Tänzerinnen zu beobachten. In den Kontrollvölkern lernten sie – wie im echten Leben – von älteren Tieren die richtigen Bewegungen. Nach 20 Tagen beobachtete das Team die Tänze der verschiedenen Völker und stellte deutliche Unterschiede fest.

    „Bienen, die sich nicht an erfahrenen Tänzerinnen orientieren konnten, produzierten deutlich mehr ungeordnete Tänze“, sagt Dong. „Sie waren außerdem nicht in der Lage, Entfernungen richtig zu kodieren.“

    Kritische Phase der Sprachentwicklung

    Selbst wenn diesen Bienen später im Leben die Möglichkeit gegeben wurde, durch die Beobachtung anderer Tänzerinnen ihren eigenen Tanz zu verbessern, gab es Fehler, die sie nie wieder korrigieren konnten. Daraus schließen die Forschenden, dass es bei Honigbienen – ähnlich wie bei Menschen – eine kritische Phase der frühen Sprachentwicklung gibt, die sie ein Leben lang prägt und in der sie die volksspezifischen Feinheiten des Schwänzeltanzes erlernen. Verpassen es die Jungbienen in diesem Zeitfenster, die Sprache ihres Volkes durch soziales Lernen zu verinnerlichen, entwickeln sie einen eigenen Dialekt, der sich vor allem in der Kodierung von Entfernungen niederschlägt.

    Den Forschenden zufolge spielt das frühe soziale Lernen bei der Tanzsprache der Honigbienen eine ähnlich wichtige Rolle wie beim Spracherwerb menschlicher Kleinkinder. Bei einigen Vogel- und Wirbeltierarten wurde eine solche Weitergabe von Wissen von einer Generation an die nächste bereits dokumentiert. Nun gibt es erstmals einen Beleg für diese Art des sozialen Lernens bei Insekten.

    Doch die Kultur der Bienen ist gefährdet. „Bienen sind sehr intelligent und können bemerkenswerte Leistungen erbringen“, sagt James Nieh. Mehrere Studien hätten jedoch gezeigt, welch große Schäden Pestizide in dieser Hinsicht anrichten. „Sie beeinträchtigen die Fähigkeit der Honigbienen, zu lernen, wie man kommuniziert – und verändern möglicherweise sogar die Art und Weise, wie die Tanzsprache an die nächste Generation weitergegeben wird.“

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