Roboter-Bienen: Kann Technik die Arbeit von Insekten ersetzen?

Die Abhängigkeit zwischen Mensch und Insekt ist ebenso einfach wie besorgniserregend: keine Insekten, keine Menschen. Was geschieht, wenn die Bestände der kleinen Nützlinge immer weiter sinken? Dann muss Unterstützung für Biene und Co. gefunden werden.

Von Julia Kainz
Veröffentlicht am 31. Aug. 2021, 09:01 MESZ, Aktualisiert am 31. Aug. 2021, 12:10 MESZ
Eine Biene fliegt in der Natur

Kann Technik die Arbeit von Insekten ersetzen?

Photo by KP Bandyopadhyay on Unsplash.com

Eintönige Landschaften, fruchtlose Bäume und blumenlose Wiesen, von Knospen und bunten Blüten keine Spur. Kein Summen, Brummen oder Zirpen zu hören. Noch klingt dieses Szenario nach einer überspitzten, dystopischen Beschreibung der Zukunft. Doch in der chinesischen Region Sichuan ist es Realität. In den 50er und 60er Jahren wollte der damalige Herrscher Chinas, Mao Zedong, neben Ratten, Mücken und Fliegen insbesondere Spatzen – seines Erachtens Plagen – loswerden. Doch durch die Vernichtung der kleinen Vögel kam es zu einer Insektenplage, Ernteausfällen und Hungersnot, worauf mit einem extremen Pestizid-Einsatz reagiert wurde. Ein Großteil der Insekten starb und Imker verließen mit ihren Bienenvölkern das Gebiet. Um Äpfel und Birnen ernten zu können, müssen die Bäume dort bis heute von Menschen per Hand bestäubt werden.

Auch wenn Sichuan ein Extrembeispiel ist, so sollte es dennoch ein Alarmsignal sein – dafür, was weltweit droht, wenn der Rückgang von Insekten nicht gestoppt wird. Ohne Insekten würde die Nahrung für den Menschen schnell knapp werden. Gibt es Alternativen zu Biene und Co.?

Zeitraffer: Die Entwicklung einer Honigbiene
In dieser faszinierenden Zeitraffer-Aufnahme hielt der Fotograf Anand Varma fest, wie aus Larven erwachsene Honigbienen wurden. Für dieses sechsmonatige Projekt hat er sich in seinem Atelier einen Bienenstock gebaut – und eine neue Wertschätzung für den komplexen Beruf des Imkers gewonnen.

Insektensterben – wie geht es Bienen & Co?

Dr. Roland Mühlethaler ist Entomologe und arbeitet beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) an dem Projekt DINA (Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen). Wie er erklärt, geht zum einen die Biomasse zurück – die Insekten werden also insgesamt immer weniger. Eine Studie, die 2017 im Fachmagazin PLOS ONE veröffentlicht wurde, zeigte, dass die Biomasse bei Fluginsekten zwischen 1989 und 2016 in den beobachteten Gebieten um rund 76 Prozent schrumpfte. Zusätzlich geht auch die Artenvielfalt zurück, sagt Mühlethaler. In Deutschland gelten allein bei den Wildbienen 48 Prozent der knapp 560 Arten als bestandsgefährdet oder bereits ausgestorben. 

Der Hauptgrund für das Insektensterben ist nicht überraschend: In einer immer monotoner werdenden Landschaft finden Insekten immer weniger Nahrung und Nistmöglichkeiten. Auch der Einsatz von Insektiziden, der hohe Stickstoffeintrag sowie invasive Arten sind Bedrohungen für Insekten.

Ohne Insekten keine Menschen

Das Insektensterben ist auch für den Menschen ein Problem. Die kleinen Tiere bestäuben Pflanzen, lockern den Boden, bauen organische Stoffe ab und bilden die Nahrungsgrundlage anderer Tiere. Dadurch spielen sie, so Mühlethaler, eine „Schlüsselrolle in fast allen Ökosystemen“.

Etwa 88 Prozent der Blütepflanzen weltweit gehen einer Studie zufolge, die 2011 im Ökologie-Magazin Oikos veröffentlicht wurde, auf die Bestäubung von Tieren zurück, hierzulande knapp 80. Damit spielen Insekten auch für die Nahrungsmittelproduktion eine elementare Rolle. Sie sorgen dafür, dass Nutzpflanzen effektiv bestäubt werden und dem Menschen Obst, Gemüse und Getreide – und damit alle Produkte, die daraus hergestellt werden – ausreichend zur Verfügung stehen. Getränke, Kosmetika, Öl und Kleidung aus Baumwolle sind dafür nur Beispiele. Wie eine Studie von Forschern der Universität Hohenheim, die 2020 in Ecological Economics erschien, zeigt, wäre der Wegfall aller bestäubenden Tiere allein in Deutschland mit einem Verlust von durchschnittlich 3,8 Milliarden Euro pro Jahr verbunden, weltweit handelt es sich sogar um eine Billion US-Dollar.

BELIEBT

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    Für ihren ersten Alleinflug ohne Kabel wurde RoboBee umgebaut: Sie erhielt zwei weitere Flügel sowie Solarzellen und die Steuerelektronik. Dadurch war der Roboter dann 6,5 Zentimeter groß.

    Foto von Harvard Microrobotics Lab, Harvard SEAS

    „Die Insekten gehören zu uns“, sagt Dr. Marc Schetelig, Professor für Insektenbiotechnologie an der Universität Gießen. „Ohne sie gäbe es uns nicht.“ Doch wenn das Insektensterben so weitergeht, könne man es irgendwann nicht mehr aufhalten. Und es stellt sich die Frage: Was dann?

    Plan B für die Bestäubung

    Forscher weltweit arbeiten an insekten-inspirierten Robotern, die unter anderem dazu in der Lage sein sollen, Pflanzen zu bestäuben – als Plan B quasi, falls die Insektenbestände künftig tatsächlich so weit sinken, dass es für die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr reicht.

    RoboBee ist eine davon. Sie wurde von Forschern des Wyss Instituts der US-Universität Harvard entwickelt. RoboBee ist halb so groß wie eine Büroklammer und wiegt etwa 90 Milligramm. Intelligente Sensoren, die die Umgebung wahrnehmen und dynamisch darauf reagieren, ahmen Augen und Antenne einer Biene nach. Die Mikroluftfahrzeuge sollen eigenständig fliegen und in großen Gruppen in einer Einheit arbeiten können. Als Einsatzmöglichkeiten sehen die Forscher neben Such- und Rettungsmissionen sowie Wetter- und Umweltüberwachung auch die Bestäubung von Pflanzen.

    Auch in den Niederlanden wird bereits an Roboter-Insekten geforscht. An der TU Delft haben Forscher den DelFly Nimble entwickelt. Er ist mit knapp 30 Gramm deutlich schwerer und auch größer als RoboBee. Der von Insekten inspirierte Roboter kann mit seinen vier Flügeln in alle Richtungen schweben und ist mit einem Bordcomputer und Sensoren ausgestattet. Zusätzlich kann er weitere vier Gramm tragen, beispielsweise eine Kamera. Er wird für die Insektenflugforschung eingesetzt. Matěj Karasek, Mitentwickler des Roboters, sieht für die Zukunft auch die Möglichkeit, „dass solche Roboterschwärme Pflanzen in einem Treibhaus bestäuben." Wichtig sei zudem, dass der Roboter mittels Kamera Hindernisse erkennen und vor ihnen stoppen kann. Auch in Japan wird an Roboter-Insekten geforscht. Ein Forscherteam stellte 2017 im Fachmagazin Chem eine Mini-Drohne vor, die mit Pferdehaaren und einem ionischen Gel ausgestattet war, um so Pollen von der einen zur anderen Blüte zu transportieren.

    Kann die Technik die Arbeit von Insekten ersetzen?

    Doch wie zukunftsträchtig sind diese Entwicklungen? Kann eine Roboter-Biene die Arbeit von echten Insekten wirklich ersetzen? Dr. Marc Schetelig sieht das skeptisch. Der Professor für Insektenbiotechnologie erkennt mehrere Herausforderungen. Zum einen stellt sich für ihn die Frage, wie lange eine Roboter-Biene fliegen kann. „Sie dürfte ja keinen großen  Akku besitzen, weil sie sonst zu schwer wird”, bedenkt er. RoboBee hat im Jahr 2019 ihren ersten selbstständigen Flug unternommen. Zuvor war sie immer an Kabel angeschlossen. Für ihren Alleinflug wurde sie umgebaut: Aus zwei wurden vier Flügel, zudem wurde sie mit sechs Solarzellen und der Steuerelektronik ausgestattet. Der dann 6,5 Zentimeter große Roboter konnte so für sehr kurze Zeit zielgerichtet fliegen. Für die Forschung war das ein großer Fortschritt, doch mit einer echten Biene ist RoboBee noch nicht vergleichbar. Da sie außerdem sehr viel Licht benötigt, ist sie für einen Flug in der Natur noch nicht gewappnet.

    DelFly Nimble kann mit vollgeladenem Akku fünf Minuten lang fliegen und einen Kilometer zurücklegen. Der niederländische Roboter ist mit einer Flügelspannweite von 33 Zentimetern allerdings sehr groß, was beim Anfliegen der Pflanze problematisch werden könnte. Die Roboter müssten sanft landen und „dürfen die Pflanze dabei nicht kaputt machen“, sagt Schetelig. Das war auch bei dem Roboter aus Japan ein Problem. Er zerstörte die Pflanzen zum Teil bei der Landung. Forscher Elijiro Miyako entwickelte daher eine zweite Bienen-Alternative und versuchte, Blüten per Seifenblasen zu bestäuben, was er 2020 in iScience vorstellte. Die mit Pollen ausgestatteten Seifenblasen wurden durch eine „Bubble Gun“ verteilt und es gelang tatsächlich, Birnen zu bestäuben – mit einem ähnlichen Effekt wie bei der Handbestäubung. Als nächstes wollen die Forscher unter anderem die Zielsicherheit der Blasen mittels Roboter-Drohnen verbessern. Es stellt sich noch die Frage, ob die Blasen auch bei Wind und Regen funktionieren. Ein Punkt, der Dr. Schetelig zufolge ebenfalls bedacht werden sollte, ist der Müll, der in der Umwelt entsteht, wenn die Roboter-Bienen liegenbleiben. Wichtig sei außerdem die Frage, ob die neue Technik missbraucht werden kann. Roboter-Bienen sind in der Regel mit GPS, intelligenten Sensoren, Verarbeitungschips oder Kameras ausgestattet. „Das könnte umprogrammiert werden“, gibt der Professor zu bedenken.

    Galerie: Gesucht: Die Superbiene

    Naturschutz statt Roboter

    Ein weiteres Problem für Roboter sieht Schetelig in der Variabilität der Natur. „Im Feld gibt es viele verschiedene Pflanzen, die unterschiedliche Wachstumsformen haben und jedes Insekt ist anders gebaut“, erklärt er. Es fliegen nicht alle Insekten alle Pflanzen an, sondern sie spezialisieren sich auf bestimmte Blüten. „Diese Variabilität ist schwer nachzubauen“, so Schetelig. Das Problem sieht auch Dr. Mühlethaler vom NABU. „Man kann keinen Roboter bauen, der fähig ist, alle Pflanzen zu bestäuben, das ist utopisch“, sagt der Biologe. Und er fügt eine weitere Herausforderung hinzu – die Masse: „Wie viele Roboter müsste man produzieren, um die Funktion von Insekten zu übernehmen und was würde das kosten?“ Seiner Ansicht nach ist deshalb klar: „Von diesem Gedanken sollte sich die Menschheit eher abwenden.“ Man sollte „Energie und Geld besser in andere Dinge stecken, in den Schutz der Natur“, findet der Insektenforscher. Man müsse erkennen, was die Natur für uns leistet und wie man auch finanziell von ihr profitiert.

    Schetelig sieht ein mögliches Einsatzgebiet der Roboter-Bienen für die Pflanzenbestäubung: das Gewächshaus. Dort gebe es viele Probleme nicht: Die Roboter müssten keine weiten Strecken zurücklegen, könnten immer wieder aufgeladen werden und im Gewächshaus könnte man sich auf eine Pflanzenart spezialisieren. Dennoch stellen Roboter-Bienen auch für ihn keinen realistischen Ersatz zu echten Insekten dar. Sie könnten in einzelnen Situationen eine Alternative zur Handbestäubung sein, zum Beispiel im chinesischen Sichuan. „Aber die Natur kann man dadurch nicht ersetzen“, sagt er deutlich. „So gut wie die Natur wird man eben nicht.“ Zudem haben Insekten weitaus mehr Aufgaben als „nur“ die Bestäubung. „Die Masse von Insekten würde ja trotz Roboter als Futter für andere Tiere fehlen“, gibt Mühlethaler zu bedenken. Und auch Schetelig warnt: „Die Biodiversität können Roboter nicht retten. Dass es den Insekten gut geht, daran sollte wirklich jedem etwas liegen.“

    Bienen

    Das erste Bienenkrankenhaus

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