Blutsaugende Parasiten: Neue Erkenntnisse über die Evolution der Neunaugen

Mit seinem außergewöhnlichen Maul erinnert das Neunauge an Monster aus Sciene-Fiction- oder Horrorfilmen. Seit rund 360 Millionen Jahren sichert sein gefährlicher Biss sein Überleben. Eine Studie enthüllt die faszinierende Evolution des urzeitlichen „Vamp

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 17. Nov. 2023, 16:09 MEZ
Der Kopf eines Neunauges von der Seite.

Perfekt entwickelt: Neue fossile Funde urzeitlicher Neunaugen verraten die Anfänge dieser Meeresparasiten mit Saugnapfmaul.

Foto von HEMING ZHANG

Auf den ersten Blick wirkt das Neunauge eher unscheinbar – doch der Schein trügt. Das schmale, längliche und fischartige Wesen erinnert an einen Aal oder eine Muräne. Entgegen seinem Namen sind es allerdings nicht seine Augen, die das fischähnliche Wirbeltier zu etwas Besonderem machen – von diesen hat es tatsächlich nur zwei.

Stattdessen ist es sein scheibenförmiges, stark gezahntes Maul, dank dem das Neunauge auch die Dinosaurier um ein Vielfaches überlebte. Schon seit der Urzeit verfügt es über außergewöhnliche Überlebenstechniken, die seinen Fortbestand seit Jahrmillionen erfolgreich sichern. Doch zur Evolution der parasitären, kieferlosen Fleischfresser und Blutsauger gab es bislang nur wenige gesicherte Informationen.

Neue Funde geben nun erstmals Einblicke in die Evolution der Tiere. Forschende aus China fanden 160 Millionen Jahre alte Fossilien, die zeigen, dass die spezielle Ernährungstaktik des Neunauges schon viel älter ist, als bisher angenommen.

Urzeitliche Vampire: Die Technik des Fleischraspelns und Blutsaugens

Bislang dachten Forschende, dass sich die frühen Neunaugen von kleiner Beute oder Algen ernährt haben müssen, da bisher gefundene Exemplare der 360 Millionen Jahre alten Tierart nur wenige Zentimeter groß waren. 

Das konnte ein Forschungsteam der Chinesischen Akademie der Wissenschaften nun widerlegen. Offensichtlich betreiben die fischähnlichen Tiere bereits seit vielen Millionen Jahren eine spezifische brutale Technik des Fleischfressens: das Blutsaugen und Fleischraspeln. Dazu wanzen sich die Neunaugen an ihre Wirtstiere – meist größere Fische – heran und ernähren sich mithilfe ihrer vielen Hornzähne von deren Blut und Fleisch.

Einen Beweis dafür, dass sich die Tiere schon sehr lange so ernähren, liefern die fossilen Funde des chinesischen Forschungsteams: zwei neue, bislang unbekannte Arten von Neunaugen, die das Team der Chinesischen Akademie der Wissenschaften um Feixiang Wu in seiner Studie in der Zeitschrift Nature genauer beschreiben. Das Alter der Fossilien kann aufgrund des Fundortes, einer 160 Millionen Jahre alten Felsformationen nahe der chinesischen Provinz Liaoning, genau bestimmt werden.

BELIEBT

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    Rekonstruktion der Maulpartie von Y. occisor. Der lateinische Name ist mit „der Möder“ zu übersetzen und bezieht sich auf die ausgeklügelte und effiziente Jagdfähigkeit der Art.

    Foto von HEMING ZHANG

    Das Besondere: Die Funde von Yanliaomyzon occisor und Y. ingensdentes sind teils vollständig erhalten. „Ich war auf den ersten Blick tief beeindruckt“, sagt Wu über den guten Zustand der fossilen Saugmäuler. Bei beiden Arten verfügten diese über die typisch runde Form, reich bestückt mit scharfen Hornzähnen. Laut der Studie waren die frühen Neunaugen damit in der Lage, sich nicht nur am Blut und Fleisch ihrer Wirtstiere zu bedienen – sondern auch bis zu deren Knochen vorzudringen. Skelettfragmente im Darm eines Fossils beweisen das. 

    Die Entwicklung derart starker Zähne hängt wohl mit einem veränderten Nahrungsangebot während der Evolution zusammen. Anfänglich teilten sich die frühen, winzigen Neunaugen ihren Lebensraum mit großen Fischen, deren feste Körperpanzer sie nicht durchdringen konnten. Das änderte sich vor 160 Millionen Jahren: Laut Wu „tauchten Knochenfische mit dünnen Schuppen in großer Zahl auf.“ Mit der neuen zugänglichen Nahrungsquelle entwickelten sich die Neunaugen zu geschickten fleischfressenden Räubern – die sich nur wenig von den heutigen parasitären Arten unterscheiden.

    Zwei Bachneunaugen, die eine Bachforellen parasitieren. Substanzen in ihrem Speichel stoppen die Blutgerinnung ihres Wirtes. Gesunde Tiere überleben den Befall meist, für Kranke oder Jungtiere kann es hingegen den Tod bedeuten. 

    Foto von Roger Sweeting / Wiki Commons

    Lebenszyklus mit Metamorphose: Von der Larve zum Räuber

    Ungefähr in der Jurazeit müssen die Tiere dank ihres beeindruckenden Bisses und der neuen Möglichkeit der Nahrungsaufnahme zudem an Körperlänge und Masse gewonnen haben. Zu Lebzeiten erstreckte sich Y. occisor über circa 60 Zentimeter, was in etwa der Größe seiner heute lebenden Verwandten entspricht. Das entdeckte Fossil ist das größte bisher bekannte Fossil von Neunaugen.

    Gleichzeitig belegen die Funde aus China die Entwicklung eines mehrstufigen Lebenszyklus der Spezies. Denn das Team um Wu konnte an den Unterseiten beider Yanliaomyzon-Arten längliche, bandartige Flossen ausmachen, die für die Fortbewegung in fließenden Gewässern wie Flüssen und Bächen sprechen. In ihrer Lebensweise ähnelten die urzeitlichen Neunaugen damit wohl den modernen Arten, welche ihre Larven am Oberlauf von Flüssen und Bächen ablegen.

    Nur erwachsene Neunaugen sind brutale Fleischfresser. Ihr Nachwuchs vergräbt sich zunächst im Sandboden des Gewässers und ernährt sich von Kleinorganismen wie Plankton. Erst fünf bis sieben Jahre später verwandelt sich der Körperbau der wurmartigen Larve mittels Metamorphose in die teils bis zu 75 Zentimeter langen, erwachsenen Neunaugen. Je nach Art verbringen sie ihr restliches Leben dann stationär nahe ihres Laichgewässers oder auf Wanderschaft in Richtung Meer und parasitär.

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