Geister des Ozeans: Weiße Haie im Mittelmeer
Sie sind die am wenigsten erforschte Population ihrer Art und dennoch gibt es sie: Die Weißen Haie im Mittelmeer. Wo sie sich aufhalten und wie wahrscheinlich eine Begegnung mit ihnen ist.
In keinem anderen Weltmeer sind Weiße Haie so sehr bedroht wie im Mittelmeer. Im Gegensatz zu Haien wie diesem, die im Pazifik leben, bekommt man Weiße Haie im Mittelmeer kaum zu Gesicht. Auch deshalb sind sie nur wenig erforscht.
Bis vor etwa 100 Jahren bevölkerten Weiße Haie das Mittelmeer noch in großen Zahlen. In der östlichen Adria wurde in der Mitte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sogar ein Kopfgeld auf Weiße Haie ausgesetzt – mit der Begründung, dass die Tiere gefährlich für Menschen und ihre Populationen zu groß seien.
Heute ist das anders. Es gibt zwar noch Weiße Haie im Mittelmeer, aber nur noch extrem wenige; ein Umstand, der Tier- und Naturschützende in Sorge versetzt. Einer von ihnen ist Francesco Ferretti, Professor an der Virginia Tech University in den USA und Leiter des Projekts White Shark Chase, einem Programm, das Weiße Haie im Mittelmeer erforschen und schützen will. Das ist jedoch schwieriger als gedacht: Denn die Tiere sind im Mittelmeer nur schwer aufzufinden.
Dieser Weiße Hai wurde im Oktober 1956 vor der Küste Sètes in Frankreich gefangen. Er war vermutlich fast sechs Meter lang.
Auf der Suche nach den Weißen Haien
Laut der International Union for Conservation of Nature (IUCN) ist mehr als die Hälfte der im Mittelmeer lebenden Haie und Rochen vom Aussterben bedroht – auch der Weiße Hai (Carcharodon carcharias). Das, so Ferretti, liegt vor allem an der Küsten- und industriellen Fischerei, die im Laufe des 20. Jahrhundert für den Weißen Hai immer gefährlicher wurde. „In manchen Regionen des Mittelmeers vermuten wir deshalb einen Rückgang von 52 bis 96 Prozent bei den Weißen Haien“, so der Meeresbiologe. Diese Entwicklung ist nur eines der Symptome der Überfischung, die im Mittelmeer besonders viele Meerestiere gefährdet. Einerseits wurden und werden Weiße Haie dabei als Beifang aus dem Meer geholt, andererseits verschwinden so auch ihre Nahrungsquellen.
Die Erforschung der Weißen Haie im Mittelmeer gestaltet sich aus diesem Grund besonders schwierig – auch für Ferretti und seine Kolleg*innen. „Als wir vor drei Jahren mit dem White Shark Chase zu forschen begannen, wusste man kaum etwas über die beliebtesten Aufenthaltsorte der Haie oder über ihre Verhaltensmuster“, sagt Ferretti. Das konnte das Team bisher zumindest teilweise ändern: Die Forscher*innen haben mittlerweile die Straße von Sizilien als Hotspot für Weiße Haie im Mittelmeer ausgemacht – und dort vor allem vor der Küste Tunesiens ein systematisches Vorkommen der Tiere bestätigen können.
Gefunden haben die Forschenden den Ort durch eine umfassende Analyse von Umwelt-DNA, vorangegangenen Hai-Sichtungen und -Fängen im Mittelmeer, Karten der Unterwasserlandschaft im Mittelmeer und Daten von Hai-Verhalten in anderen Weltmeeren. „Auf Basis dieser Informationen erstellte ein Computerprogramm schließlich Modelle zur relativen Verteilung der Vorkommenswahrscheinlichkeit“, so Ferretti.
Wie wahrscheinlich ist eine Begegnung mit einem Weißen Hai?
Wie viele Haie sich genau im Mittelmeer aufhalten, können die Forschenden aber nicht sagen. Sie wissen nur, so Ferretti, dass es noch viel weniger sind als zuvor gedacht. „Die Chance, im Mittelmeer einem Weißen Hai zu begegnen, ist wirklich sehr niedrig“, sagt er. Vor allem Badegäste müssten sich deshalb keine Sorgen machen – zumal der Mensch für die Tiere nachweislich viel gefährlicher ist als andersherum.
Weitere Forschung dringend notwendig
Laut Ferretti ist es angesichts der Bedrohung der Weißen Haie im Mittelmeer wichtig, noch mehr über die Populationsgröße, die Verteilungsmuster und die Lebensräume der dort lebenden Tiere zu erfahren. „Als nächstes wollen wir Methoden und Modelle entwickeln, die unsere Chancen, einem Weißen Haien zu begegnen, erhöhen“, so Ferretti. Dann könne man einzelne Haie mit einem Sender versehen, um Daten über ihr Verhalten und weitere bevorzugte Aufenthaltsorte zu bekommen.
Doch dafür brauchen Ferretti und seinen Kolleg*innen weitere Unterstützung, denn die Erforschung der Haie ist ein umfangreiches und teures Unterfangen. Notwendig ist es dennoch: „Wir müssen diese Tiere unbedingt schützen“, so der Meeresforscher. „Ich bin mir nicht sicher, wie lange sie im Mittelmeer ohne Hilfe noch überleben können.“