Klimawandel: Neue Hai-Arten in der deutschen Nordsee?
Immer wieder werden fremde Hai-Arten in der Nordsee gesichtet. Handelt es sich nur um Durchzügler? Oder beschert uns die Meereserwärmung neue Arten?

Fuchshai: Die über vier Meter lange Art wird in den Sommermonaten regelmäßig in der Nordsee gesichtet.
Es war kurz vor Weihnachten 2017, als die Insel Sylt ein blaues Wunder erlebte. Spaziergänger hatten am Strand vor Rantum einen großen toten Hai entdeckt. Weit über zwei Meter maß der Kadaver. Die Untersuchungen ergaben: Es handelte sich um einen Blauhai.
Das Tier war offenbar an inneren Entzündungen gestorben und dann an den Strand gespült worden. Ein seltener Fund: Zwar zählen Blauhaie zu den meistverbreiteten Haien. Allerdings meiden die Hochseebewohner in der Regel küstennahe Gewässer.
Weltweit gibt es über 500 Hai-Arten. In der deutschen Nordsee kommen nur drei bis vier dauerhaft vor: Hundshai, Dornhai und Kleingefleckter Katzenhai sind fest etabliert. Beim Weißgefleckten Glatthai ist sich die Forschung wegen der dünnen Datenlage nicht ganz sicher. Außerdem leben hier mehrere Rochenarten, die wie die Haie zu den Knorpelfischen gehören.

Toter Blauhai am Strand von Sylt
Springende Fuchshaie vor Borkum
Wie aber sieht es mit den anderen Hai-Arten aus, die von Zeit zu Zeit in deutschen Gewässern gesichtet werden? Immer wieder kommt es zu solchen Meldungen. Im Sommer 2019 etwa sorgte ein springender Fuchshai zwischen Borkum und Helgoland für Aufsehen, im Herbst 2020 wurde ein weiterer toter Blauhai am Strand von Spiekeroog entdeckt. Auch andere gebietsfremde Haie werden regelmäßig in der deutschen Nordsee beobachtet.
Sind es Durchzügler oder Irrgäste? Oder leben vor unseren Küsten unbemerkt Haie, die Forschende bislang gar nicht auf dem Schirm hatten? Könnte es sein, dass im Zuge des Klimawandels neue Hai-Arten zuwandern?
Anruf bei Matthias Schaber. Der Biologe vom Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven ist Experte für Haie und Rochen. Schaber weiß: Steigende Meerestemperaturen haben weitreichende Folgen für das gesamte Ökosystem in der deutschen Nordsee. Am Beispiel von Haien und Rochen lässt sich das gut zeigen. Als Top-Prädatoren stehen sie an der Spitze der Nahrungskette.
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Nicht alle Haie mögen es warm
Alle Haie und Rochen hätten einen mehr oder weniger eng begrenzten „Wohlfühlbereich“, in dem ihr Stoffwechsel optimal funktioniert, sagt Schaber. Dies sei von Art zu Art unterschiedlich. Manche mögen es wärmer, andere kühler.
Es könnte also sein, dass wärmeliebende Arten von steigenden Temperaturen profitieren, indem sie ihren Lebensraum erweitern. Kälteliebenden Arten dagegen könnte ihre bisherige Heimat künftig zu warm werden. Sie müssten dann weiter nördlich oder in tiefere Gewässerschichten abwandern. Einige Hai- und Rochenarten im Nordostatlantik und in der Nordsee befänden sich bereits „am oberen Limit ihres Temperaturbereichs“.
Eine neue Studie deutet zudem darauf hin, dass die Versauerung der Nordsee zusammen mit steigenden Wassertemperaturen sich negativ auf die Fortpflanzungsfähigkeit bestimmter Hai-Arten auswirkt. Ausgerechnet beim bislang ungefährdeten Kleingefleckten Katzenhai konnten Forschende einen solchen Zusammenhang feststellen.

Fischereibiologe Matthias Schaber leitet die Forschungseinheit Mess- und Beobachtungssysteme am Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven.
Fuchshaie in der deutschen Nordsee
„Die Erwärmung der Meere führt zu einer räumlichen Verschiebung der Habitate“, erklärt Schaber. Das betreffe nicht nur die etablierten Hai-Arten, sondern auch diejenigen, die sich bislang nur als Durchzügler in der deutschen Nordsee aufhalten.
Der Fischereibiologe hält es für möglich, dass künftig häufiger Haie gesichtet werden, die es warm mögen und „die bisher eher zufällig in die Nordsee gewandert sind“. Er rechnet vor allem mit „Arten aus südlicheren Gebieten“.
Beispiel Fuchshai: Seit jeher werden in den Sommermonaten immer wieder Exemplare dieser über vier Meter langen Art in der südlichen Nordsee gesichtet oder gar gefangen. Wahrscheinlich wandern die Tiere bei wärmerem Wasser aus angrenzenden Gebieten des Atlantiks ein.
Schaber hält es für möglich, dass solche Sichtungen mit steigenden Temperaturen häufiger werden. Zumal auch Beutefische wie Sardinen und Sardellen immer weiter nach Norden ziehen.
Schildzahnhaie vor der britischen Küste
Auch anderen Hai-Arten aus südlichen Gefilden könnte das wärmer werdende Wasser der Nordsee gefallen. Im vergangenen Jahr wurden mehrere Schildzahnhaie an die britische Küste gespült. Nie zuvor, so Schaber, habe man die bis zu vier Meter langen Haie so weit nördlich nachweisen können. Lag es an den Meerestemperaturen, die dort 2023 deutlich höher waren als in den Jahren zuvor? Schaber geht davon aus. Demnach folgten die Haie dem warmen Wasser – bis hinauf zur irischen Küste. Ob der Schildzahnhai sich allerdings irgendwann dauerhaft in der Nordsee ansiedeln wird, bleibe abzuwarten.
Überhaupt möchte Schaber keine artspezifischen Prognosen abgeben: „Das ist schlichtweg noch zu unsicher.“ Auch für den Blauhai gelte: Die Art kommt zwar in angrenzenden Meeresgebieten vor, zum Beispiel in den westbritischen Gewässern. Vor der deutschen Küste habe man in den letzten Jahren zwei Exemplare nachweisen können. Rückschlüsse auf Effekte des Klimawandels ließen sich aus solchen seltenen Fällen aber nicht ziehen. „Vereinzelt wandern eben Tiere in die Nordsee ein“, sagt Schaber.
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„Die größte Gefahr für den Hai ist die Fischerei“
Klar ist aber: Sollten die Meerestemperaturen weiter steigen, würde dies das Leben unter Wasser mächtig durcheinanderwirbeln. Betroffen wäre die gesamte Nahrungskette. Schaber unterstreicht: „Marine Nahrungsnetze sind enorm komplex.“ Das beginnt beim winzigen Phytoplankton und endet bei Top-Prädatoren wie Haien und Meeressäugern.
„Habitatverschiebungen können dann enorme Auswirkungen auf das marine Nahrungsnetz haben“, betont er. Zum Beispiel, wenn Haie in ihren angestammten Lebenssaum nicht mehr genug Beutefische vorfinden, weil diese nordwärts abgewandert sind. Oder weil etablierte Hai-Arten plötzlich mit neuen Nahrungskonkurrenten konfrontiert werden. Alles hängt in irgendeiner Weise zusammen.
Für Schaber steht fest: Die Lebensbedingungen von Haien und Rochen werden sich im Zuge des Klimawandels ändern – und mit ihnen die übrige Nahrungskette im Meer. Welche Arten möglicherweise profitieren werden und welche Schaden nehmen, lässt sich noch nicht absehen. Nur eins sei jetzt schon sicher: „Die aktuell größte Gefahr für den Hai ist die Fischerei.“
