Gleiche Rechte für alle Lebewesen: Der Kampf gegen Speziesismus

Speziesismus beschreibt die ungerechtfertigte Benachteiligung von Lebewesen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit. Wie Speziesismus unsere Gesellschaft beeinflusst und was wir dagegen tun können, erklärt die Expertin.

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 1. Juli 2024, 11:15 MESZ
Speziesismus

Zu viele Tiere auf engstem Platz eingepfercht: Der Alltag vieler Nutztiere auf der ganzen Welt. Sie erleiden Verletzungen, Krankheiten und fühlen Angst, bevor sie schlussendlich getötet werden. 

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„Sind Menschen wirklich berechtigt, Tiere als minderwertig zu betrachten und sie für ihre eigenen Bedürfnisse auszubeuten?“, fragt Dr. Yvonne Würz, Fachreferentin von PETA und Biologin. Damit beschreibt sie den Speziesismus – eine ungerechtfertigte Benachteiligung und Diskriminierung von Wesen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit. 

Der Terminus beschreibe eine Form der Diskriminierung, die sogar Parallelen zu Rassismus und Sexismus aufweise: „Der Mensch wird stets als überlegen betrachtet und die Interessen von Tieren werden marginalisiert“, erklärt Dr. Würz. „Die Interessen von anderen Tieren haben in unserer Gesellschaft viel weniger Stellenwert als die Interessen von uns Menschen. Sie werden wegen ihres Nutzens für den Menschen kategorisiert, für unsere Zwecke ausgebeutet oder getötet.“ Dabei beinhalte Speziesismus nicht nur, dass Tiere gegenüber dem Menschen grundsätzlich abgewertet würden, sondern auch, dass zwischen einzelnen Tierarten speziesistisch diskriminiert werde. Dies zeige sich etwa, wenn man zwischen „Haustieren“ und „Nutztieren“ unterscheide.

Speziesismus im Alltag: Haustiere vs. Nutztiere

Im Alltag manifestiert sich dieser Speziesismus auf vielfältige Weise. Ein prägnantes Beispiel ist der Konsum von Fleisch und anderen Tierprodukten: „Millionen von Tieren werden jährlich in der Landwirtschaft unter erbärmlichen Bedingungen gehalten und getötet, nur um den appetitlichen Vorlieben einiger Menschen zu entsprechen“, kritisiert die Biologin. Die Gesellschaft normalisiere den Verzehr bestimmter Tiere, während der Gedanke, sogenannte Haustiere wie Hunde oder Katzen zu essen, für die meisten Menschen zutiefst abscheulich sei. Vielfach werde angenommen, dass sogenannte Nutztiere weniger leiden und nicht die gleichen Gefühle empfinden könnten wie unsere geliebten tierischen Mitbewohner, erklärt Dr. Würz. Die meisten Menschen würden nicht im Traum daran denken, einen Hund so zu behandeln, wie Schweine in der Nahrungsmittelindustrie behandelt werden. „Schweine haben jedoch eine beachtliche intellektuelle und emotionale Tiefe. Sie spüren Schmerz, Angst, Traurigkeit und Freude, genau wie Hunde und sollten dementsprechend auch behandelt werden“, argumentiert die Expertin von PETA. 

Im Zirkus muss der Tiger durch einen brennenden Reifen springen – in der Natur würde er das wohl eher nicht tun. Nach der Show kommt er zurück in einen engen Käfig, weswegen viele Tiere im Zirkus oder Zoo enorme Verhaltensauffälligkeiten und -störungen zeigen. 

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Zoo, Zirkus und Kosmetik: Wo ein speziesistischer Umgang mit Tieren stattfindet

Zoos und Zirkusse bieten „Unterhaltung“, die auf Kosten der Freiheit und des natürlichen Verhaltens von Tieren stattfindet. „Diese Einrichtungen perpetuieren die Vorstellung, dass es akzeptabel ist, Wildtiere für Unterhaltungszwecke einzusperren“, erklärt Dr. Würz. Auch die Verwendung von Tieren in der Forschung für Kosmetika und Medikamente zeigte einen speziesistischen Umgang: „Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass ihre täglich benutzten Produkte oft durch Tests an Tieren entstanden sind, in denen diese Tiere Leid erfuhren“, so Dr. Würz. 

Diese Form der Ausbeutung würde von der Gesellschaft oft ignoriert oder gerechtfertigt werden – mit dem Argument des menschlichen Nutzens. Zur gleichen Zeit werden in der Modebranche Tiere für Mäntel, Schuhe, Taschen und Mützen gefangen und ihnen das Fell oder die Haut abgezogen. „Die Tatsache, dass Pelze und Leder als luxuriöse Waren angesehen werden, ignoriert das enorme Leiden, das den Tieren zugefügt wird, um diese Produkte herzustellen“, sagt die Expertin. 

Auch sogenannte Schädlinge geben die Einstellung gegenüber Tieren wieder, indem sie der menschlichen Spezies unterlegen sind. „Wenn Tiere wie Ratten oder Wölfe als „Schädlinge“ bezeichnet, bekämpft, vertrieben oder getötet werden, geschieht dies oft ohne Rücksicht auf humane Lösungen oder die ökologische Bedeutung dieser Tiere.“ 

Höherer Status der Haustiere schließt Speziesismus nicht aus

Obwohl „Haustiere“ einen vermeintlich höheren Status zu genießen scheinen, würden auch sie in unserer speziesistischen Gesellschaft leiden: „Von vielen Menschen und vor allem von der Zuchtindustrie werden sie wie ‚Wegwerfware‘ behandelt. Jeder Kauf eines Tieres im Zoohandel, bei Züchter*innen, im Internet oder auf Exotenbörsen nimmt einem Tierheimbewohner die Chance auf ein Zuhause“, erklärt die PETA-Fachreferentin. Das Züchten unterliegt dem Paragraphen § 11b im Tierschutzgesetz, welcher eigentlich verbietet, dass Tieren Merkmale angezüchtet werden, unter denen sie leiden, wie es beispielsweise bei brachycephalen Rassen der Fall ist. Durch die vage Formulierung des Gesetzes und fehlende klare Definitionen geht die tierschutzwidrige Zucht von Rassen wie Mops oder French Bulldog trotzdem weiter. Kurzköpfige Hunde leiden lebenslang an einer Menge von gesundheitlichen Problemen. Sie werden einzig wegen der optischen Vorlieben des Menschen gezüchtet. 

BELIEBT

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    Während der Hund frei laufen und den Abend wohl mit seiner Familie ausklingeln lassen kann, steht die Kuh mit zusammengebundenen Beinen auf einer eingezäunten Wiese. Ein Sinnbild für den Speziesismus. 

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    Speziesgrenze als moralische Trennungslinie? 

    Allgemein finden sich in verschiedenen kulturellen und religiösen Kontexten zwar unterschiedliche Herangehensweisen an die Stellung von Tieren, doch „trotz der Varianz in den Traditionen ist es eine universelle Wahrheit, dass Speziesismus in jeglicher Form überwunden werden muss“, betont Dr. Würz. Durch die Evolutionstheorie wird deutlich, dass alle lebenden Arten der Welt auf die gleiche Weise entstanden sind und der Mensch einen gemeinsamen Ursprung mit den Tieren hat. „Wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegen zunehmend auch bisher angenommene vermeintliche Alleinstellungsmerkmale des Menschen wie Sprache, Werkzeuggebrauch und Ich-Bewusstsein“, so die Fachreferentin von PETA. Dies würden umso mehr zeigen, dass die Speziesgrenze keine moralische Trennungslinie sein kann.

    Auch die Nachhaltigkeits- und Umweltbewegung sieht, dass Speziesismus erhebliche ökologische Konsequenzen hat. „Die Ausbeutung von Tieren ist ein zentraler Faktor bei der Zerstörung von Lebensräumen, bei der Emission von Treibhausgasen und bei der Verschmutzung von Wasserquellen“, warnt Dr. Würz und appelliert an ein globales Umdenken – nicht nur zum Wohl der Tiere. 

    Tiere vor speziesistischer Diskriminierung schützen

    Wie so oft: Im Widerstand gegen Speziesismus kommt Bildung eine Schlüsselrolle zu. PETA führt Aufklärungskampagnen durch und hat eine eigene Plattform (PETAKids.de) geschaffen, um bereits bei jungen Menschen ein Bewusstsein für Tierrechte zu schaffen. „Kinder neigen naturgemäß dazu, Tiere als gleichwertig zu betrachten. Wir sollten dieses Mitgefühl fördern und es nicht durch eine speziesistische Agenda ersetzen“, erklärt die Biologin. Studien bestätigen diese Annahme. Aber reicht gesellschaftliches Umdenken aus, um eine tatsächliche Veränderung herbeizuführen? „Die Aufnahme des Tierschutzes in die deutsche Verfassung im Jahr 2002 ist ein wichtiger Schritt“, sagt Würz. Im Gesetz heißt es, niemand dürfe einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Doch dieser „vernünftige Grund“ ist nicht klar definiert. „Anscheinend zählt es als ‚vernünftig‘, Ferkel betäubungslos zu kastrieren oder ein Tier zu töten, um seine Haut zu einer Jacke zu verarbeiten, obwohl es dafür keinerlei Notwendigkeit gibt.“ Deswegen fordert Yvonne Würz weitergehende rechtliche Reformen, um Tiere vor speziesistischer Diskriminierung zu schützen. Konkret schlägt PETA vor, dass Tiere rechtlich als Personen anerkannt und ihnen grundlegende Rechte zugesprochen werden sollten. Entgegen dessen stehen Meinungen, Menschen würden ihre eigenen Gefühle und Empfindungen auf Tiere übertragen. Laut dieser Auffassung hätten Tiere kein Gewissen, keine Gefühle wie wir Menschen, würden anders denken und fühlen. 

    Nicht viele Kühe haben ein so gutes Leben. Vielen von ihnen wird direkt nach der Geburt ihr Kälbchen entrissen, um die Muttermilch für die Milchproduktion zu verwenden. Direkt danach werden sie erneut trächtig. Ein Teufelskreis, den die Tiere ihr Leben nennen.

    Foto von TasfotoNL / Adobe Stock

    Eine Umstellung auf eine antispeziesistische Praxis wäre eine komplexe Herausforderung. „Unser gesamtes Konsumverhalten muss sich ändern, um eine Gesellschaft frei von Speziesismus zu realisieren, weg von dem Gedanken, dass einige Tiere aufgrund ihrer Art weniger wert sind. Das ist sicherlich keine leichte Aufgabe, aber es ist eine notwendige, wenn wir das Wohlergehen aller Lebewesen als wertvoll erachten“, resümiert Dr. Würz. 

    „Jede Entscheidung, die wir treffen – sei es, was wir essen, wie wir uns kleiden oder wie wir uns unterhalten – hat das Potenzial, das Leben von Tieren positiv zu beeinflussen. Diese Beispiele sind Wegweiser auf dem Pfad zu einer Gesellschaft, die dem Wohlergehen jeder Spezies verpflichtet ist“, betont Dr. Würz hoffnungsvoll. In der Vision von PETA und anderen Tierschützer*innen würde in einer Gesellschaft ohne Speziesismus jedem Tier das Recht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit zustehen. Es ist ein Idealbild, das durch gemeinsame Anstrengungen in Bildung, Gesetzgebung und persönlichem Engagement Stück für Stück Realität werden könnte.
     

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