Weißes Blut und Frostschutzmittel: Wie der Eisfisch in der Antarktis überlebt
Eisfische überstehen selbst Wassertemperaturen unter null Grad. Um herauszufinden, wie das gelingt, haben Forschende das Erbgut der Meeresbewohner untersucht – und ein Geheimnis der Evolution gelüftet.

Eisfisch am Meeresgrund der Antarktis
Die Entdeckung glich einer Sensation. Vor knapp zwei Jahren stieß ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts auf ein gigantisches Fischbrutgebiet im antarktischen Weddellmeer. Mit einer Gesamtausdehnung von 240 Quadratkilometern war die Brutstätte etwa so groß wie die Insel Malta. Rund 60 Millionen Nester von Eisfischen konnten die Forschenden dort nachweisen – die größte jemals beschriebene Fischkolonie.
Eisfische? Außer Forschern und Fischern dürften nur wenige Menschen die geisterhaften Wasserwesen je zu Gesicht bekommen haben. Sie gehören zur Gruppe der Notothenioide und zählen zu den Barschartigen. Bei der Brutkolonie im Weddellmeer handelt es sich um die Art Neopagetopsis ionah, auch bekannt als Jonahs Eisfisch. Er wird über 50 Zentimeter lang und ein Kilo schwer. Sein riesiger Kopf erinnert an den eines Hechts.
Eisfische sind verblüffende Wesen. Sie leben unter dem Eis der Antarktis, weitgehend isoliert vom Rest der marinen Welt. Um dieser extremen Umgebung zu trotzen, haben sie erstaunliche Eigenschaften gebildet. Sie überstehen sogar Wassertemperaturen von minus zwei Grad Celsius. Dazu besitzen sie einen eingebauten Frostschutz. Eisfische sind außerdem die einzigen Wirbeltiere mit durchsichtigem Blut.

Brütende Eisfische auf dem Grund des Weddellmeers in der Antarktis. Rund 60 Millionen Nester konnten Forschende dort nachweisen.
Springende Gene: Booster für die Evolution
Wie aber konnten sie sich zu solchen Sonderlingen entwickeln? Ein internationales Wissenschaftsteam um die Genetikerin Iliana Bista ist diesem Rätsel auf den Grund gegangen. Die Forschenden haben dazu das Genom, also das Erbgut, von 24 antarktischen Fischarten untersucht.
Dabei zeigte sich: Vor 10,7 Millionen Jahren spalteten sich die kälteresistenten Notothenioide von anderen Arten ab – später als bislang angenommen. Ihr Erbgut hatte sich im Laufe der Evolution verdoppelt. Grund dafür war eine starke Zunahme der so genannten Transposons im Genom.
Das sind kurze DNA-Abschnitte, die sich immer wieder von allein vervielfältigen und ihre Position im Erbgut verändern können. Weil Transposons im Genom „herumspringen“, können sie das Erbgut eines Organismus stark verändern. Das wirkt unter Umständen wie ein Booster für die Entwicklung einer Art.
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Eingebauter Frostschutz: Wunder der Antarktis
Auf diese Weise gelang es den Eisfischen wahrscheinlich vergleichsweise schnell, sich an die lebensfeindlichen Bedingungen der Antarktis anzupassen. Immerhin liegen die Wassertemperaturen im eisigen Weddellmeer regelmäßig unter dem Gefrierpunkt.
„Das Überleben in einer so rauen Umgebung erfordert zusätzliche Kompensationen des Organismus“, erklärt Bista. Deshalb hätten die Fische im Zuge der Evolution spezielle körpereigene Proteine entwickelt. „Sie wirken als Frostschutzmittel, um vor dem Erfrieren zu schützen.“
Andere eigentlich überlebenswichtige Körperfunktionen sind dagegen verloren gegangen. Als bemerkenswert gilt etwa, dass Eisfische keinen roten Blutfarbstoff produzieren. „Sie sind die einzigen Wirbeltiere, von denen bekannt ist, dass sie ihr Hämoglobin vollständig verloren haben“, sagt Bista. „Ihr Blut sieht weiß aus.“
Eisfisch: Überlebenskünstler mit weißem Blut
Wirbeltiere nutzen Hämoglobin für den Sauerstofftransport im Körper. Bei Eisfischen dagegen wird der Atemsauerstoff nicht chemisch in den roten Blutkörperchen, sondern physikalisch im Blutplasma gebunden. Das funktioniert nur, weil sich im eiskalten Wasser besonders viel Sauerstoff lösen kann.
Außerdem haben Eisfische viele weitere physiologische Besonderheiten entwickelt. Sie atmen zum Beispiel zusätzlich durch die Haut und haben ein höheres Blutvolumen als andere Fische. In der Summe macht sie das zu wahren Überlebenskünstlern.
