Wie die Störche im Mittelalter nach Norddeutschland kamen
Obwohl Störche heute das norddeutsche Landschaftsbild prägen, sind sie dort nicht schon immer zuhause gewesen. Wie die Vögel in den Norden kamen – und welche Rolle das Römische Reich dabei spielte.
Ein brütendes Storchenpaar auf dem Dach galt schon in der Antike als gutes Omen. Ihre beliebten Brutgebiete in Norddeutschland besiedelten die Glücksbringer allerdings deutlich später als gedacht.
Ob als Frühlingsbote, Seelenträger, Kinder- oder Glücksbringer – der Storch hat seit jeher einen überaus guten Ruf. Aus Kultur und Kulturlandschaften sind Weißstörche (Ciconia ciconia) hierzulande und europaweit kaum mehr wegzudenken. Wann und wodurch das enge Band zwischen den Vögeln und Menschen entstanden ist, zeigt eine neue Studie.
Laut dieser hing die Verbreitung von Weißstörchen einst stark mit der Ausbreitung des Römischen Reiches zusammen. Die nördlicheren Gefilde besiedelten die beliebten Vögel erst hunderte Jahre nach dessen Untergang.
Störche: Bis vor 1.500 Jahren nur in Süd- und Westeuropa heimisch
Zu dieser Erkenntnis kamen die beiden Autoren der Studie, Ulrich Schmölcke, Archäologe am LEIZA sowie Kai-Michael Thomsen, Ornithologe vom NABU, durch die Auswertung archäologischer Daten. Eine Sammlung aus dem Jahr 1999 sowie eigenständig ergänzte, neuere Entdeckungen lieferten ihnen Informationen zu rund 7.500 archäologischen Ausgrabungsstätten, in denen Überreste von Tieren gefunden wurden. Die Funde stammen aus ganz Europa, von der letzten Eiszeit bis in die frühen Neuzeit.
Die Verbreitung von Storchenknochen in prähistorischen und frühgeschichtlichen Siedlungen, die aus dieser Sammlung hervorgeht, belegt: Der Weißstorch war bis vor 1.500 Jahren lediglich im Süden und Westen Europas heimisch. Als damalige vorrangige Verbreitungsgebiete von Ciconia ciconia gelten demnach die iberische Halbinsel, der südliche Balkan – und das Oberrheingebiet.
Wo die Römer, da der Storch: Landwirtschaft schafft Lebensraum
Die Auswertung zeigt, „dass ausgerechnet der Nordosten des Kontinents inklusive Norddeutschlands mit seiner heute so hohen Populationsdichte erst in vergleichsweise junger Vergangenheit Teil des Weißstorchgebiets wurde“, sagt Thomsen. Von Regionen, in denen es heute auf Wiesen und Feldern scheinbar nur so vor ihnen wimmelt, hielten sich die Störche also lange fern.
Zurückzuführen ist dies darauf, dass der Weißstorch sich bereits damals stark an seinen von Menschen geprägten Lebensraum angepasst hatte. In dünn besiedelten Gebieten mit dicht bewaldeten Flächen fand er sich schlecht zurecht, tat sich schwer bei der Nahrungssuche. Intensiv landwirtschaftlich kultivierte Räume, in denen sich die Vögel wohler fühlen, gab es vor allem südlicher: „Die Verbreitungsgrenze des Weißstorchs stimmte am Ende der Antike genau mit der Ausdehnung des Römischen Reiches überein. Aus antiken Schriftquellen geht hervor, dass er zu dieser Zeit bereits eng mit den Menschen im Mittelmeerraum verbunden war“, sagt Schmölcke.
Erst rund 500 Jahre nach dem Untergang des Römischen Reiches, vor etwa 1.000 Jahren, wagten sich die Weißstörche weiter nach Norden – und verbreiteten sich dann rasant. „Das fällt zeitlich mit dem mittelalterlichen Landesausbau zusammen, bei dem viele Wälder gerodet und neue landwirtschaftliche Nutzflächen angelegt wurden“, sagt Thomsen.
Immer mehr Weißstörche in Deutschland
Als Nutznießer von menschlich geprägten Kulturlandschaften hatte es der Weißstorch hierzulande jedoch nicht immer einfach. So schwanken die Bestandszahlen zwischen 1934 mit 9.000 Brutpaaren und 1988 mit 2.994 Brutpaaren stark. Nach einem erfreulichen Aufschwung vermelden offizielle Stellen in den letzten Jahren ungewöhnlich viele Tiere. Von über 10.000 Storchenpärchen ist die Rede. Nachdem sie lange Zeit lieber in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt brüteten, bevorzugen sie mittlerweile immer mehr die südlichen Bundesländer.
Grund für die Verschiebung ist vermutlich ein verändertes Zugverhalten. Statt in Afrika überwintern immer mehr Störche auf der iberischen Halbinsel – oder bleiben den Winter über direkt zuhause. Für die kürzere Strecke müssen die Tiere weniger Energieverlust und Risiken in Kauf nehmen, wodurch es zu weniger Verlusten kommt.