Der Klimawandel könnte Fische schrumpfen lassen

Laut einer neuen Studie könnte die Erwärmung des Meeres für kleinere Fische sorgen.

Von Craig Welch
Veröffentlicht am 30. Okt. 2017, 09:57 MEZ
Ein Schwarm Blaustreifen-Grunzer (Haemulon sciurus).
Foto von Brian J. Skerry, National Geographic Creative

Die steigenden Temperaturen und die sinkende Sauerstoffkonzentration im Meer werden dafür sorgen, dass Hunderte Arten von Fischen noch stärker schrumpfen werden als bisher angenommen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie, die auch Arten wie Thunfisch, Lachse, Grunzer, Fuchshaie, Schellfisch und Kabeljau betrifft.

Da das wärmere Meer den Stoffwechsel von Fischen, Tintenfischen und anderen Arten beschleunigt, die unter Wasser atmen, müssen die Tiere größere Sauerstoffmengen aus dem Ozean gewinnen. Gleichzeitig führt die Erwärmung in vielen Bereichen des Meeres aber auch schon dazu, dass weniger Sauerstoff vorhanden ist.

Zwei Wissenschaftler der Universität von British Columbia sagen, dass die Fische bald an einen Punkt kommen werden, an dem ihnen nicht mehr genug Sauerstoff für ein normales Wachstum zu Verfügung steht. Die Körper von Fischen wachsen insgesamt schneller als ihre Kiemen.

„Wir haben herausgefunden, dass für jedes zusätzliche Grad Celsius bei der Wassertemperatur die Körpergröße von Fischen um 20 bis 30 Prozent schrumpft“, sagt der Studienautor William Cheung, der Wissenschaftsdirektor für das Nippon Foundation–Nereus Program der Universität.

Die Veränderungen werden laut den Wissenschaftlern einen tiefgreifenden Einfluss auf viele Nahrungsketten des Meeres haben und die Jäger-Beute-Beziehungen auf eine Weise auf den Kopf stellen, die nur schwer vorherzusehen ist.

„Laborexperimente haben gezeigt, dass immer die großen Arten zuerst unter Stress geraten“, sagt der Hauptautor der Studie, Daniel Pauly. Der Professor am Institut für Meer und Fischerei der Universität ist auch der Hauptuntersuchungsleiter der Forschungsinitiative Sea Around Us. „Kleinere Arten sind bei ihrer Atmung im Vorteil.“

Obwohl viele Wissenschaftler diese Entdeckung loben, sind nicht alle der Meinung, dass die Erkenntnisse von Pauly und Cheung auch ihre dramatischen Schlüsse stützen. Die entsprechende Studie erschien letzte Woche in „Global Change Biology“.

Pauly ist vermutlich am besten bekannt für seine globalen und mitunter kontroversen Studien zur Überfischung. Seit seiner Dissertation in den 70ern hat er an einem Prinzip geforscht, welches nahelegt, dass die Größe von Fischen durch die Wachstumskapazität ihrer Kiemen beschränkt ist. Basierend auf dieser Theorie veröffentlichten er, Cheung und andere Autoren 2013 Forschungsergebnisse, die besagten, dass die Körpermasse von etwa 600 Fischarten bis 2050 durch die Auswirkungen des Klimawandels um 14 bis 24 Prozent schrumpfen könnte.

„Für Menschen ist das ein schwer vorstellbares Konzept, weil wir Luft atmen“, sagt Pauly. „Unser Problem ist eher, genug Nahrung zu bekommen – und nicht so sehr der Sauerstoff. Für Fische sieht das ganz anders aus. Für Menschen wäre das, als würden sie durch einen Strohhalm atmen.“

Auch andere Wissenschaftler haben den Sauerstoffgehalten mit der kleineren Größe von Fischen in Verbindung gebracht. In der Nordsee zum Beispiel haben Schellfisch, Weißfisch, Heringe und Seezungen in Gebieten mit weniger Sauerstoff bereits beträchtlich an Größe verloren.

Trotzdem wurden die Ergebnisse von Paulys und Changs 2013er Studie von manchen als zu vereinfacht kritisiert. Anfang des Jahres argumentierten einige europäische Physiologen, dass Paulys Grundannahme über die Kiemengröße an sich schon fehlerhaft sei.

Also nutzten Pauly und Cheung ausgefeiltere Modelle, um ihre Theorie zu überprüfen.

Die neue Studie erklärt die Kiementheorie in größerem Detail und argumentiert, dass sie als Richtlinie genutzt werden kann und sollte. Laut ihrer neuen Arbeit hatten ihre ursprünglichen Schlussfolgerungen das Ausmaß des Problems sogar unterschätzt, dem sich die Fische bald gegenübersehen werden.

Die frühere Studie ließ beispielsweise darauf schließen, dass die Größe von Thunfischen durch den Klimawandel weniger stark beeinflusst würde. Die neue Studie hingegen besagt, dass die schnellen, stets in Bewegung befindlichen Thunfische, die ohnehin schon große Sauerstoffmengen verbrauchen, anfälliger als andere Fischarten sein könnten.

In einigen tropischen Gebieten des Atlantiks, sagt Cheung, gibt es bereits ein großes Gebiet im offenen Meer, in dem der Sauerstoffgehalt niedrig ist. Andere Studien haben gezeigt, dass Thunfische ihr Verbreitungsgebiet ändern, um schlechtes Wasser zu meiden.

„Die Verbreitung der Thunfische orientiert sich sehr stark an den Grenzen dieser Zonen mit minimalem Sauerstoffgehalt“, sagt Cheung.

Einige Fischexperten finden die Kiementheorie von Pauly und Cheung überzeugend.

Jeppe Kolding ist ein Biologieprofessor an der Universität von Bergen in Norwegen, der Fische in Afrika untersucht. Er sagt, dass Paulys Kiemenkonzept das einzige ist, das er bisher finden konnte, was das Schrumpfen des Nil-Talapias (Oreochromis niloticus), der Guppys und einer Sardinenart aus dem Viktoriasee erklärt, das er beobachtet hat. „Es erklärt die Phänomene, die ich in Afrika gesehen habe“, erzählt er.

Nick Dulvy, ein Meeresbiologe an der Simon-Fraser-Universität, sagt, dass seine eigene Forschung Paulys Konzepte „tendenziell bestätigt“. „Es ist völlig unvermeidbar, dass die Fische beim Wachstum schlussendlich einen Punkt erreichen, an dem die Sauerstoffaufnahme nicht mehr mir ihrer Stoffwechselrate korrespondiert.“

Hans-Otto Poertner ist ein Meerestierphysiologe an der Universität von Bremen und am Alfred-Wegener-Institut vom Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Laut ihm berücksichtigt Paulys Arbeit nicht, wie gut sich einige Arten an die im Wandel befindlichen Bedingungen im Meer gewöhnen oder anpassen könnten. Aber, so sagt er, die Autoren „argumentieren überzeugend“, dass der Sauerstoffgehalt die Empfindlichkeit der Fische gegenüber der Wassertemperatur beeinflussen und die Körpergröße einschränken wird.

Einer von Paulys früheren Kritikern ist Sjannie Lefevre, eine Physiologin von der Universität von Oslo in Norwegen und Hauptautorin der Kritik, die Anfang des Jahres in derselben Fachzeitschrift erschien. Sie findet Paulys Kiementheorie nach wie vor mangelhaft.

„Ich bin absolut nicht beeindruckt oder überzeugt von ihrem Versuch, unsere Argumente zu widerlegen“, sagt Lefevre und fügt hinzu, dass sie die neuen Ergebnisse nicht verlässlicher als die alten finde.

Ihr zufolge sind Fische absolut in der Lage, größere Kiemen auszubilden. „Es gibt keine geometrischen Beschränkungen, die Kiemen davon abhalten würden, genau so schnell wie der Körper des Fisches zu wachsen“, sagt sie.

Lefevre hofft, dass Ökologen und andere Wissenschaftler „einen offenen und vorsichtigen Geist“ bewahren, bevor sie solche vereinheitlichenden Theorien akzeptieren.

Poertner hingegen bleibt weiterhin dabei, dass die Arbeit von Pauly und Cheung ein großartiges Beispiel dafür ist, wie solche Theorien richtig angewendet werden.

Die neue Forschung zeige, wie „die sorgfältige Anwendung eines übergreifenden Prinzips in einem breiten Beobachtungsspektrum über viele Arten hinweg Einsichten vermittelt, die andernfalls schwer zu gewinnen wären“, sagt er.

 

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