Klimawandel lässt Tiere der Arktis schrumpfen und erfrieren

Ungewöhnliche Wetterereignisse erschweren den Moschusochsen die Nahrungssuche – und begraben sie manchmal sogar unter Eis.

Von Craig Welch
Veröffentlicht am 22. Jan. 2018, 11:46 MEZ
Moschusochsen suchen nach Nahrung, indem sie mit ihren Hufen den Schnee wegscharren.
Moschusochsen suchen nach Nahrung, indem sie mit ihren Hufen den Schnee wegscharren.
Foto von Joel Berger, Wcs

Die langhaarigen, pflanzenfressenden Moschusochsen, die in Herden durch die arktische Tundra ziehen, kommen in manchen Gebieten des hohen Nordens nun kleiner als normal zur Welt, da die trächtigen Weibchen nicht mehr genug Nahrung finden.

Eine neue Forschungsarbeit, die in „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde, nennt einen der Gründe für diesen Umstand: Moschusochsen finden den Großteil des Jahres über Nahrung, indem sie mit ihren Hufen den Schnee wegscharren. Durch die steigenden Temperaturen fällt der Niederschlag in ihrem Lebensraum nun aber zunehmend in Form von Regen, der auf dem Boden gefriert und die Pflanzen in einer Eisschicht einschließt.

Vor ein paar Jahren starben zudem 52 Moschusochsen durch ein ungewöhnliches Wetterereignis in einer Flut aus Eis. Heftige Windböen trieben Eis und kaltes Wasser von einer Sturmflut so weit ins Landesinnere, das man noch 800 Meter von der Küste entfernt Fische fand. Durch den steigenden Meeresspiegel werden solche Sturmfluten nicht nur verheerender, sondern treten auch häufiger auf.

Ein Team aus Wissenschaftlern hat auf zwei Kontinenten sieben Jahre lang dem Wind und der Dunkelheit der trostlosen arktischen Winter getrotzt und ist den Moschusochsen gefolgt. Durch ihre Arbeit entdeckten sie die überraschenden Auswirkungen, die der Klimawandel und das sich dadurch verändernde Wetter auf einige der nördlichsten Bewohner unseres Planeten haben. (Lesenswert: Welche Tiere aufgrund des Klimawandels wahrscheinlich zuerst aussterben)

„Die meisten Menschen wissen, dass die Eisbären in Gefahr sind. Aber sie begreifen nicht wirklich, dass die Erwärmung an der Küste auch im Landesinneren vor sich geht“, sagt der Hauptautor der Studie Joel Berger. Der Professor der Colorado State Universität unterstützt die Wildlife Conservation Society als Chefwissenschaftler. „Diese Extremwetterereignisse, die durch die steigenden Temperaturen entstehen, haben mittlerweile auch einen Einfluss auf die Tiere an Land.“

Und dieser Einfluss zeigt sich an unerwarteten Stellen.

NÄCHSTE GENERATION IN GEFAHR

Berger und sein Team haben mehrere Jahre lang im Februar und März die Moschusochsen der eisigen Ebenen Sibiriens und des nördlichen Alaskas untersucht. „Wir wissen über diese Tierart weniger als über viele andere große Säugetiere“, so Berger. Eisbären und Rentiere werden schon seit Jahren beobachtet. Für Moschusochsen gab es bisher hauptsächlich Bestandsaufnahmen, die aus der Luft gemacht wurden.

Um besser zu verstehen, welchen Einfluss das extreme Wetter auf die Tiere hat, taten es die Wissenschaftler ihren Studienobjekten gleich und drängten sich bei gutem wie bei schlechtem Wetter in der Dunkelheit zusammen und machten sich Notizen. Sie machten Aufzeichnungen zur Größe der einzelnen Tiere sowie zum Wetter und erstellten Computermodelle.

Sie wussten von einem Ereignis im Jahr 2003, als heftige Regenfälle 20.000 Moschusochsen verhungern ließen. Bei ihrer Arbeit entdeckten sie aber, dass auch kleinere Wetterereignisse Konsequenzen für die Tiere nach sich zogen. Wenn trächtige Tiere solchen Verhältnissen ausgesetzt waren, fanden sie oft nicht genug Nahrung und ihre Kälber kamen mit kleineren Köpfen zur Welt.

„Ob es nun um unterernährte Kinder oder Ochsen geht: Wir wissen, dass das Kind den Preis dafür zahlt, wenn die Mutter während der Schwangerschaft – und besonders im letzten Trimester – nicht genug Nahrung bekommt“, sagt Berger. Die Moschusochsen „werden kleiner geboren“, was wie bei vielen anderen Säugetiere zu einer verkürzten Lebenserwartung und einem schlechten Gesundheitszustand führen kann.

Die langfristigen Konsequenzen dieser Entwicklung sind vermutlich alles andere als gut. Die zunehmende Wärme führt dazu, dass während des arktischen Winters und Frühlings immer mehr Regen fällt.

„Ich wohne in Colorado“, sagt Berger. „Hier waren es gestern -19 °C. In einer der Städte, in der ich in der Arktis gearbeitet habe, waren es gestern -2 °C. Das ist ein Problem.“

Berger hat bisher zwar noch keine ähnlichen Forschungsarbeiten für andere Säugetiere der Arktis gesehen, rechnet für manche Arten aber mit ähnlichen Ergebnissen. Andere haben vermutlich bessere Aussichten. Im Gegensatz zu Moschusochse legen Rentiere weite Strecken zurück und finden auf ihren Reisen vermutlich eher Nahrung. Lemminge leben in unterirdischen Tunneln. Sofern das Wetter also nicht so extrem wird, dass diese Tunnel einstürzen, werden die kleinen Nager wohl keine solchen Probleme wie die Moschusochsen bekommen. Schneeschuhhasen und Elche könnten aber ähnlich stark an Nahrungsmangel zu leiden haben.

Das untypische Wetter kann allerdings auch noch andere Probleme bereiten. (Lesenswert: Durch den Klimawandel breiten sich tropische Krankheiten in Richtung Arktis aus)

TSUNAMIS AUS EIS

Im Februar 2011 fotografierte einer von Bergers Co-Autoren bei einem Rundflug 55 Moschusochsen, die in einer Lagune standen. Ein paar Wochen später waren 52 von ihnen tot und fast vollständig unter Eis begraben. Eines der Tiere hatte Eisklumpen in seiner Kehle. Das einzige Tier, das nicht völlig eingeeist war, schien aufrecht zu stehen und hatte anscheinend laufen wollen.

Berger und sein Team rekonstruierten anhand der Wetteranomalien, was den Tieren wahrscheinlich widerfahren war: Sie waren einer ungewöhnlichen Art eines lokalen Tsunamis zum Opfer gefallen. Stürmische Winden sorgten dafür, dass sich die Flut an diesem Ort auf das 16-Fache ihrer normalen Höhe auftürmte. Durch die Kraft des Wassers wurden dicke Eisschollen und eiskalte Wellen landeinwärts gedrückt. In der Nähe der Moschusochsen fand man fünf Meter lange und bis zu 50 Zentimeter dicke Eisplatten. (Lesenswert: Arktis - Die Decke wird dünner)

„All diese Tiere wurden von dem Eis begraben“, sagt Berger. „Sie konnten einfach nicht entkommen.“

Bei seiner Arbeit mit den indigenen Ältesten in Alaska erfuhr er, dass es für solche tödlichen Eissturmfluten sogar ein spezielles Wort gibt – ivu oder ivuniq. Andere Extremwetterereignisse haben schon dazu geführt, dass Belugas, Narwale und Otter zu Dutzenden in kleinen Meeresgebieten voller Eis eingeschlossen wurden.

„Aber bisher hat noch nie jemand von so vielen Moschusochsen berichtet, die alle auf diese Art an einem Ort gestorben sind“, sagt Berger. „Vielleicht gab es solche Ereignisse auch schon in der Vergangenheit und es war einfach niemand da, der es gesehen hat. Das wissen wir nicht.“

Da der Meeresspiegel heutzutage schon so weit ansteigt, dass Küstendörfer durch die starke Erosion ihre Regierung um Hilfe bei der Umsiedlung bitten, „ist das vermutlich etwas, das wir in Zukunft häufiger sehen werden“, so Berger.

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