Mikroplastik verbreitet sich auch über die Luft

Selbst in einer entlegenen Bergregion wiesen Forscher einen wahren Mikroplastikregen nach.

Von Stephen Leahy
Veröffentlicht am 17. Apr. 2019, 14:32 MESZ
Plastikfolie weht durch die Landschaft und verfängt sich in der Vegetation. Mit der Zeit zerfällt das ...
Plastikfolie weht durch die Landschaft und verfängt sich in der Vegetation. Mit der Zeit zerfällt das Plastik in immer kleinere Teile und schließlich zu Mikro- und Nanoplastik.
Foto von Robert Brook, Corbis/Getty Images

Dieser Artikel entstand in Partnerschaft mit der National Geographic Society.

In einer vermeintlich unberührten Berglandschaft regnen winzige Plastikteilchen vom Himmel und werfen Fragen über die globalen Ausmaße der Plastikverschmutzung auf, wie eine aktuelle Studie feststellt.

Wissenschaftler verzeichneten einen täglichen Niergang von 365 Mikroplastikteilchen pro Quadratmeter, die im Süden Frankreichs in den Pyrenäen vom Himmel fielen.

„Das war unglaublich, wie viel Mikroplastik sich da ablagerte“, sagte Deonie Allen, eine Forscherin des EcoLab an der Ecole Nationale Supérieure Agronomique im französischen Toulouse. Im Umkreis von 100 Kilometern gab es keine ersichtlichen Quellen für das Mikroplastik, wie Allen erklärte, die Hauptautorin der in „Nature Geoscience“ veröffentlichten Studie.

„Mikroplastik ist ein neuer atmosphärischer Schadstoff.“

Bei Mikroplastik handelt es sich um sehr kleine Partikel, die durch den Zerfall von Plastikmüll entstehen. In den letzten Jahren wurde vor allem ihrem Vorhandensein in Meeren und Wasserwegen besonders viel mediale und wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet. Bisher haben sich aber nur zwei weitere Studien mit Mikroplastik in der Luft befasst. Beide wurden in Städten durchgeführt und gelangten zu ähnlichen Ergebnissen, wie Allen sagte. Tatsächlich scheint Mikroplastik in der Luft allgegenwärtig zu sein.

„Wenn man mit einer UV-Lampe rausgeht und sie auf eine Wellenlänge von 400 Nanometern einstellt und zur Seite leuchtet, sieht man in der Luft überall diese Plastikteilchen leuchten“, erklärte sie. „Drinnen ist es fast noch schlimmer. Das ist schon ein bisschen erschreckend.“

Allen und ihre Kollegen sammelten über einen Zeitraum von fünf Monaten Mikroplastik an einer Wetterstation in 1.400 Metern Höhe über dem Meeresspiegel. Dabei machten sie von Sammelanlagen Gebrauch, die überdimensionierten Trichtern ähneln. Sie zählten und analysierten die Plastikteile, -fasern und -filme, die sich am Boden dieser Trichter gesammelt hatten und kleiner als 300 Mikron waren. Ein menschliches Haar hat für gewöhnlich einen Durchmesser von 50 bis 70 Mikron. Die kleinsten Teilchen, die man mit bloßem Auge noch erkennen kann, sind etwa 40 Mikron groß.

Mehr als die Hälfte aller Mikroplastikteile an der Station waren kleiner als 25 Mikron.

Die Forscher analysierten die Windmuster in der Region, um die Quelle der gesammelten Teilchen ausfindig zu machen. Allerdings wurden sie im Umkreis von 100 Kilometern nicht fündig, da die Region nur dünn besiedelt ist und keine Industrie oder größere gewerbliche oder landwirtschaftliche Aktivitäten aufweist. Neben dem Plastik fanden sie auch eine gewisse Menge an orangefarbenem, quartzähnlichen Staub, sagte der Co-Autor Steve Allen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Staub aus der Sahara. Frühere Studien hatten gezeigt, dass solche Staubpartikel von bis zu 400 Mikron Größe vom Wind Tausende Kilometer weit transportiert werden können. Aber „niemand weiß, wie weit Mikroplastik reisen kann“, fügte er hinzu.

Wissenschaftler haben bereits davor gewarnt, dass wir einen „Plastikplaneten“ schaffen. Im Jahr 2015 wurden etwa 420 Millionen Tonnen Plastik produziert. Zum Vergleich: 1950 waren es nur knapp über 2 Millionen Tonnen. Im Laufe dieser 65 Jahre landeten ungefähr 6 Milliarden Tonnen auf Müllhalden oder in der Natur, wie wissenschaftliche Schätzungen aus dem Jahr 2017 zeigten. Aller Plastikmüll beginnt einmal mit einem Produkt, das einen Zweck erfüllt: Flaschen, Verpackungen und so weiter. Werden diese Produkte weggeworfen, zerfallen sie im Laufe der Zeit zu immer kleineren Partikeln, irgendwann schließlich zu Mikroplastik oder gar zu Nanoplastik. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass zwischen 15 und 51 Billionen Plastikteilchen auf der Meeresoberfläche schwimmen. Eine Billion sind 1.000 Milliarden. Eine Billion Sekunden entsprechen 32.000 Jahren.

Gesundheitliche Folgen von Mikroplastik?

Die meisten Menschen sind über ihre Nahrung oder die Luft ständig Mikroplastik ausgesetzt. Die gesundheitlichen Folgen dieser Belastung sind derzeit aber noch unklar, sagt Stephanie Wright, eine Forscherin am Zentrum für Umwelt und Gesundheit des King’s College London.

„Wir haben erst vor Kurzem erkannt, dass Menschen Mikroplastik auch über die Luft ausgesetzt sind“, sagte Wright, die 2017 einen detaillierten Artikel über die menschliche Gesundheit und Mikroplastik verfasste.

Bekannt ist, dass Mikroplastikteilchen, die kleiner als 25 Mikron sind, über Mund und Nase in den menschlichen Körper eindringen können. Partikel, die kleiner als 5 Mikron sind, schaffen es sogar bis ins Lungengewebe. „Wir wissen, dass andere Arten so kleiner Partikel sich auf die Gesundheit auswirken“, erzählte Wright.

Am bekanntesten ist derzeit wohl die Debatte um Feinstaub, der durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht. Er wurde mit einer ganzen Reihe von gesundheitlichen Folgen in Verbindung gebracht, angefangen von Asthma über Herzinfarkte bis hin zur kognitiven Beeinträchtigung von Kindern. In den meisten Ländern gibt es daher Emissionskontrollen, die den Anteil von Feinstaubpartikeln, die kleiner als 10 bis 2,5 Mikron sind, möglichst verringern sollen.

Mikroplastik bringt aber noch ein weiteres Problem mit sich: Oft reichern sich an ihm Schwermetalle wie Quecksilber oder persistente organische Schadstoffe an, darunter auch bromierte Flammschutzmittel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. Von diesen Materialien sind gesundheitsschädigende Auswirkungen Wright zufolge bereits bekannt.

Die Mikroplastikmenge in der Umwelt wird sich mit der weiter steigenden Produktionsmenge von Plastik wohl nur noch vergrößern, warnen Wissenschaftler. Mittlerweile werden Kunststoffe in vielen Bereichen genutzt, in denen man sie vielleicht gar nicht auf Anhieb erwarten würde: beim Straßenbau, bei der Herstellung von Ziegeln und Beton, in Farben und Möbeln und so weiter. Trotzdem „gibt es noch immer viel zu viel, was wir über die Auswirkungen von Plastik auf die Umwelt nicht wissen“, so Wright.

Noch viel weniger ist über Nanoplastik bekannt – also Partikel, die noch viel kleiner als Mikroplastik sind. Auf einen einzigen Nadelkopf würden eine Milliarde Nanopartikel passen.

Nanopartikel: Ungewisse Gefahr

„Es sollte eigentlich niemanden überraschen, dass Mikroplastik überall ist“, sagte Roman Lehner von der Universität Freiburg in der Schweiz. Auch Nanoplastik ist allgegenwärtig, aber derzeit gebe es noch keine Technologie, um diese Partikel aufzuspüren, wie Lehner erklärt. Er selbst arbeitet aktuell an der Lösung dieses Problems.

Nanopartikel haben deutlich andere chemische und physikalische Eigenschaften als die identischen Materialien in größerer Form. Eine der einzigartigen Charakteristiken von Nanopartikeln besteht darin, dass sie im Vergleich zu ihrem Volumen eine große Teilchenoberfläche aufweisen. Dadurch sind sie in chemischer Hinsicht viel reaktiver. Auch die potenziellen Risiken, die diese Teilchen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit bergen, könnten sich von denen des Mikroplastiks unterscheiden, sagte Lehner, der an einem aktuellen Bericht über diese Risiken mitgewirkt hat.

Im Rahmen von Laborstudien konnten bereits schädliche Auswirkungen von Nanopartikeln auf Wasserlebewesen nachgewiesen werden. Studien haben gezeigt, dass Polystyrol-Nanopartikel nach dem Verschlucken die Zellwände der Lebewesen durchdringen können. Dadurch schienen sich Veränderungen im Verhalten und im Hormonsystem der Fische und anderen Wasserorganismen einzustellen. Bei Laborexperimenten durchdrang Nanoplastik auch Zellwände in Proben von menschlichem Darmgewebe.

BELIEBT

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    Aktuell gibt es fast keinerlei Forschung zu Nanoplastik in der Luft und deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, merkte Lehner an. „Wir kennen noch nicht alle Gefahren. Es ist aber wahrscheinlich, dass es beträchtliche Auswirkungen auf die Umwelt gibt, weshalb es absolut gerechtfertigt ist, in diesem Bereich intensiver zu forschen.“

    Steve Allen findet, dass es trotz der aktuell mangelhaften Datenlage klug wäre, weniger Plastik zu nutzen. Einwegkunststoffe wie Einkaufstüten und Strohhalme müssten verschwinden. Auch recyceltes Plastik schiebt die letztendliche Zersetzung zu Mikroplastik nur hinaus, weshalb es ihm zufolge deutlich besser wäre, einfach weniger Plastik zu verbrauchen.

    Viele Biokunststoffe sind ebenso keine gute Alternative, da sie derzeit kaum fachgerecht entsorgt und kompostiert werden und somit nicht verrotten.

    Plastik und Klima

    Auch der Klimawandel ist ein guter Grund, den Plastikverbrauch zu reduzieren. Fast alle Kunststoffe werden auf Basis fossiler Brennstoffe hergestellt. Die Emissionen aus diesem Industriezweig beliefen sich 2015 auf 1,7 Milliarden Tonnen CO2, wie in einer Studie nachzulesen ist, die in „Nature Climate Change“ veröffentlicht wurde. Wenn sich die produzierte Plastikmenge weiterhin jedes Jahrzehnt verdoppelt, könnten sich die Emissionen bis 2050 sogar auf 6,5 Milliarden CO2 belaufen. Das entspräche etwa 15 % des globalen CO2-Budgets.

    Wäre die Plastikindustrie ein Land, wäre sie der viertgrößte CO2-Produzent nach China, den USA und Indien. 

    National Geographic hat sich dem Kampf gegen die Plastikverschmutzung verschrieben. Auf natgeo.org/plastics erfahrt ihr mehr über unsere gemeinnützigen Aktivitäten. Erfahrt, was ihr selbst tun könnt, um euren Verbrauch von Einwegplastik zu senken, und macht mit.


    Die National Geographic Society und Sky Ocean Ventures haben die Ocean Plastic Innovation Challenge ins Leben gerufen und suchen weltweit nach Lösungen für die globale Plastikmüllkrise. Habt ihr Ideen? Bis zum 11. Juni 2019 könnt ihr eure Vorschläge unter oceanplastic-challenge.org einreichen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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