Die größte Flut der Weltgeschichte: Die Füllung des Mittelmeers

Das große Meer zwischen Europa und Afrika drohte einst, zu einer Salzwüste zu verdampfen. Dann brach der Atlantik durch die Straße von Gibraltar.

Von Maya Wei-Haas
Die einzige Verbindung, die das Mittelmeer zu den Weltmeeren hat, ist die Straße von Gibraltar – ...
Die einzige Verbindung, die das Mittelmeer zu den Weltmeeren hat, ist die Straße von Gibraltar – eine schmale Meerenge zwischen Europa und Afrika, hier zu sehen auf einem Bild von der ISS.
Foto von NASA

Unter dem türkisblauen Wasser des Mittelmeers verbirgt sich ein uraltes Geheimnis: eine bis zu drei Kilometer mächtige Salzschicht tief unter dem Ozeanbecken. Die weißen Mineralablagerungen gehören zu den wenigen Spuren eines uralten Mittelmeers, das vor Millionen von Jahren fast verschwunden ist. Einige Forscher glauben, dass das gesamte Meer einst verdampfte – ähnlich wie das Wasser, das vor langer Zeit die Sahara bedeckte.

Aber selbst nach jahrzehntelangen Forschungen geben die Details rund um das Verschwinden des Meeres – und die gewaltigen Wassermassen, die es wieder auffüllten – Rätsel auf. Vor etwa fünf Millionen Jahren kam es zur womöglich größten Flut in der Geschichte unseres Planeten. Die Wasserkaskade, die das gewaltige Mittelmeerbecken füllte, war einigen Schätzungen zufolge ungefähr 500 Mal größer als der Durchfluss des Amazonas.

„Das war ein sensationelles Ereignis“, sagt Daniel García-Castellanos vom Institut für Erdwissenschaften Jaume Almera in Spanien. In einer Analyse, die im Fachmagazin „Earth-Science Reviews“ erschien, identifizierten Garcia-Castellanos und sein Team einen Sedimentbereich, der womöglich durch die große Flut abgelagert wurde.

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Ohne diesen kataklystischen Durchbruch des Atlantiks würde das Mittelmeer so, wie wir es heute kennen, nicht existieren. Es wären keine Schiffe über seine Wasser gefahren, um die vielfältigen Kulturen der frühen menschlichen Zivilisationen zu bereichern, die an seinen Ufern erwuchsen. Heutzutage ist das Mittelmeer ein wichtiger Antrieb für die globalen Wasserkreisläufe. Durch die Verdunstung steigt der Salzgehalt seines Wassers, das in den Atlantik fließt und die Meeresströmungen antreibt, die weltweit Auswirkungen auf die Temperaturen, Wettersysteme und mehr haben.

Nun, da die Temperaturen stetig ansteigen und die Eiskappen an den Polen dahinschmelzen, sei es „ziemlich wichtig“ herauszufinden, welche Prozesse den Planeten, den wir heute sehen, formten, sagt Rachel Flecker, eine Geologin der University of Bristol.

Eine Flut ohnegleichen

Auch heute verdampft das Mittelmeer kontinuierlich und verliert jedes Jahr ungefähr 1,2 Meter an Wasser. Regenfälle und Flüsse reichen nicht aus, um das System im Gleichgewicht zu halten. Die einzige Wasserquelle, die den Füllstand aufrechterhält, ist der benachbarte Atlantik. Über die schmale Straße von Gibraltar zwischen Spanien und Marokko fließt beständig Wasser in das Meer das Europa von Afrika trennt.

Vor vielen Millionen Jahren haben tektonische Verschiebungen vermutlich dafür gesorgt, dass der Boden nach oben gedrückt wurde und die lebenswichtige Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Atlantik zusammendrückte. Wahrscheinlich floss noch immer Wasser in das Mittelmeerbecken. Aber die Veränderungen führten dazu, dass die salzreichen Meeresströme am Meeresboden nicht mehr in den Atlantik fließen konnten. Vor etwa sechs Millionen Jahren begann sich das Salz in unvorstellbaren Mengen anzuhäufen: Jeder der 7,7 Milliarden Einwohner unseres Planeten könnte fast 50 Pyramiden von Gizeh damit füllen.

Einige Forscher vermuten, dass die Region vor der großen Flut fast vollständig ausgetrocknet ist. Zurückgeblieben wäre dann nur ein tiefes Becken, dessen Boden mehr als 1,6 Kilometer unter dem heutigen Meeresspiegel lag. Alles, was zwischen dieser leeren Weite und dem tosenden Atlantik stand, war ein schmaler Landbereich auf dem Gebiet der heutigen Straße von Gibraltar. Wie breit diese Landbrücke früher war, ist noch immer ungewiss.

BELIEBT

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    Vor etwa 5,3 Millionen Jahren durchbrach eine gewaltige Flut diesen Damm und verband das Becken wieder mit dem Meer. Wie genau sich das abspielte, lässt sich ebenfalls nicht sagen. Anhand der spärlichen Beweise versuchten García-Castellanos und sein Team aber dennoch herauszufinden, wie schnell sich das leere Mittelmeerbecken gefüllt haben könnte. Der Durchbruch begann wahrscheinlich als Rinnsal über dem natürlichen Damm, wie ihre Modelle aus einer Studie von 2009 zeigen. Schon bald übernahm die Erosion das Ruder. „Der Prozess wird sehr schnell unaufhaltbar“, sagt García-Castellanos.

    Die zunehmenden Wassermassen gruben einen tiefen Pfad ins Gestein, durch den sich noch mehr Wasser seinen Weg bahnte. Auf dem Höhepunkt der Flut rauschten bis zu 100 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch die Öffnung und füllten das Mittelmeerbecken binnen zwei Jahren oder weniger. Ein solches Ereignis hätte mindestens 400 Millionen olympische Schwimmbecken voller Sediment mit sich gerissen. Das Ergebnis ist die Straße von Gibraltar – eine breite Schlucht, die sich bis zum Meeresboden erstreckt.

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    „Das ist wie das Wasser, das aus Feuerwehrschläuchen kommt“, sagte William Ryan. Der Meeresbiologe der Columbia University hat an der früheren Studie mitgewirkt, in deren Rahmen die Salzablagerungen im Mittelmeerbecken entdeckt wurden.

    Das verheerende Ereignis gestaltete die ganze Region um: Es verlagerte nicht nur riesige Wassermassen, sondern spülte auch große Mengen Gestein, Sand und alles andere in seinem Weg hinfort. „Mit dieser Energie werden nicht einfach nur kleine Sedimentkörnchen aufgewirbelt, die dann am Boden entlangrollen. Alles befindet sich in einem turbulenten Chaos“, sagt Victor Baker, ein Biologe der University of Arizona und ein Experte für große Fluten.

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    Die Geologen im 19. Jahrhundert hielten solche gewaltigen Überschwemmungen nicht mal für möglich. Aufgrund des damaligen Forschungsstandes mussten sie Ereignisse aus grauer Vorzeit anhand moderner Prozesse belegen. „Das Problem ist, dass solche gigantischen Fluten sehr selten sind“, sagt Baker. Genau wie katastrophale Asteroideneinschläge, die das Leben auf der Erde für immer verändern, ereignen sich auch solche Megafluten nicht sehr oft.

    Schon in den 1950ern begannen Wissenschaftler damit, die Geschichte des Mittelmeers zu erforschen. Damals fanden sie Salzablagerungen an seinen Ufern, die auf einen besonders hohen Salzgehalt eines uralten Meeres hindeuteten. In den Siebzigern bargen die Forscher an Bord der Glomar Challenger dann Bohrkerne aus dem Meeresboden. Dadurch konnten sie erstmals einen Blick auf die salzigen Überreste dieser turbulenten Zeit in der Geschichte des Meeres werfen.

    In den oberen Salzschichten entdeckten die Wissenschaftler Strukturen, die der aufgebrochenen Oberfläche eines ausgetrockneten Schlammbodens ähnelten: ein Hinweis darauf, dass dieser Bereich nicht immer von Wassermassen bedeckt war, sagt Ryan. Aber wie viel Wasser des Mittelmeers verschwand und für wie lange, wird nach wie vor heiß debattiert.

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    Im Laufe der Jahre haben viele Forscher versucht, Teilaspekte dieses Rätsels zu lösen. Aber je mehr Hinweise gefunden werden, desto verwirrender wird die Situation. Im ganzen Becken finden sich Fossilien von Tieren, die darauf hindeuten, dass fast das gesamte Gebiet von Wasser bedeckt war, bevor der Atlantik durchbrach, sagt der niederländische Geologe Wout Krijgsman von der Universität Utrecht. Womöglich war die Region vor der großen Flut keine Salzwüste, sondern ein zusammengeschrumpftes Meer.

    Eine der großen Fragen, auf die García-Castellanos und andere Forscher eine Antwort finden wollten, ist: Wohin verschwanden all die Sedimente? Die Wassermassen hätten schätzungsweise 1.000 Kubikkilometer Sediment im Mittelmeerbecken verteilt. Es hätte sich größtenteils in Bereichen gesammelt, in denen das Wasser langsamer floss. Aber da die Sedimente lange Zeit vor den ersten menschlichen Siedlungen abgelagert wurden, befinden sie sich mittlerweile unterhalb des Meeresbodens.

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    Um heutzutage einen Blick darauf werfen zu können, nutzten Forscher eine Methode, die wie eine Art geologischer Ultraschall funktioniert. Von einem Schiff aus senden sie seismische Wellen zum Boden des Mittelmeeres und messen die zurückgeworfenen Echos. Dabei entdeckten sie zwei große Ablagerungen von Gestein und Sand – eine im Grenzbereich zwischen dem westlichen und östlichen Becken und eine hinter einem unterseeischen Vulkan. Bislang sind die Funde noch nicht vollständig ausgewertet. Die Forscher müssen erst noch Proben der Bereiche nehmen und diese analysieren, um festzustellen, wann genau sie entstanden, sagt Flecker.

    Die Antworten könnten zum Greifen nahe liegen. Flecker und andere Wissenschaftler wollen an mehreren Orten des Mittelmeerbodens Bohrkerne entnehmen, um mehr Hinweise auf diesen Schlüsselmoment in der geologischen Vergangenheit der Region zu finden.

    „Künftige Bohrungen könnten einen großen Beitrag zu unserem Verständnis dafür leisten, was damals tatsächlich geschah und wie“, so Ryan.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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