Wenn’s aus dem Keller strahlt
Vom radioaktiven Edelgas Radon haben viele Menschen noch nie gehört – obwohl es hierzulande zu den wichtigsten Ursachen für Lungenkrebs zählt.
Das radioaktive Edelgas Radon kann sich in schlecht abgedichteten Bauten in der Luft anreichern.
Roland Tschirner wäre vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, die Radonkonzentration im Keller seines Eigenheims zu messen, hätte seine Frau nicht zufällig einen Radiobeitrag über das Thema gehört. Es war ein glücklicher Zufall, denn die Werte für das radioaktive Edelgas lagen deutlich über dem Durchschnitt.
Radioaktivität im eigenen Keller – für die meisten wohl erst einmal ein beunruhigender Gedanke. Aber Tschirner, der in diesem Text aus versicherungstechnischen Gründen nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden möchte, verfiel nicht in Panik, sondern begab sich akribisch auf Spurensuche, sowohl in seinem Haus als auch im Internet. „Ich wollte das Problem erst mal verstehen“, erzählt der Ingenieur aus Süddeutschland.
Was ist Radon?
Radioaktivität ist eigentlich ein ganz normaler Bestandteil des Alltags: Überall auf der Welt kommt Uran natürlich im Boden vor. Zu seinen radioaktiven Zerfallsprodukten gehört auch das Edelgas Radon, das man weder sehen noch riechen noch schmecken kann. Durch poröses Gestein bahnt es sich einen Weg durch den Boden bis zur Oberfläche. Im Freien ist seine Konzentration in der Luft für gewöhnlich so gering, dass sie im Rahmen der natürlichen Strahlenbelastung als vernachlässigbar gilt.
Wie alle radioaktiven Elemente hat auch Radon einen instabilen Atomkern. Nach seiner Halbwertszeit von 3,8 Tagen zerfällt das Edelgas und es entstehen Polonium, Wismut und Blei, die noch kurzlebiger und ebenfalls radioaktiv sind. Zerfallen auch diese Elemente, setzen sie Alphastrahlung frei – die eigentliche Gesundheitsgefahr, die Radon birgt.
Radon-Konzentration im Boden.
Prognose der Radonkonzentration in der Bodenluft in einem Meter Tiefe.
Als reiner Umgebungsfaktor ist Alphastrahlung nicht allzu problematisch, da sie vergleichsweise schwach ist und den menschlichen Organismus kaum durchdringen kann. Da Radon aus der Umgebungsluft jedoch eingeatmet wird, kann die Strahlung direkt im Inneren der Lunge wirken. Dort kann sie das Zellgewebe schädigen und schließlich zum Tumorwachstum führen.
Auf Dauer erhöht die Strahlenbelastung deshalb das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Und dieses Risiko ist gar nicht mal so klein: Um die 1.900 Lungenkrebs-Todesfälle pro Jahr gehen auf die Radonbelastung zurück – allein in Deutschland. Zu diesem Schluss kam eine Studie, die 2008 im Fachmagazin „Health Physics“ erschien. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz schloss sich dieser Einschätzung an. Damit ist Radon hierzulande für 5 % der Lungenkrebs-Todesfälle verantwortlich.
„Radon ist eine der wichtigsten Ursachen von Lungenkrebs“, sagt Anja Lutz, Pressesprecherin des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS). Das Edelgas wird als Risikofaktor nur noch vom Rauchen geschlagen, das die Statistik anführt.
Gefährlich kann Radon vor allem in Innenräumen werden. „Gerade ältere Häuser und Häuser mit schlechter Bausubstanz sind eher betroffen als neue Häuser, die zum Boden hin gut abgedichtet sind“, erklärt Lutz. Dort kann sich Radon – insbesondere im Keller und den unteren Etagen – mit der Zeit in der Raumluft anreichern und eine kritische Konzentration erreichen.
Radon-Konzentrationen in Wohnungen.
Durchschnittliche Radon-Konzentrationen (geometrischer Mittelwert) in Wohnungen in Deutschland.
Das war auch im Haus von Roland Tschirner der Fall, obwohl es baulich eigentlich gut zum Erdreich hin abgedichtet ist. „Dazu muss man wissen, dass der Hobbyraum früher mal ein Poolbereich war“, sagt er. Den hatten die Vorbesitzer dort eingebaut – inklusive Gegenstromanlage. Genau dort entdeckte er mit Hilfe eines speziellen Messgeräts die erste Radonquelle: ein Sickerloch im Geräteschacht. „In diesen Schacht hatten wir zwei Jahre nie reingeschaut. Der war verschlossen. Aber er hatte durch ein in den Beton eingelassenes Rohr eine direkte Verbindung zum Boden.“
Mehr als das war nicht nötig. „Aus dieser vier bis fünf Zentimeter kleinen Öffnung kam ein erheblicher Radonertrag. Zu den schlimmsten Zeiten waren es ungefähr 1000 Becquerel pro Kubikmeter pro Stunde“. Zum Vergleich: Die WHO empfiehlt einen Grenzwert von 100 Becquerel als Langzeit-Durchschnitt.
Die Einheit Becquerel (Bq) gibt die mittlere Zahl der Atomkerne an, die pro Sekunde zerfallen: 1 Bq bedeutet also, dass ein radioaktiver Zerfall pro Sekunde stattfindet.
Die Schneeberger Krankheit
Welche gesundheitlichen Folgen eine starke Radonbelastung haben kann, mussten die Bergarbeiter im Sächsischen Erzgebirge schon im 16. Jahrhundert am eigenen Leib erfahren. Seit Paracelsus 1567 erstmals von der „Schneeberger Krankheit“ schrieb, befassten sich immer wieder verschiedene Ärzte mit dem schlechten Gesundheitszustand und dem frühen Tod der Schneeberger Bergleute. Lange galten die schlechte Luft und der Staub im Bergwerk als Ursache für die „Bergsucht“, wie sie auch genannt wurde. Dass es sich dabei um Lungenkrebs handelte, erkannte man schließlich um 1865. Aber erst mit weiteren technischen Fortschritten und wissenschaftlichen Studien konnten die radioaktiven Uranerze als Ursache der Erkrankung identifiziert werden.
Um die genauen Auswirkungen von Radon besser zu verstehen, führt das Bundesamt für Strahlenschutz seit 1993 eine umfangreiche Kohortenstudie durch. Dafür werden die gesundheitlichen Folgen der Strahlenbelastung für fast 60.000 Uranbergarbeiter dokumentiert, die zwischen 1946 und 1990 in der DDR beschäftigt waren.
„Die Wismut-Kohorte hat gezeigt, wie sich die Dauer und die Höhe der Radonkonzentration auf das Erkrankungsrisiko für Lungenkrebs auswirken“, sagt Lutz. „Durch technische Maßnahmen in den Bergwerken, wie künstliche Belüftung, sind die Radonkonzentrationen dort deutlich gesunken und die Staubentwicklung hat sich verringert.“
Radon im Alltag
Im Alltag muss sich freilich niemand vor so hohen Strahlenbelastungen fürchten, wie sie vor dem späten 20. Jahrhundert im Uranbergbau herrschten. Doch auch die Radon-Konzentrationen, die in Wohnungen auftreten können, erhöhen Studien zufolge das Lungenkrebsrisiko, erklärt Lutz.
Das Bundesamt für Strahlenschutz stellt Karten zur regionalen Verteilung von Radon im Boden und in Innenräumen bereit, die eine erste Orientierung bieten. In Deutschland gelten 300 Bq/m³ als Referenzwert, der in vielen Gebieten auch nicht überschritten wird. Vorsicht ist in manchen Situationen dennoch geboten. „Es gibt keinen Schwellenwert, unterhalb dem eine Radonkonzentration eindeutig als unbedenklich gilt“, warnt Lutz. Pro 100 Bq steige das Lungenkrebsrisiko um 16 Prozent. Allerdings geht man dabei von einer langjährigen Belastung aus.
Wie findet man nun heraus, welche Radonkonzentration in den eigenen vier Wänden herrscht?
„Die einfachste Möglichkeit ist eine Messung, die ist einfach und kostengünstig“, empfiehlt Lutz. Dafür kann man spezielle Messgeräte mieten oder kaufen, die drei bis zwölf Monate lang die mittlere Radonbelastung in einem Raum ermitteln. Zur Auswertung schickt man das Gerät ein und erhält das Ergebnis. „Pro Raum kostet das ungefähr 30 Euro.“
Stellt man eine erhöhte Belastung fest, ist häufiges und gründliches Lüften die beste Sofortmaßnahme, erfahrungsgemäß aber keine Dauerlösung. Daher empfiehlt Lutz, zum Bespiel den Einbau einer Lüftungsanlage in Betracht zu ziehen. Ausgebildete Spezialisten können zudem bei der Auswahl und Durchführung weiterer baulicher Schutzmaßnahmen gegen Radon helfen.
Bei all dem ist vor allem Eigeninitiative gefragt, denn auf gesetzliche Hilfe brauchen Mieter nicht zu hoffen. „Wer bei sich zu Hause eine erhöhte Radonkonzentration gemessen hat, sollte sich an seinen Vermieter oder seine Vermieterin wenden, um eine einvernehmliche Lösung zu suchen“, so Lutz, denn der offizielle Referenzwert von 300 Bq/m³ ist rechtlich nicht bindend. „Das Strahlenschutzrecht macht keine Aussagen zum Mietrecht.“
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Auf seine Eigenverantwortung hat auch Roland Tschirner gesetzt, der sein Radonproblem auf eigene Faust löste.
Nachdem er den Schacht der alten Gegenstromanlage versiegelt hatte, machte er ein weiteres Radonleck ausfindig: den Kabelkanal der Telefoninstallation. Durch ihn gelangte das Radon aus dem Keller sogar in die oberen Stockwerke und damit in die Wohn- und Schlafräume der Familie. „Was mich besonders traurig gemacht hat, war, dass unser neugeborenes Kind dem auch ausgesetzt war.“ Auch durch die Luftansaugöffnung im Lichtschacht des Heizungsraums bahnte sich das Gas einen Weg.
Schlussendlich gelang es ihm, alle Strahlungslecks abzudichten. „Der Langzeit-Durchschnitt liegt jetzt bei 130 Bq/m³, und da ist noch die Zeit mit drin, als im Keller noch keine Maßnahmen ergriffen waren“, sagt er. „Wir haben das Problem jetzt im Griff.“
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