Nachtaktive Wälder – warum heimische Bäume vor allem in der Dunkelheit wachsen

Eine Schweizer Studie zeigt: Tagsüber kommen Bäume oft ins Schwitzen – und erst nachts so richtig in Fahrt.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 21. Okt. 2021, 09:08 MESZ, Aktualisiert am 17. Feb. 2022, 15:07 MEZ
Waldriesen im Hitzestress: Wenn die Luft zu trocken wird, hören viele Bäume auf zu wachsen.

Waldriesen im Hitzestress: Wenn die Luft zu trocken wird, hören viele Bäume auf zu wachsen.

Foto von M. Kaennel Dobbertin

Photosynthese ist der wohl wichtigste biochemische Motor auf unserem Planeten. Pflanzen, Algen und einige Bakterienarten bilden im Rahmen des komplexen Prozesses ihre eigene Biomasse. Nebenbei produzieren sie den Sauerstoff, den Menschen und Tiere zum Atmen brauchen.

Erst im Zusammenzuspiel aus Lichtenergie, Kohlendioxid und Wasser läuft der Vorgang in den Blättern oder den Nadeln einer Pflanze ab. Kein Leben ohne Photosynthese. Und keine Photosynthese ohne Licht.

Wachsen Bäume also vor allem dann, wenn die Sonne scheint? Tatsächlich scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Laut einer Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL sprießen sie überwiegend im Dunkeln.

Ein Baum für alles, was wir brauchen?

Baumwachstum: Auf die Luftfeuchtigkeit kommt es an

Für die Untersuchungen analysierte das Forschungsteam acht Jahre lang 170 Buchen und andere Baumarten in der gesamten Schweiz. Die Daten zeigen, dass das Baumwachstum über den Tag verteilt stark variiert.

Demnach schrumpft und dehnt sich der Stammradius unter dem Einfluss von Trockenstress. Mit einem so genannten Punktdendrometer konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Radiusänderungen in mikrometergenauer Auflösung messen.

Dass Bäume überwiegend in der Dunkelheit zulegen, begründen die Forschenden mit der nachts höheren Luftfeuchtigkeit. Tagsüber dagegen hemme die trockenere Luft das Wachstum – selbst bei feuchten Böden.

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    Ein Punktdendrometer misst Radiusänderungen in Mikrometerauflösung an Baumstämmen. Die Daten liefern Informationen zum Wachstum und Wasserhaushalt.

    Foto von Roman Zweifel

    Schwitzende Bäume

    Ähnlich wie der Mensch verschafft sich ein Baum an heißen und trockenen Tagen Kühlung, indem er transpiriert. Er schwitzt buchstäblich Wasser über seine Blätter oder Nadeln aus. Weil er dann aber mehr Wasser durch Transpiration verliert, als er über seine Wurzeln aufnehmen kann, stoppt er sein Stammwachstum.

    „Mit anderen Worten: Bäume hören auf zu wachsen, bevor die Photosynthese gehemmt wird“, sagt Studienleiter Roman Zweifel. Insgesamt wüchsen sie nur während eines engen Zeitfensters von wenigen Stunden innerhalb eines Tages.

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    Neue Erkenntnisse zum Klimawandel

    „Die größte Überraschung für uns war, dass die Bäume sogar in mäßig trockenen Böden wuchsen, sofern die Luft ausreichend feucht war“, so Zweifel. „Umgekehrt blieb das Wachstum sehr gering, obwohl der Boden feucht, zeitgleich die Luft aber trocken war“.

    Die Erkenntnisse könnten dabei helfen, den Einfluss des Klimawandels auf die Wälder besser zu verstehen. Im Zentrum steht die Frage, wie Bäume unter zunehmend trockeneren Bedingungen Kohlenstoff speichern und damit klimaschädliches CO2 binden.

    Bisherige Modelle setzen nach Zweifels Worten vor allem auf Jahresmittelwerte, ohne tageszeitliche Schwankungen zu berücksichtigen.

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