„Phosphogeddon“: Durch Überdüngung in die Hungerkrise?

Phosphor ist als Dünger in der Landwirtschaft unverzichtbar. Doch die Reserven sind bald aufgebraucht. Unser verschwenderischer Umgang mit dem Stoff fügt der Umwelt extreme Schäden zu. Könnte er auch eine globale Ernährungskrise auslösen?

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 30. März 2023, 09:04 MESZ
Trecker bringt auf einem Feld Phosphat-Dünger aus.

Erst seit Mitte des letzten Jahrhunderts wird weltweit Phosphat zum Düngen in der Landwirtschaft eingesetzt – doch die Reserven sind knapp. Was bedeutet das für unsere globale Ernährung in Zukunft? 

Foto von Dusan Kostic / Adobe Stock

Ohne Phosphor kein Pflanzenwachstum: Das chemische Element ist einer der wichtigsten Nährstoffe im Acker- und Gartenbau. Es versorgt die Pflanzen mit Energie und dient unter anderem als Baustein für Zellwände und Erbgut. In der Landwirtschaft ist Phosphor, der Grundbestandteil des weltweit eingesetzten Phosphatdüngers, unersetzlich für das Wachstum von Kulturpflanzen. 

Doch unsere Phosphatreserven sind begrenzt. Sollten wir Phosphor weiterhin so intensiv zum Düngen einsetzen wie bisher, wird der globale Vorrat an Phosphatgestein, das in Minen abgebaut wird, in 300 Jahren aufgebraucht sein. Das Problem: Fehlender Phosphatdünger könnte zu einer Nahrungsmittelknappheit führen. Dazu schadet das auf die Felder gebrachte Rohphosphat der Umwelt. Wie können wir eine globale Krise verhindern? 

Phil Haygarth, Professor für Boden- und Wasserkunde an der Lancaster University in England, hat sich mit dieser Frage und der Zukunft des Phosphors auseinandergesetzt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jim Elsler, Ökologie-Professor an der University of Montana in den USA, warnt er im Buch „Phosphorus – Past and Future“ vor den gravierenden Folgen unseres übermäßigen Phosphateinsatzes – und einem besorgniserregenden Zukunftsszenario: dem „Phosphogeddon“. 

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    Phil Haygarth, Phosphat wird erst seit wenigen Jahrzehnten weltweit als Düngemittel eingesetzt. Was wurde vorher benutzt?

    Schon vor seiner Entdeckung ist Phosphor immer da gewesen. Er ist ein natürlich vorkommendes Element, genauso wie Kohlenstoff oder Sauerstoff. Bevor wir in den natürlichen Kreislauf eingegriffen haben, war das Element in den Böden bereits zu einem gewissen Grad für Pflanzen verfügbar. Phosphor konzentriert sich bei Tieren und Menschen aber beispielsweise auch in ihren Ausscheidungen, im Urin oder in den Knochen. Das machten sich kleinere Gemeinschaften, Jäger und Sammler und kleine Bauernhöfe schon früh zunutze und recycelten den Mist und Dung ihrer Tiere, damals aber nur lokal. 

    Auch heute recyclen Landwirte noch die Gülle ihrer Tiere und nutzen sie als Dünger. Das tierische Material wird wiederverwertet, der Phosphor darin also recycelt. Indem diese Stoffe als Düngemittel verwendet wurden, blieb alles in einer Art natürlichem, nachhaltigen Kreislauf. So war es, bis wir vor ein paar Jahrzehnten mit dem Abbau von Phosphatgestein begannen und den Böden diesen „neuen“, zusätzlichen Phosphor zugeführt haben. Damit haben wir in den Kreislauf eingegriffen – und das hatte erstaunliche Auswirkungen und einen positiven Effekt auf die Nahrungsmittelproduktion.

    Inwiefern? 

    Es steigerte den Ernteerfolg seit Mitte des letzten Jahrhunderts immens, da der zusätzliche Phosphor essentiell zum Wachstum und zur Vermehrung von Pflanzen beigetragen hat.

    Hat der Einsatz von Phosphatdünger auch das Bevölkerungswachstum begünstigt?

    Es gibt eine Korrelation zwischen den beiden Komponenten. Die Entdeckung des Phosphors und seine Nutzung haben großartige Dinge für die Welt getan. Aber der Phosphor hilft eben nicht nur der Bevölkerung oder den Pflanzen an Land zu wachsen, sondern auch den Pflanzen in Flüssen, Seen und Ozeanen. Dort kann er das gesamte ökologische Gleichgewicht zerstören.  

    Sie sprechen in Ihrem Buch vom sogenannten „Phosphogeddon“. Müssen wir uns Sorgen machen? 

    Phosphor ist mit seinen guten und schlechten Seiten eine gewaltige Herausforderung für die Erde und für uns Menschen. Das von uns im Buch beschriebene „Phosphogeddon“-Szenario zeigt, was uns in ein paar tausend Jahren bevorstehen könnte, wenn wir weiterhin so viel Phosphor in den Boden leiten wie bisher. Es ist ein hypothetischer, zukünftiger Zustand einer Welt, in der der Einsatz von Düngemitteln außer Kontrolle geraten ist, was dazu führt, dass die angesammelten Phosphorvorräte in Böden und Sedimenten in die Gewässer gelangen. Das ökologische Gleichgewicht der Flüsse, Seen und Ozeane wird dadurch gestört und wenige Organismen können sich ungestört vermehren und in den Gewässern Überhand nehmen. Manche dieser Pflanzen können auch zur Klimaerwärmung beitragen.

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    Doch es gibt auch ein gegensätzliches Szenario: „Phosphoheaven“. In diesem Zustand wird Phosphor kontrolliert und in angemessenen Mengen strategisch eingesetzt und effizient recycelt. Wir bewegen uns derzeit in diesem Spannungsfeld zwischen „Phosphogeddon“ und „Phosphoheaven“. Wenn wir den Phosphor etwas harmonischer, ausbalancierter und im Einklang mit der Umwelt nutzen würden, könnten wir gut leben. 

    Kann der Phosphogeddon denn noch vermieden werden?

    In den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts sind wir meiner Meinung nach an einem kritischen Wendepunkt angekommen. Phosphor bewegt sich langsam durch den Boden und wird darum noch viele, viele Jahre – wahrscheinlich sogar Jahrzehnte – über die Böden in unsere Gewässer gelangen – jede Veränderung würde also eine lange Zeit in Anspruch nehmen.

    “ Wir müssen den Einsatz von neuen Phosphaten reduzieren und sie an den Orten, wo sie am meisten gebraucht werden, gezielt einsetzen.”

    von Phil Haygarth
    Professor für Boden- und Wasserkunde, Lancaster University

    Was müssen wir also tun?

    Wir müssen den Einsatz von neuen Phosphaten reduzieren und sie an den Orten, wo sie am meisten gebraucht werden, gezielt einsetzen – zum Beispiel in einigen Teilen von Afrika. Wenn der Phosphor nicht nachhaltig eingesetzt wird, landet er in Ozeanen oder auf der Mülldeponie. Und wir sollten auch ans Recycling denken: Man könnte die Gülle aus der Landwirtschaft und phosphorhaltige Sedimente viel besser nutzen und wirksamere Maßnahmen gegen den Verlust von Phosphor in der Landwirtschaft ergreifen. 

    Auch beim Phosphorrecycling müssen wir innovativer werden, zum Beispiel indem wir den Phosphor aus Lebensmittelabfällen nutzen. Wir müssen sie kompostieren oder in eine Form umwandeln, in der wir sie wieder dem Boden zuführen können. Es dreht sich also alles um Nachhaltigkeit und gutes Bodenmanagement – und um kluge Entscheidungen in Bezug darauf, wie viel Phosphor wir an welchen Orten auf der Welt von außen zuführen wollen. 

    Kann man auch den bereits im Boden enthaltenen Phosphor nutzen? 

    Das Problem ist, dass sowohl der natürlich im Boden enthaltene als auch der durch Düngung aufgebrachte Phosphor oft fest im Boden gebunden werden. Wenn wir also neuen Phosphor auftragen, geht viel davon direkt in den Boden und wird dort eingelagert, und nur ein wenig davon geht in die Pflanzen. In Zukunft brauchen wir also Pflanzen, die über bessere Strategien verfügen, um an diesen fest im Boden gebundenen Phosphor zu gelangen. 

    Schätzungen zufolge wird uns in den nächsten 300 Jahren das Phosphatgestein in den Minen ausgehen. Was passiert, wenn wir kein Phosphat mehr zum Düngen haben? 

    Ich bin weniger besorgt, dass uns der Phosphor ausgehen wird, da Bergbauunternehmen sehr innovativ bei der Suche nach neuen Vorräten sind. Ich mache mir eher hinsichtlich geopolitischer Interessen Sorgen – wegen der ungleichen Verteilung des Rohphosphats unter den Ländern, die es besitzen. Marokko ist einer der Hauptlieferanten von Phosphor. Das könnte das Land in eine sehr starke Position bringen und den Rest der Welt in ein Abhängigkeitsverhältnis.  

    Wie würde sich eine Phosphatknappheit auf die Ernährung der Weltbevölkerung auswirken?

    In Regionen, die nicht genug Phosphor haben oder bekommen und deshalb nicht ordentlich landwirtschaftlich anbauen können, könnte es ein Problem mit der Nahrungsmittelversorgung oder der Ernährungssicherheit geben. Es ist nicht so, als hätten wir zu wenig Phosphor, um die Lebensmittelproduktion aufrechtzuerhalten. Aber wir müssen die vorhandenen Ressourcen klug verteilen und nutzen. Das wird in Zukunft eine große ethische Herausforderung für uns werden, denn der Phosphor muss in die Länder gelangen, die ihn benötigen. Aber wenn wir es schaffen, mit gezieltem Phosphateinsatz die ursprüngliche Balance in der Pflanzenproduktion wiederherzustellen, Phosphor in seinem natürlichen Kreislauf zu recyceln und die externe Phosphatzufuhr zu verringern, können wir „Phosphoheaven“ erreichen. 

     

    Das Interview wurde auf Englisch geführt und ins Deutsche übersetzt.

    Phil Haygarth auf Twitter folgen: @ProfPHaygarth

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