Deutschlands Giganten: Diese 3 Baumriesen halten die Rekorde

Sie sind wahre Kolosse: knorrig, weit verzweigt und riesengroß. Auch in Deutschland gibt es jahrhundertealte Baumgiganten. Ein Experte erklärt, warum wir sie heute mehr denn je brauchen und wie wir sie erhalten können.

Von Heidrun Patzak
Veröffentlicht am 27. Sept. 2023, 12:24 MESZ
Baumriesen

Ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands ist bewaldet, doch nur wenige Bäume schaffen es in die Kategorie Riesenbaum.

Foto von Adobe Stock - Septemberlegs.com

Etwa 90 Milliarden Bäume gibt es in Deutschland. Knapp die Hälfte davon sind Fichten und Kiefern, doch auch Buchen und Eichen haben mit je 16 und 10 Prozent einen beträchtlichen Anteil an den hiesigen Wäldern. Im Schnitt werden Bäume in Deutschland 77 Jahre alt – das ist geradezu jugendlich, wenn man bedenkt, welches biologische Alter einige Baumarten erreichen können. Unter passenden Bedingungen können Kiefern zum Beispiel bis zu 500 und Eichen oder Linden sogar mehr als 850 Jahre alt werden.

Methusalembäume und Baumgiganten

Um diese sogenannten Methusalembäume geht es bei dem Projekt Nationalerbe-Bäume. Im Jahr 2019 rief Prof. Dr. Andreas Roloff, Seniorprofessor für Baumbiologie an der TU Dresden, die Initiative ins Leben. Roloffs Ziel: Uralte Bäume zu pflegen und zu schützen. Einhundert Bäume sollen dafür ausgewählt werden – achtundzwanzig Nationalerbe-Bäume wurden bereits ausgerufen.

BELIEBT

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    Schon in den 1850er Jahren wurde die Hindenburglinde im Berchtesgadener Land in einem Baedeker-Reiseführer erwähnt – heute zählt sie zu den Nationalerbe-Bäumen.

    Foto von Andreas Roloff

    Damit ein Baum nominiert werden kann, soll er mindestens 400 Jahre alt sein und muss in einem Meter Höhe über mindestens 400 cm Stammumfang verfügen. Ausgewählt werden die Bäume von einem Kuratorium der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft (DDG). „Wir müssen alles daransetzen, um diese Bäume für die Nachwelt zu erhalten“, unterstreicht Prof. Roloff die Dringlichkeit seiner Initiative, „gerade in Deutschland, wo es sehr viel weniger alte Bäume gibt als zum Beispiel in Großbritannien.“ Der Grund dafür liege in der „deutschen Supergründlichkeit“, erklärt der Baumexperte. Eine übertriebene Sicherheitserwartung führe hierzulande dazu, dass zu viel gesägt und verstümmelt würde. „Davon erholen sich die Bäume nicht und können dann nicht mehr 1000 Jahre alt werden.“

    Warum Uraltbäume und Baumriesen so wertvoll sind 

    „Ein Altbaum mit 20 Metern Kronenbreite hat die Klimawirkungen von 400 Jungbäumen. Wir sprechen hier von Kühlung, Beschattung, Luftbefeuchtung, Wasser- und natürlich auch CO2-Speicherung“, zählt Roloff die Vorteile von Altbäumen auf. In harten Zahlen gesprochen: Will man die Klimawirkung eines alten Baumes, der gefällt wurde oder abgestorben ist, kompensieren, würde die Pflanzung einer entsprechenden Menge an Jungbäumen rund eine Million Euro kosten.

    “Ein Altbaum mit 20 Metern Kronenbreite hat die Klimawirkungen von 400 Jungbäumen.”

    von Prof. Dr. Andreas Roloff

    Was Baumriesen und Uraltbäume leisten, geht jedoch weit über das Binden von Kohlenstoff und die Beschattung hinaus. Unter anderem bieten sie ein Habitat für Vögel, Fledermäuse und Insekten, außerdem wachsen auf ihnen unzählige Moose und Flechten. „Uraltbäume sind regelrechte Hotspots der Biodiversität“, so Roloff. „In einigen alten Bäumen wurden bei eingehender Untersuchung über 200 Tierarten gefunden, etliche davon sind vom Aussterben bedroht oder wurden sogar schon als ausgestorben eingestuft – wie zum Beispiel an der Tanne im Nationalpark Bayerischer Wald, dem Naturerbebaum Nummer 26.“ Zudem haben diese Bäume eine enorme kulturhistorische Bedeutung: Sie sind Kulturdenkmäler und Zeitzeugen historischer Ereignisse. Was mag ein Baum, der 600 Jahre alt ist, bereits alles erlebt haben?

    Die Weiß-Tanne (Abies alba) bei Bayerisch Eisenstein ist die höchste, dickste und älteste dokumentierte Tanne Deutschlands. Sie wurde 2023 zum Nationalerbe-Baum gekürt.

    Foto von Andreas Roloff

    Das Geheimnis der Uraltbäume

    Nicht jede Baumart hat das Potenzial, mehrere hundert Jahre alt zu werden. Möglich ist das beispielsweise bei Eiben, Eichen, Linden, sowie bei Lärchen, Ginkgo und Esskastanien. Diese Bäume entwickeln ganz eigene Überlebensstrategien: So sondern Eichen und Eiben bestimmte Abwehrstoffe in ihrem Holz ab, um Fraßfeinde auf Abstand zu halten oder holzzersetzende Pilze an der Ausbreitung zu hindern. Andere Baumarten, wie etwa die Linde, schaffen es, immer wieder auszutreiben, selbst wenn ein Sturm oder Blitzeinschlag Baumteile zerstört hat.

    Manche Uraltbäume können sich sogar genetisch weiterentwickeln. Durch Mutationen und Anpassungen an einzelnen Ästen ist es möglich, dass ein und derselbe Baum unterschiedliche Blattarten ausbildet. „Im Extremfall läuft das ja über Jahrhunderte“, erläutert Roloff. „An einer 800-jährigen Ivenacker Eiche habe ich an mehreren noch lebenden uralten Ästen nur Stiel-Eichenblätter gefunden, an anderen uralten Ästen desselben Baumes nur Trauben-Eichenblätter. Das Spannende daran: Die Trauben-Eichenblätter kamen ausschließlich auf der Südseite der Krone vor, auf der regelmäßig Trockenstress herrscht.“ Überhaupt sind alte Bäume resistenter gegenüber Trockenstress, da ihr Wurzelsystem groß und tiefgehend ist und sie sich häufig ein eigenes Wasserreservoir erschlossen haben. „Bei einem unserer Nationalerbe-Bäume konnten wir fast 40 m vom Baum entfernt noch Wurzelwerk finden.“

    Schon früher wurden unter ihren Blättern Bankette abgehalten und auch heute ist die „Dicke Linde“ noch Treffpunkt für dörfliche Veranstaltungen.

    Foto von Andreas Roloff

    Gigantisch: Das ist der dickste Baum Deutschlands

    Sie war der erste Baum, der in die Nationalerbebaum-Liste aufgenommen wurde: die Heeder Riesenlinde im Emsland (Niedersachsen). „Sie ist der dickste vollholzige Baum, bei dem der Stamm noch weitgehend mit Holz geschlossen ist“, berichtet Roloff. Die Maße sind in der Tat gigantisch: Knapp 18 Meter misst der Stammumfang, die Baumkrone umfasst eine Fläche von etwa 30 x 30 Metern bei einer Höhe von circa 24 Metern. Die Experten der Nationalerbe-Bäume schätzen das Alter der Sommer-Linde (Tilia platyphyllos) auf 600 bis 800 Jahre. Irgendwann während seiner bewegten Geschichte muss der Baum große Teile seiner Krone verloren haben. Womöglich im Jahr 1763 während des holländischen Krieges, so die Vermutung der Experten. Heute verfügt die Linde noch über neun Stämmlinge, die laut Laboruntersuchungen alle von ein und demselben Baum stammen. Die gute Nachricht: Dendrologen schätzen die Linde trotz ihres Alters als gesund ein.

    Wächst immer weiter: Der höchste Baum Deutschlands

    Der höchste Baum Deutschlands ist eigentlich noch ein Jungspund: Douglasie „Waldtraut“ ist erst 110 Jahre alt und misst bereits 67,7 m Baumhöhe – Tendenz steigend. Jedes Jahr wächst sie im Schnitt um weitere 30 Zentimeter. Dabei ist die Douglasie in Deutschland nicht heimisch und wurde 1913 zunächst als Versuchsobjekt im Freiburger Stadtwald gepflanzt. Förster und Waldbesitzer setzen Hoffnungen in die ursprünglich aus Nordamerika stammende Baumart, denn sie scheint sich bisher besser mit den veränderten klimatischen Bedingungen arrangieren zu können als einige heimische Nadelbaumarten wie zum Beispiel Fichten. Waldtrauts Zukunft sieht also rosig aus. Schließlich können Douglasien bis zu 1400 Jahre alt und 100 Meter hoch werden.

    Besucher können den höchsten Baum Deutschlands über den Mühlenwaldweg in Freiburg Günterstal besuchen.

    Foto von Manfred Gut, Public domain, via Wikimedia Commons

    Es herrscht Uneinigkeit: Der älteste Baum Deutschlands

    „Ein schwieriges Thema“, gibt Baumexperte Prof. Roloff zu. In Deutschland werden mehr als 100 Bäume vor Ort als „1000-jährig“ bezeichnet, 30 davon als „sicher ältester Baum Deutschlands.“ Belegt und dokumentiert sei das alles nicht, es handle sich hier um „schöne, über Jahrhunderte weitererzählte Geschichten.“ Das Problem bei der richtigen Einschätzung des Baumalters: Häufig werden Wiederaustriebe eines bereits abgestorbenen Baumes als Teil des alten Baumes gewertet, was nicht korrekt ist, denn es darf nur der heute stehende Stamm – in diesem Fall wäre es der frische Austrieb – gewertet werden.

    Seit Oktober 2021 ist die Erler Femeiche Nationalerbe-Baum. Sie war der erste nominierte Baum in Nordrhein-Westfalen.

    Foto von Andreas Roloff

    Dennoch gibt es laut Roloff einen Baum, der den Titel „ältester Baum Deutschlands“ tatsächlich verdient hat: Die Raesfelder Femeiche. Sie wird auf 900 bis 950 Jahre geschätzt und verfügt über ca. 13 Meter Stammumfang. „Die Eiche war 1368 laut Urkunde Gerichtsbaum mit Strafvollzug am Baum, das heißt, sie muss zu der Zeit bereits starke Äste gehabt haben.“ 1882 wurde die Eiche auf einem Gemälde verewigt, 1892 dann sogar fotografiert, und schon damals galt sie als uralt und wurde genau vermessen und dokumentiert. Dabei überrascht sie seit Jahrzehnten die Experten: Vor 40 Jahren sah man ihr Ende voraus, doch sie steht noch immer. Bei fachgerechter Pflege und Sicherung traut Roloff dem Baum durchaus noch ein Jahrhundert und mehr zu.

    Das ist das vielleicht größte Anliegen des Seniorprofessors: „In Deutschland werden Bäume am liebsten zu 120% sicher gemacht“ – aber das ginge nun mal einfach nicht. „Auch einen Tag nach einer sorgfältigen Kontrolle kann ein Ast abbrechen.“ Deshalb wünscht sich Roloff ein tieferes Bewusstsein von Seiten der Behörden und eine angebrachte Unterstützung für Baumeigentümer. „Zu viele alte Bäume werden gefällt, nur damit nichts passieren kann.“ Volle Kontrolle habe man bei Bäumen sowieso nie. „Ist halt Natur“, sagt Roloff. Und die gedeiht bekanntlich am besten, wenn der Mensch sie – so gut es eben geht – in Ruhe lässt. 

    Cover National Geographic 9/23

    Foto von National Geographic

    Die ältesten Bäume der Erde und wie sich der Klimawandel auf sie auswirkt – mehr dazu lesen Sie im NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 9/23. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis!

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