Invasion der Signalkrebse im Ahrtal
Sie vermehren sich rasant und vertreiben heimische Arten: Nordamerikanische Signalkrebse bedrohen das Fluss-Ökosystem der Ahr. Fischer vor Ort haben den Tieren den Kampf angesagt – und machen sie zur Delikatesse.
Obwohl die Tiere so putzig aussehen – das Vorkommen der Signalkrebse in der Ahr ist eine Gefahr für die dort heimischen Fische und Krebse. Die aus Nordamerika eingeschleppten Tiere bringen nämlich nicht nur eine Pilzkrankheit, die Krebspest, mit sich, sondern schaden den Ökosystemen auch dadurch, dass sie sich extrem schnell vermehren.
Es ist ein kalter Samstagmorgen Mitte November. An einem Uferabschnitt an der Ahr nahe Fuchshofen plätschert das Wasser ruhig durch die spätherbstliche Uferlandschaft. Kaum vorstellbar, dass dieser Fluss 2021 für eine der größten Flutkatastrophen der deutschen Geschichte verantwortlich war.
Die Fischereiaufseher Manfred Klapperich und Alfred Dresen sind heute mit ihren Eimern, Gummihandschuhen und -stiefeln aber nicht gekommen, um über die Flut zu sprechen. Sie wollen zeigen, was viele Lebewesen in der Ahr aktuell plagt: invasive Signalkrebse (Pacifastacus leniusculus), die sich wie wild vermehren und heimische Krebs- und Fischarten vertreiben.
Zu zweit ziehen Klapperich und Dresen eine von insgesamt vier Reusen, so werden Krebsfallen genannt, aus dem Wasser. Sie sieht aus wie zwei aneinander gestellte Eimer aus Gitter – und birgt heute eine Überraschung: Obwohl die bis zu 18 Zentimeter großen Krebse normalerweise von Juni bis Oktober Saison haben, ist die Falle recht voll. Auch in den restlichen Reusen ist viel los: Insgesamt 30 Exemplare sind den Fischern heute in die Falle getappt. Klapperich hatte mit einer weitaus kleineren Ausbeute gerechnet. „Das zeigt, wie sehr sich die Krebse hier schon eingelebt haben“, sagt er.
Alfred Dresen holt eine der Reusen aus der Ahr. Die Fallen, die die beiden Fischereiaufseher heute aus der Ahr einholen, liegen dort seit drei Tagen aus.
Nachdem die Fallen geöffnet sind, sammeln Dresen und Klapperich die Krebse zunächst in Eimern. In diesem Jahr haben sie schon über 10.000 Krebse aus der Ahr geholt.
Invasion der Ahr durch nordamerikanische Krebse
Klapperich und Dresen sind verantwortlich für einen 3,6 Kilometer langen Abschnitt der Ahr bei Fuchshofen im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz. Unter der Leitung von Franz Nolden, dem 2. Vorsitzenden des Vereins Arge-Ahr e.V., legen die Männer hier seit sechs Jahren Krebsfallen aus. Allein in diesem Jahr haben sie insgesamt 10.300 Krebse aus dem Fluss geholt. „Mittlerweile ist das Routine“, sagt Dresen, der bis 2024 Bürgermeister von Fuchshofen war.
Das Ufergrundstück, auf dem sie heute auf Krebsjagd sind, wird von Nolden gepachtet, der jedoch verhindert ist. Einige Tage später beantwortet er Fragen am Telefon, denn er ist es, der den Kampf gegen die Krebse an der Ahr bereits 2018 ins Leben gerufen hat. „Das erste Mal sind mir die Signalkrebse hier 2018 aufgefallen“, sagt er. Damals legte er erste Reusen im Flussabschnitt vor seinem Haus aus. „Vermutlich sind die Tiere aber schon länger in der Ahr und kamen erst später in meinem Flussabschnitt an.“ Vermehrt haben sie sich in nur kurzer Zeit rasant: Bereits im Jahr 2020 haben Nolden und seine Kollegen über 10.000 Exemplare aus dem Wasser geholt.
Dann kam die verheerende Flut im Ahrtal im Juli 2021. „Nachdem das Wasser wieder zurückgegangen war, lagen hunderttausende tote Krebse auf vielen Ahrwiesen herum“, sagt Nolden. Ähnlich wie die Steine, die sich vor der Flut am Flussbett der Ahr befanden, wurden die Krebse durch die extremen Strömungen aus dem Fluss herausgeschleudert und in den Uferregionen verteilt. Kurzzeitig sorgte das für einen Rückgang der Population. Doch die Signalkrebse erholten sich schnell.
Galerie: So werden die invasiven Signalkrebse aus der Ahr entfernt
Einfuhr der Signalkrebse nach Europa über Schweden
Dass die Signalkrebse so widerstandsfähig sind, ist der Grund, warum Menschen sie vor rund 60 Jahren von Nordamerika nach Europa gebracht haben. In den 1960er-Jahren setzten unter anderem schwedische Fischer sie in ihre Flüsse – aus wirtschaftlichen Gründen.
Das erklärt Biologe Harald Groß vom Edelkrebsprojekt NRW. Er bemüht sich seit Jahrzehnten um die Wiederansiedlung von Edelkrebsen in Deutschland. Sie sind eine Schlüsselart, die einen extrem großen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt im Gewässer leistet, und deshalb extrem wichtig für die Gewässer ist. „Bereits damals stand es um heimische Krebse aufgrund von einer aus Amerika stammenden Flusskrebskrankheit schlecht“, erklärt er. Doch der Edelkrebs, auch Europäischer Flusskrebs, war für viele Fischer eine wichtige Einnahmequelle. Also suchte man eine Alternative. „Die beiden Arten sind sich in Aussehen und Geschmack relativ ähnlich“, sagt Groß. „Damals gab es die Ansicht: Lieber den Signalkrebs als gar keinen Krebs.“
Ein Fehler – denn die Tiere verbreiteten sich rasant und kamen schließlich auch nach Deutschland. Das bestätigt auch eine Studie des Senckenberg Instituts. Es sei die „Geschichte einer gewaltigen Fehlentscheidung“, heißt es darin. „Als man die Tiere massenhaft ausgesetzt hat, hat man dem Edelkrebs gleichsam den Todesstoß verpasst.“
Heute sind die Signalkrebse in 28 europäischen Ländern nachgewiesen. Seit 2016 stehen sie auf der „Unionsliste“ invasiver Arten der EU – zusammen mit über 80 anderen Tier- und Pflanzenarten. Sie alle eint, dass sie mit ihrer Ausbreitung Lebensräume, Arten oder Ökosysteme beeinträchtigen und der biologischen Vielfalt schaden können. Das heißt unter anderem, dass es verboten ist, diese Tiere zu halten, zu züchten, zu vermehren oder zu verkaufen.
Erkennen kann man den Signalkrebs an seinem weiß-türkis gefärbten Signalfleck im Scherengelenk – daher auch der Name der Krebsart – und seinem glatten Panzer, der im Gegensatz zum Edelkrebs keine Dornen aufweist.
Das größte Problem: Signalkrebse wachsen schneller heran als der heimische Edelkrebs, vermehren sich schneller und sind insgesamt aggressiver. „Das führt zu einem negativen Einfluss auf das gesamte Ökosystem, in dem sie leben“, so Groß. Denn die invasive Art frisst die Nahrungsgrundlage vieler bereits im Ökosystem lebenden Tiere in großen Mengen weg. Auf ihrem Speiseplan stehen vor allem Insektenlarven, Würmer, Schnecken und Kleinkrebse. „Durch die so verringerte Nahrungsmenge verkleinern sich die Populationen der im Flusssystem vorkommenden Fische“, sagt Groß. Vor allem der Bachforelle und der Äsche setzen sie dadurch zu. Außerdem werden Fische durch die Signalkrebse aus dem Nahbereich ihrer Höhlen verjagt und wandern bei einer hohen Signalkrebsdichte aus dem Gewässer ab.
Die Krebspest aus Nordamerika
Für die heimischen Krebse bringen die Signalkrebse noch eine weitere Komplikation mit: die sogenannte Krebspest. Diese wurde zwar bereits 1860 auch in Europa nachgewiesen, konnte sich aber erst durch die Einfuhr der Signalkrebse stabilisieren. Bei der Krankheit mit dem wissenschaftlichen Namen Aphanomyces astaci handelt es sich um eine Pilzinfektion, die sich in den Körpern der heimischen Krebse ausbreitet und in wenigen Tagen den Tod bringt.
„Den invasiven Krebspopulationen wie den Signalkrebsen kann die Krankheit nichts anhaben“, sagt Nolden. Sie seien dagegen immun. Angaben von Fischereibehörden zufolge sind sie jedoch zu 80 Prozent durchseucht und infizieren so die heimischen Krebsarten, die der Krebspest schutzlos ausgeliefert sind.
Was aussieht wie ein Umweltidyll, ist tatsächlich keines: Das Ökosystem der Ahr ist ins Wanken geraten.
Rettung der Ökosysteme – aber wie?
Nolden hofft, das fragile Ökosystem der Ahr mit seiner Reusenfischerei zumindest ein bisschen zu entlasten. „Ich würde mir wünsche, dass meine die anderen Fischereipächter der Ahr ebenfalls beim Krebsfischen aktiv werden, um die Flut an Krebsen zu stoppen, die in Fuchshofen ankommen“, sagt er. Mit seinen 25 bis 30 Reusen, die er in der Hochsaison von Juli bis Oktober täglich auslegt, habe er bereits Erfolge erzielt. Sechs Kilometer entfernt von Fuchshofen im Bereich Müsch/Antweiler sei das Vorkommen der Signalkrebse bereits geringer geworden. Seit 2022 wird Nolden bei seinen Bemühungen von der rheinland-pfälzischen Struktur- und Genehmigungsdirektion (Sgd Nord) gefördert.
Dass man die Verbreitung der Signalkrebse so wirklich stoppen kann, wird jedoch auch angezweifelt. Unter anderem von Krebsexperte Groß: Eine Entnahme der Krebse könne langfristig nur in sehr großem Stil wirksam sein, sagt der Biologe. „Durch das Fangen von Krebsen kann der Mensch etwas Druck für das Ökosystem herausnehmen.“ Doch wenn die Tiere einmal ein Ökosystem erobert haben, könne man sie nicht mehr wegbekommen. „Für etablierte Bestände und Bestände in offenen Systemen benötigt es umfassendere Maßnahmen, die noch erforscht werden müssen“, sagt auch Samantha Quaas, die ebenfalls im Edelkrebsprojekts NRW die Folgen der invasiven Krebsarten erforscht. Sinnvoll sei deshalb vor allem, abgeschlossene Gewässer zu schützen und dort heimische Krebse wieder anzusiedeln.
Die Reusenfischerei hingegen könne in einigen Fällen sogar dazu führen, dass die Population durch den Fangdruck wächst. „Die Reusen können oft nur die größeren Tiere einer Population entnehmen – diese fressen aber häufig die kleinen Signalkrebse und halten die Population so zu einem gewissen Grad in Schach.“ Sind die großen Krebse entnommen, überleben mehr Jungkrebse, dadurch gibt es mehr Krebse pro Fläche, die aber kleiner sind.
Nicht nur in der Ahr sind die Krebse ein Problem. Fast alle deutschen Fließgewässer hat die Art bereits erobert – vor allem in NRW und Rheinland-Pfalz gibt es sie schon zu Hunderttausenden.
Vom Invasor zur Delikatesse
Für die Tausenden Tiere, die Fischern wie Nolden und Klapperich in die Reusen gehen, haben diese derweil jedenfalls Abnehmer gefunden. „Die meisten der gefangenen Signalkrebse verkaufen wir an örtliche Fischhändler und Restaurants weiter“, sagt Klapperich. In manchen Orten an der Ahr ist aus der invasiven Art so bereits eine neue lokale Spezialität entstanden.
Der Erlös aus diesen Verkäufen werde stets dem Erhalt der Ahr gewidmet – in Form von Fischbesatz, also kleinen heimischen Fischen oder deren Eier, die er in die Ahr setzt, um ihre Populationen zu unterstützen. Tatsächlich findet man die neue Delikatesse aus dem Ahrtal mittlerweile in Fischgeschäften bis nach Bonn. Von Mai bis Oktober bekommt man sie dort für 29,90 Euro pro Kilo.
Dass die Krebse nicht nur in NRW gekocht werden, kann man derweil unter anderem auf Youtube sehen. Videos wie Invasive Krebse fangen, töten & köstlich zubereiten haben dort knapp 200.000 Aufrufe.
Ihrem Namen machen die Krebse alle Ehre, wenn sie zubereitet werden. Dann verfärbt sich ihr Äußeres knallrot, genau wie beim Hummer.
Manchmal bereiten die Fischfänger die gefangenen Tiere aber auch selbst zu. „Signalkrebse schmecken wie Hummer“, sagt Klapperich mit dem Eimer in der Hand auf den Ahrwiesen. Er kocht die Tiere zunächst in Weißwein und brät das Fleisch aus den Schwänzen und den Zangen dann in der Pfanne an, dazu noch etwas Gewürz und Baguette.
Die Tiere, die er heute gefangen hat, will Klapperer in ein örtliches Fischgeschäft bringen, in der Hoffnung, dass man sie dort weiterverarbeiten will. Sie sind relativ klein, Suppe kann man aus ihnen jedoch kochen. „Die Tiere wieder ins Wasser zu setzen, wäre aber natürlich kontraproduktiv – und ist außerdem verboten“, sagt der Fischereiaufseher. Schließlich können auch sie sich bald vermehren – und die Invasion der Signalkrebse in der Ahr weiter unterstützen.