Fleischfressende Pflanze stiehlt Insekten von ihren Nachbarn

Das Verhalten einiger japanischer Sonnentauarten ist im Pflanzenreich bisher einzigartig.

Von Sandrine Ceurstemont
Veröffentlicht am 6. März 2018, 15:59 MEZ

Wenn man einen Sonnentau mit einem üppigen Vorrat an gefangenen Insekten sieht, kommt einem das vermutlich nicht verdächtig vor. Die fleischfressenden Pflanzen sind schließlich bekannt dafür, sich unter anderem von Insekten zu ernähren, um den nährstoffarmen Boden zu kompensieren, auf dem sie wachsen.

Aber hinter den Kulissen könnten sich hinterhältige Szenen abspielen. Manche Sonnentauarten, die in japanischen Mooren wachsen, stehlen Insekten, die von ihren benachbarten Pflanzen angelockt werden – das zumindest wollen Kazuki Tagawa von der Universität Kyūshū und seine Kollegen herausgefunden haben.

Es scheint sich um einen Fall von Kleptoparasitismus zu handeln, der bisher nur aus dem Tierreich bekannt war. Dabei nutzen Tiere eine Leistung eines anderen Tieres aus, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Beispielsweise stehlen Bindenfregattvögel Rotfußtölpeln oft ihre Mahlzeiten.

„Soweit wir wissen, wurde dieses Phänomen bisher noch nicht beobachtet“, sagt Tagawa, dessen Team seine Ergebnisse in „Ecological Research“ veröffentlichte.

POLLENPROBLEME

Die Forscher untersuchten, wie die Sonnentauarten Drosera makinoi und Drosera toyoakensis ihre Beute anlocken. Sie betrachteten die Rolle der eigenen Blüten der Pflanzen sowie die der Pflanzen in der direkten Umgebung. Dann verglichen sie die Zahl der gefangenen Insekten, wenn sie benachbarten Sonnentau oder andere benachbarte Pflanzen entfernten.

Überraschenderweise hing die Menge der gefangenen Insekten davon ab, ob die umliegenden, nicht-fleischfressenden Pflanzen Blüten hatten oder nicht. Das ist deshalb merkwürdig, weil nicht-fleischfressende Pflanzen keinen Vorteil aus der Gesellschaft des Sonnentaus ziehen. Im Gegenteil: Sie investieren Ressourcen in die Entwicklung ihrer Blüten und müssen dann „zusehen“, wie potenzielle Bestäuber als Beute im Sonnentau enden.

Fleischfressende Pflanzen sind zur Vermehrung ebenfalls auf Insekten angewiesen, weshalb es nicht immer von Vorteil ist, sie zu fressen. Viele Arten haben daher Taktiken entwickelt, um Beute zu verschonen. Bei manchen Arten funktioniert der Fangmechanismus beispielsweise erst nach der Blüte. Die Sonnentauarten in dieser Studie können allerdings Samen aus ihren eigenen Pollen bilden.

„Für sie ist es besser, Bestäuber zu fangen und so mehr Nährstoffe zu erhalten“, sagt Tagawa.

Er und seine Kollegen planen bereits eine Folgestudie, die untersuchen soll, ob das Fangen der Bestäuber nachteilige Effekte auf die benachbarten Pflanzen hat.

Joni Cook von der Loughborough Universität im Vereinigten Königreich untersucht ebenfalls die Fressgewohnheiten von Sonnentau und interessiert sich dafür, ob diese Pflanzen durch ihre blühenden Nachbarn an nahrhaftere Beute kommen. Falls dem so ist, könnte das Überleben des Sonnentaus durch Extremwetterereignisse und steigende Temperaturen gefährdet sein, die zu einer Dezimierung der Insekten beitragen könnten.

„Die Pflanzen müssten sich an diese Veränderungen anpassen, ansonsten könnten einige Arten regional aussterben“, so Cook.

FLOWER POWER

Sonnentau scheint aber recht trickreich zu sein, wenn es ums Überleben geht. Tagawa und sein Team entdeckten vor Kurzem, dass die Blüten einiger Arten sich bei Berührung schließen.

„Wir hatten noch nie von einer Pflanze gehört, die ihre Blüten als Reaktion auf eine Berührung so schnell schließt“, sagt Tagawa, dem dieses Verhalten erstmals auffiel, als er die Pflanzen für ein paar Fotos in den Händen hielt.

Eine Bildreihe zeigt, wie sich die Blüte von Drosera tokaiensis nach einer Berührung schließt.
Foto von Kazuki Tagawa

Andere berührungsempfindliche Pflanzen rollen oder klappen ihre Blätter ein. Manche schließen ihre Blüten auch als Reaktion auf Umwelteinflüsse wie Temperaturveränderungen oder den Anstieg der Luftfeuchtigkeit. Solche Veränderungen können Vorboten von Regen oder Schnee sein, die den empfindlichen Organen in den Blüten schaden könnten.

Der Sonnentau nutzt diese Taktik wahrscheinlich, um sich vor Feinden zu schützen, insbesondere vor der Motte Buckleria parvulus. Wie bereits in „Plant Species Biology“ berichtet wurde, schließen sich die Blüten Drosera tokaiensis und Drosera spatulate innerhalb von zwei bis zehn Minuten, nachdem Teile ihres Stamms, ihrer Kelchblätter oder ihrer geschlossenen Blüten mit einer Pinzette zusammengedrückt wurden.

Die Motten machen sich für gewöhnlich erst über andere Teile des Sonnentaus her, bevor sie sich den Blüten widmen. Daher vermutet Tagawa, dass sich die Blüten gerade schnell genug schließen, um Schaden an den Fortpflanzungsorganen im Inneren zu verhindern. Die Forscher wollen die Rolle der sich schließenden Blüten bei künftigen Tests genauer untersuchen.

„Das Schließen der Blüten hat seinen Preis, da die Bestäuber die Blüten nicht mehr besuchen können, wenn sie sich erst mal geschlossen haben“, sagt Tagawa. Bei dem diebischen Sonnentau, der sich selbst vermehren kann, mag das allerdings keine Rolle spielen.

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