In den Säulen der Schöpfung tobt ein Kampf ums Überleben

Ein Vergleich der beiden Hubble-Aufnahmen von 1995 und 2014 offenbart den Kampf eines Sterns, der zu entstehen versucht.

Von Robert Krulwich
Veröffentlicht am 16. Aug. 2018, 15:53 MESZ, Aktualisiert am 4. Feb. 2022, 15:01 MEZ
Die Säulen der Schöpfung, 2014, Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops
Foto von NASA, Esa, & Hubble Heritage Team STSCI, Aura

Dieses Bild hat vermutlich fast jeder schon mal gesehen. Es ist eine der berühmtesten Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops: die drei spektakulären Säulen aus galaktischem Staub und Gas, die in 6.500 Lichtjahren Entfernung im Weltall schweben.

 

Die ursprüngliche Aufnahme stammt aus dem Jahr 1995. Die NASA veröffentlichte 2015 dann eine neue hochaufgelöste Version, die im Vorjahr entstanden war. Da bot sich ein Vergleich an: Hatte sich diese Formation im Adlernebel irgendwie verändert?

Die neue Version ist ein wenig blauer (eine Entscheidung des Bildbearbeiters), ansonsten scheint jedoch alles beim Alten.

BELIEBT

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    Die Säulen der Schöpfung, 1995, Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops
    Foto von NASA, Jeff Hester, Paul Scowen Arizona State University

    Was soll man auch erwarten? Immerhin waren zwischen der ersten und der zweiten Aufnahme nur 19 Erdenjahre vergangen und wir sprechen von gigantischen Entfernungen. Ein Lichtstrahl würde fünf Jahre benötigen, um vom oberen zum unteren Ende der hufeisenförmigen Wolke links zu gelangen. Bei solchen Maßstäben sind 19 Erdenjahre kaum der Rede wert. Die Gaswolken sind so riesig und die vergangene Zeit so kurz, dass es wohl nichts Neues zu sehen gibt.

    Und dennoch gibt es etwas:

    Fast ganz am Ende der Pressemitteilung erwähnte die NASA eine beträchtliche Veränderung.

    Fotografiert von der NASA, ESA, & Hubble Heritage Team
    Foto von NASA, Esa, & Hubble Heritage Team

    Die rechte Schwarzweißaufnahme ist eine Vergrößerung des weißen Rechtecks im linken Bild.

    Darin sieht man eine helle Linie, die sich von unten her gen Mitte bewegt. Der mit „1995“ markierte Pfeil zeigt, wo sich der obere Endpunkt der Linie in jenem Jahr befand.

    Die neuere Aufnahme zeigt, dass der Lichtstrahl weiter nach oben gewandert ist – bis zu jenem Punkt, der mit „2014“ markiert ist.

    96 Milliarden Kilometer später

    Auf der Aufnahme selbst wirkt es wie eine winzige Veränderung. Die Berechnungen der NASA-Wissenschaftler ergaben jedoch, dass sich die kleine helle Linie mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit von etwa 725.000 km/h fortbewegt hat. In der Zeit zwischen den beiden Aufnahmen hat sie sich also „weiter im Weltraum ausgedehnt, über zusätzliche 96 Milliarden Kilometer hinweg“.

    Und das in nur 19 Jahren. Was ist dort draußen so schnell unterwegs?

    Die NASA vermutet, dass es sich bei der Linie um einen gigantischen Plasmastrom handelt, der von einer Vorstufe eines sehr jungen Sonnensystems ins All geschleudert wird.

    Zeichnung von Robert Krulwich
    Foto von Robert Krulwich

    Wenn sich ein entstehender Stern verdichtet und immer heißer wird, stößt er dabei oft eine Art Abgaswolke aus. „So was sieht man dauernd“, erzählt der Astrophysiker Ray Villard. 

    Auch der Astronom Mike Brown vom CalTech sagt, dass dieser Streifen am Himmel ausströmende Materie sei.

    Warum aber sollte ein entstehender Stern, der versucht, heißer und heißer zu werden, Materie ausstoßen? Immerhin will er sich so weit wie möglich verdichten. 

    Zeichnung von Robert Krulwich
    Foto von Robert Krulwich

    „Es gibt einen steten Kampf zwischen der Gravitation und der Temperatur, die im Grunde die Geschwindigkeit von sich bewegenden Atomen und Molekülen beschreibt“, erklärt Mike Brown. Während der Stern immer mehr Staub anzieht, stoßen in seinem Zentrum immer mehr Atome mit immer größerer Geschwindigkeit zusammen. Während sie immer schneller (also heißer) werden, erreichen ein paar von ihnen enorme Geschwindigkeiten und werden schließlich so schnell, dass sie in den Weltraum hinausschießen.

    Die Anziehungskraft des entstehenden Sterns reicht dann nicht mehr, um sie festzuhalten.

    Wie kommt es aber, dass sie nicht in alle möglichen Richtungen (wie im folgenden Bild), sondern in einem geordneten Strahl entweichen?

    Zeichnung von Robert Krulwich
    Foto von Robert Krulwich

    Der Magnetismus is Schuld

    Protosterne verfügen über ein Magnetfeld. Wenn Atome zu entkommen versuchen, werden sie von den magnetischen Kräften gelenkt.

    Magnetfeld eines Sterns.
    Foto von NASA Space Place

    Sie wandern das Feld entlang und werden letztendlich wieder zum Stern zurückgelenkt. Diese Atome sind also gefangen und können nicht entkommen. Allerdings gibt es am Nord- und Südpol des Protosterns Magnetfeldlinien, die nicht wieder zum Stern zurückführen.

    Sie haben entweder gar keine oder eine so geringe Krümmung, „dass sie keinen zweiten Berührungspunkt mit dem Stern haben. [...] Sie verheddern sich im galaktischen Magnetfeld. Solche Linien bezeichnen wir als ‚offene Feldlinien‘.“ Diese offenen Feldlinien werden dann zu einer Art gigantischem Auspuffrohr.

    Einige Atome finden den Weg entlang dieser Feldlinien und rasen Milliarden von Kilometern durchs Universum.

    Zeichnung von Robert Krulwich
    Foto von Robert Krulwich

    Die helle Linie in der aktuellen Aufnahme des Hubble ist also so eine Art Geburtsgeschichte. Ein kleiner Babystern wird geboren. Es sei denn, sein Kinderzimmer wird vorher auseinandergerissen.

    Wird das Baby es schaffen?

    Als der Astrophysiker Paul Scowen sich 1995 die ersten Hubble-Aufnahmen ansah, war er davon „beeindruckt, wie vergänglich diese Strukturen sind“. Die gigantischen Wolken, so mächtig sie auch scheinen, „werden vor unseren Augen abgetragen. Der helle, bläuliche Dunst an den Rändern der Säulen ist Material, das erhitzt wird und verdampft.“

    Sieht man sich das obere Ende der linken Säule an, kann man erkennen, wie das erhitzte Gas in Strahlen entweichet. Scowen vermutet, dass die drei Säulen früher eine einzige gigantische Masse bildeten, die von Sonnenwinden auseinandergerissen wurde.

    Die Säulen der Schöpfung, 2014
    Foto von NASA, Esa, & Hubble Heritage Team STSCI, Aura

    Er nimmt an, dass das kleine Protosternensystem seit etwa 600.000 Jahren an seiner Entstehung arbeitet. Es ernährt sich gewissermaßen von dem kosmischen Staub in seinem Umkreis. Scowens Schätzungen zufolge werden wohl noch weitere 300.000 Jahre nötig sein, damit aus dem Protostern ein richtiger Stern wird. Die Frage ist nur, ob die Staubwolken lange genug überleben werden, um ihn weiter mit Materie zu versorgen.

    „Wir haben diese Säulen in einem sehr einzigartigen und kurzweiligen Moment ihrer Entwicklung eingefangen“, sagt er.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    Universum

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