Prähistorische Parasiten: Der seltene Fall von Fossilien in Fossilien
Spektakulärer Fund bietet einen noch nie dagewesenen Einblick in Leben und Tod von Insekten der Vergangenheit.
Vor etwa 35 Millionen Jahren fraßen sich auf dem Gebiet des heutigen Frankreichs hunderte von Maden durch verwesende Leichname. Als sie endlich satt waren, verpuppten sie sich in handliche Bündel und warteten darauf, ihr neues Leben als Fliegen zu beginnen.
Und dann kamen die Wespen.
Kürzlich entdeckten Forscher einen seltenen Fall von Fossilien in Fossilien: Es handelte sich um die erstaunlich gut erhaltenen Überreste von 55 uralten Fliegenpuppen, in denen sich parasitäre Wespen befanden. Mit Hilfe modernster Technologie konnten die Wissenschaftler einen Blick in die reiskorngroßen Fossilien werfen, ohne sie zu beschädigen. Das Team erzeugte atemberaubend detailreiche Bilder der Wespen, bis hin zu ihren zarten Flügelchen und den Haaren auf ihrem Rücken.
Der Fund förderte vier bis dato unbekannte Wespenarten zutage. Einige ähnelten heutigen parasitären Wespen stark, während sich andere wiederum so sehr von ihnen unterschieden, dass sie jeweils einer eigenen Gattung anzugehören scheinen, wie das Team in „Nature“ berichtete.
Der Studienleiter Thomas van de Kamp, ein Entomologe des Karlsruher Instituts für Technologie, taufte eine der beiden Gattungen Xenomorphia - in Anlehnung an die parasitären, vage käferartigen Außerirdischen aus den „Alien“-Filmen. Eine der Wespen trägt sogar den Namen Xenomorphia resurrecta - auch wenn van de Kamp behauptet, dass dieser spezielle Name sich auf die digitale Wiederauferstehung des Tierchens bezieht.
Blick in fremde Augen
Zuvor hatte van de Kamp die Anatomie alter Käfer erforscht. Der Paläontologe und Co-Autor der Studie Achim Schwermann hatte jedoch vorgeschlagen, dass er alte Fliegenpuppen scannen sollte, um eventuelle Eindringlinge zu entdecken.
Im Jahr 1944 hatte der Schweizer Entomologe Eduard Handschin einen Umriss in einer Fliegenpuppe vom selben Fundort in Frankreich entdeckt, der ihn an einen Parasiten erinnerte. Bis dahin war es der einzige bekannte Fall einer parasitären Wespe im Fossilbericht. Daher beschlossen van de Kamp und sein Team, einen Hightech-Blick auf mehrere der urzeitlichen Puppen zu werfen.
„Wir hatten wirklich nicht damit gerechnet, im Inneren diese Parasiten zu finden“, sagte er. Beim Scan fand er die ersten neun Proben tatsächlich ohne Inhalt vor. „Ich fing gerade an mich zu langweilen“, sagte er. Aber als er mit dem Scanner die zehnte Probe abtastete, starrte er in die winzigen Augen eines Parasiten.
Die parasitischen Schlupfwespen lagen zusammengerollt in ihren gestohlenen Puppen, die Fühler eng angelegt und die Haare aufgestellt. „Es gab keinen Zweifel.“ sagte er. „Durch das Display schien es mir direkt in die Augen zu schauen.“
Das von ihrem Fund begeisterte Team suchte nach allen versteinerten Puppen aus der Region, die sie finden konnten. Die 1.510 winzigen Fossilien aus den Sammlungen der Naturhistorischen Museen von Schweden und Basel wurden für eine gründliche Analyse zusammengetragen.
Parasiten aus der Vergangenheit
Das Team ist der Ansicht, dass sich die Fossilien gebildet haben, als vor Urzeiten Wespen die Puppen durchstachen und ihre Eier darin ablegten. Nachdem diese schlüpften, begannen sie die noch nicht voll ausgebildeten Fliegen zu fressen. Voll ausgewachsen, aber immer noch in der Puppe, breiteten die erwachsenen Wespen ihre Flügel aus, in der Erwartung sich zu befreien, zu paaren und den Kreislauf von neuem zu beginnen.
Schließlich löschte ein schwerer Regenguss oder ein anderer Kontakt mit Wasser ihr Leben aus. Das Phosphor aus den Knochen des Leichnams hat sich wahrscheinlich gelöst, und so diese grausame Vignette konserviert.
Bei vielen dieser Wespen waren die Flügel gepreizt, so van de Kamp. Das ist auch bei heutigen Schlupfwespen nicht ungewöhnlich, wenn sie darauf warten, sich im Gleichtakt aus ihren gestohlenen Puppen zu befreien. Allerdings räumt er ein, dass bisher nicht geklärt ist, ob alle 1.510 Puppen auf einmal oder in einigen aufeinander folgenden Wellen versteinert wurden.
Dies ist nicht der erste fossile Parasit, der gefunden wurde. Wissenschaftler hatten zuvor versteinerte Nematoden (Fadenwürmer), Zungenwürmer, parasitische Fliegen und viele weitere entdeckt. Jedoch ist es äußerst selten, einen alten Parasiten in seinem Wirt zu finden, wie George Poinar anmerkt, ein Paläobiologe der Oregon State University, der nicht an der Studie beteiligt war.
Die deutlichsten Hinweise auf prähistorischen Parasitismus finden sich in Proben, welche in Bernstein eingeschlossen wurden. Wie kleine Zeitkapseln können diese Klumpen versteinerten Baumharzes Ereignisse der Vergangenheit erstaunlich detailliert konservieren. Ein Beispiel ist Poniars jüngste Studie im Historical Biology, in der eine parasitische Fliege aus dem Rücken einer im Bernstein konservierten Assel frei bricht.
In Bernsteinfossilien befinden sich normalerweise nur Lebewesen aus Waldgebieten, die über Bäume klettern und von Zeit zu Zeit vom ausströmenden Harz eingeschlossen wurden. Aus diesem Grund tendiert der Fossilienbestand von Parasiten in Richtung der Baumbewohner, was die jüngsten Entdeckungen umso wertvoller macht, so van de Kamp.
Tolle technische Tricks
Poinar weist außerdem darauf hin, dass die verwendeten Technologien und Techniken der Studie es den Wissenschaftlern ermöglichen könnten, einige frühere Funde neu zu bewerten, um weitere Beweise für das Parasitentum zu finden.
„Ich kann Puppen im Bernstein finden,“ sagt Poinar. „Aber ich kann nicht in die Puppen schauen, um zu sehen, was sich dort entwickelt.“ Oder zumindest war das bis jetzt nicht möglich.
Die Forscher verwendeten für die Fliegenpuppen die sogenannte Röntgen-Mikrotomographie, um ultra-dünne Querschnitte jedes Fossils erstellen zu können, ohne die wertvollen Fundstücke zu zerstören. Diese Querschnitte wurden dann zu einem beeindruckenden und äußerst detaillierten dreidimensionalen Modell zusammengesetzt. Die Anwendung dieser Methode auf vorhandene Fossilien – auch die in Bernstein eingeschlossenen – eröffnet neue Möglichkeiten für die Forschung.
Sara Weinstein, eine Parasitenökologin an der University of California in Santa Barbara, lobt ebenfalls die Studie und ihre Methoden. Oder, mit ihren Worten: „Dies ist eine aufregende Zeit, um ein Wissenschaftler zu sein.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht
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