Können Phobien im Schlaf geheilt werden?

Das Gehirn kann darauf trainiert werden, Ängste im Schlaf zu überwinden.

Von Amanda Fiegl
Veröffentlicht am 12. Dez. 2018, 12:22 MEZ
sleep fear memory
Ein dreijähriger Junge schläft auf einer Couch in Germantown, Maryland, USA.
Foto von Brian Gordon Green, National Geographic

Es mag einem zwar so vorkommen, als würde man nachts nicht wirklich viel tun, aber während des Schlafs hat unser Gehirn Zeit, die Ereignisse des Tages zu verarbeiten. Während unserer wachen Stunden ist es fortwährend damit beschäftigt, neue Eindrücke und Erfahrungen abzuspeichern. Im Tiefschlaf kann es die neuen Erinnerungen hingegen sortieren und selektiv festigen – insbesondere jene Erinnerungen, die mit Emotionen einhergehen. Tatsächlich kann man das Gehirn sogar darauf trainieren, während des Schlafs Ängste zu überwinden.

Für die Neurowissenschaftlerin Katherina Hauner von der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago, die Angstforschung betreibt, ist der Schlaf eine der faszinierenden Grenzen des menschlichen Wissens. 2013 veröffentlichte Hauner in „Nature Neuroscience“ eine Forschungsarbeit über die Zusammenhänge zwischen Angst, Erinnerung und Schlaf.

Können Sie Ihre Studie für Laien verständlich erklären?

Bei den Testpersonen handelte es sich um gesunde Erwachsene. Während sie wach waren, sahen sie sich Bilder von Gesichtern mit neutralen Gesichtsausdrücken an und lernten, diese mit einem leichten elektrischen Schlag zu assoziieren, sodass die Bilder im Gehirn schließlich eine Angstreaktion auslösten. Das nennt man Angstkonditionierung.

Klingt ja spaßig.

Um das klarzustellen: Das waren keine schmerzhaften elektrischen Schläge. Sie haben den Probanden eher einen kleinen Schrecken versetzt, wie es auch manchmal Schläge tun, die man beim Öffnen einer Autotür bekommt.

Außerdem haben wir während dieser Angstkonditionierung einen zusätzlichen Stimulus benutzt: Geruch. Jedes Gesicht war einem neutralen Geruch wie Minze oder Zitrone zugeordnet, damit sowohl die Gesichter als auch die Gerüche mit der Angstreaktion assoziiert wurden.

Als die Probanden dann geschlafen haben, haben wir sie wieder einem der Gerüche ausgesetzt – immer ein Geruch pro Person, zufällig ausgewählt. Damit wollten wir den Prozess der Angstlöschung einleiten.

Was ist denn „Angstlöschung“?

Wenn ein Stimulus, der Angst auslöst, wieder und wieder präsentiert wird, bis die Angstreaktion nachlässt. Das ist das Prinzip hinter der Konfrontationstherapie. Natürlich ist das deutlich einfacher, wenn der gefürchtete Stimulus nicht wirklich eine Bedrohung darstellt. In meiner letzten Forschungsarbeit vor dieser habe ich mich damit beschäftigt, wie sich das Gehirn eines Patienten verändert, nachdem per Konfrontationstherapie erfolgreich seine Spinnenphobie behandelt wurde.

Wie funktioniert Konfrontationstherapie? Sehen sich Leute einfach haufenweise Spinnen an und überwinden ihre Angst dann?

Im Grunde nähert man sich der Sache, die einem Angst macht, ganz, ganz langsam an, und zwar mit der Hilfe eines Therapeuten, der jeden Schritt demonstriert, bevor man ihn selbst durchführt. Im Falle von Spinnen lernt man, sie langsam anzufassen und zu bewegen, und man lernt, dass sie vorhersehbar und kontrollierbar sind und es nicht auf einen abgesehen haben. Ich vermute aber, dass die meisten Leute leider gar nicht wissen, dass ihre lebenslangen Phobien so effektiv behandelt werden können. Und das geht richtig schnell. In diesem Experiment konnten Menschen, die sich ihr Leben lang vor Spinnen gefürchtet haben, binnen zwei Stunden eine Tarantel auf der Hand halten. Wir haben sofortige Veränderungen im Gehirn beobachtet. Und sechs Monate später hatten sie immer noch keine Angst.

Das ist faszinierend. Haben Sie in dem Schlafexperiment Anhaltspunkte für eine Angstlöschung gesehen?

Als die Probanden aufwachten, haben wir ihnen alle Bilder von den Gesichtern noch mal gezeigt und ihre Angstreaktion anhand des Schweißes auf ihrer Haut gemessen. Als sie das Zielbild sahen – das Gesicht, das mit dem Geruch assoziiert war, welchen sie während des Schlafes gerochen haben –, fiel ihre Angstreaktion geringer aus als vor dem Schlafen. Dabei handelte es sich aber nur um eine kleine Verringerung. Wenn wir die Leute gefragt hätten, ob sie weniger Angst haben, weiß ich nicht, ob sie den Unterschied überhaupt bemerkt hätten.

Außerdem haben wir über einen MRT-Scan nach Veränderungen im Gehirn gesucht. Nach der Schlafmanipulation bemerkten wir eine verringerte Reaktion im Hippocampus, wenn sich die Probanden das Zielbild ansahen. Das ist jener Bereich des Gehirns, in dem Erinnerungen verarbeitet werden. Außerdem gab es Veränderungen in den Aktivitätsmustern der Amygdala, die mit Angstreaktionen in Zusammenhang steht.

Bedeutet das, dass Sie einen Geruch mit einem Bild von etwas verbinden können, vor dem die Person Angst hat – beispielsweise eine Spinne –, und diesen Prozess dann nutzen können, um Phobien im Schlaf zu behandeln?

Vielleicht, ja. Das wurde aber noch nicht versucht. Das ist ein recht neues Forschungsgebiet und da muss noch eine Menge Arbeit getan werden, bevor wir anfangen können, über klinische Anwendungsbereiche zu sprechen. Wir haben hier keine neue Therapie erfunden. Das war nur eine einzige Studie, die an einem Tag stattfand. Und es waren Ängste und Erinnerungen, die wir im Labor erzeugt haben und die vorher nicht existiert haben. Aber jede neue Behandlungsmethode muss ja irgendwo anfangen. Mein Diplom habe ich eigentlich in klinischer Psychologie gemacht. Ich finde es faszinierend, wie schnell und effektiv man Phobien im Vergleich zu allem anderen behandeln kann. Wenn wir besser verstehen, was bei Phobien passiert und warum Konfrontationstherapien bei dieser Störung so gut anschlagen, könnten einige dieser Mechanismen vielleicht auch effektiver für die Behandlung anderer Störungen genutzt werden.

Für was zum Beispiel?

Vielleicht bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Die ist aus vielerlei Gründen ein Problem, das zunehmend an Relevanz gewinnt – militärische Einsätze, Waffengewalt, Naturkatastrophen. Ich glaube, da müssen ganz neue Behandlungsmethoden entwickelt werden.

Solche Experimente erinnern mich an den Film „Inception“. Sollten wir Angst davor haben, dass Wissenschaftler die Erinnerungen von Menschen im Schlaf manipulieren?

Ich finde, das Wort „manipulieren“ hat so negative Konnotationen, die in Richtung einer bewussten Täuschung gehen. Das ist ungefähr das Gegenteil von dem, was jeder Forscher erreichen will. Der Begriff der „Erinnerungsmanipulation“ kann auch als zielgerichtete Veränderung der Erinnerung verstanden werden, die gut oder sogar notwendig sein kann. Vielleicht ist also „verbessern“ eine bessere Bezeichnung.

Das kann man auch auf das körperliche Lernen anwenden, nicht nur auf das emotionale. Mein Modell wurde teilweise von anderer Forschung inspiriert, die an der Northwestern durchgeführt wurde. Dabei wurden ähnliche Prozeduren genutzt, um während des Schlafs Erinnerungen zu festigen. Damit hat man Leuten geholfen, sich daran zu erinnern, wie man eine bestimmte Notenfolge auf dem Klavier spielt.

Spielt es eine Rolle, in welcher Schlafphase die Leute dabei sind?

Ja, ein Großteil der Gedächtniskonsolidierung scheint im Slow-Wave-Schlaf aufzutreten, der auch als Tiefschlaf bekannt ist.

Heißt das im Umkehrschluss, dass Schlafmangel es erschwert, sich an Dinge zu erinnern?

Ja. Wenn Menschen während des Tiefschlafs aufgeweckt werden, erinnern sie sich nicht so gut an Dinge, die sie vor Kurzem gelernt haben. Ältere Menschen haben oft weniger oder kürzere Tiefschlafphasen. Es wird aktuell daran geforscht, ob die Verbesserung des Tiefschlafs auch die Gedächtnisleistung verbessern kann.

Möchten Sie noch etwas anderes hinzufügen?

Wenn ich den Lesern einen Rat geben darf – nicht auf Basis der Studie, sondern eher auf Grundlage der Schlafforschung im Allgemeinen –, wäre es folgender: Wir wissen, dass Schlaf wichtig ist, um neue Erinnerungen zu festigen, besonders emotionale. Wenn Sie also ein negatives Ereignis erleben oder eines, das Ihnen Angst macht, gehen Sie nicht direkt schlafen. Warten Sie, bis Sie das verarbeitet und sich ein bisschen beruhigt haben. So haben Sie dann eine nicht ganz so belastende Version dieser Erinnerung zur Verfügung, die im Schlaf gefestigt werden kann.

Also nicht einschlafen, während man einen Horrorfilm guckt?

Ja, da wäre die Wahrscheinlichkeit dann größer, dass man Albträume bekommt.

 

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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