Farbrätsel der „Smaragdeisberge“endlich gelöst

Die grünen Eisberge der Antarktis verzaubern die wenigen Menschen, die sie erblickten, schon seit Jahrhunderten. Lange war unklar, wie ihre Färbung zustande kommt.

Von Robin George Andrews
Veröffentlicht am 22. März 2019, 14:01 MEZ

In klaren Weiß- und Blautönen ragen die mächtigen Eisberge des Nord- und Südpols aus den dunklen Fluten des kalten Meeres – ein klassisches Motiv, das wohl die meisten Menschen vor Augen haben, wenn sie an Eisberge denken. Aber die Natur ist eine Künstlerin, die sich nicht scheut, mit allen verfügbaren Ressourcen zu experimentieren, und so gibt es auch strahlend grüne Eisberge, die man allerdings nur in der Antarktis findet.

Obwohl Berichte über diese smaragdgrünen Eisblöcke in der wissenschaftlichen Literatur schon seit über 100 Jahren existieren, konnte sich niemand so recht erklären, woher sie kamen. Ein Forscherteam könnte das Rätsel nun endlich gelöst haben.

Ihren Studien zufolge scheint der ungewöhnliche Farbton das Ergebnis von zwei unterschiedlichen Prozessen sein. Zunächst müssten sich Eisberge ohne Lufteinschlüsse am Rand von Schelfeis bilden, das in das Südlichen Ozean hineinragt. Dabei müsste gleichzeitig gemahlener, gelbroter Gletscherstaub aus dem antarktischen Grundgestein in den Entstehungsprozess des Gletschers einfließen.

„Das ist so ziemlich die antarktische Version davon, Gelb und Blau zu mischen, um Grün zu erhalten“, erklärt James Lea, ein Glaziologe der University of Liverpool, der an der Studie nicht beteiligt war.

Eine Frage des Lichts

In den USA bezeichnen viele Journalisten die grünen Kuriositäten als „Smaragdeisberge“, sagte Steve Warren. Der emeritierte Professor der University of Washington beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit der Antarktis. Womöglich beziehen sich die Leute dabei auf das 1798 veröffentliche Werk „Die Ballade vom alten Seeman“ (engl.: „The Rime of the Ancient Mariner“) von Samuel Taylor Coleridge, in welcher der Dichter die ungewöhnlichen Eisberge beschreibt: „Und Eis, masthoch, kam vorbeigetrieben, grün wie Smaragd“. Wissenschaftler, die die grünen Eismassen regelmäßig in den antarktischen Gewässern entdecken, bezeichnen sie stattdessen als Jadeberge.

Aber wie man sie nun auch nennt, den Forschern war klar, dass die Farbe irgendetwas mit den physikalischen und chemischen Eigenheiten der Eismassen zu tun haben muss. Gletschereis hat oft einen eher blauen Farbton, da es die längeren, roten Wellenlängen des Lichts absorbiert, sodass die kürzeren, blauen Wellenlängen auf unsere Augen treffen.

Wenn im Eis aber viele Luftblasen eingeschlossen sind, muss das Licht konstant die Richtung wechseln, sodass es mit größerer Wahrscheinlichkeit schon nach kurzer Zeit wieder an der Oberfläche auftaucht. Dadurch wird weniger Licht absorbiert und der Eisberg erscheint weißer. Im Gegensatz dazu ist das Eis in einigen Teilen der Antarktis so verdichtet, dass es gar keine Luftbläschen enthält. Daher muss das Licht länger durch das Eis wandern, bis es unsere Augen erreicht, sodass es in einem besonders klaren, strahlenden Blau erscheint.

BELIEBT

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    Vielen Berichten zufolge wirken auch die grünen Eisberge auffallend durchscheinend. Die Forscher nahmen daher an, dass auch sie wenig bis gar keine Luftblasen enthielten, was ihnen einen Hinweis auf ihren Entstehungsort gab.

    Mitunter kann Meerwasser an der Unterseite von antarktischem Schelfeis gefrieren. Dadurch entsteht eine dicke Schicht sogenannten Meereises. Im Gegensatz zu dem Eis an der Oberfläche, das viele kleine Lufteinschlüsse aufweist, bildet sich das Meereis unter großem Druck und hat daher oft keine Luftblasen.

    Deshalb müssten die leuchtend grünen Eisberge wohl aus Meereis bestehen. In den 1980ern konnte diese Vermutung durch Bohrkernproben bestätigt werden, die Warren und seine Kollegen vom ostantarktischen Amery-Schelfeis nahmen. Der grüne Farbton blieb jedoch weiterhin rätselhaft.

    Geheimnis des Grüns

    Warrens Team vermutete, dass die Farbe auf gelösten organischen Kohlenstoff zurückzuführen ist – die mikroskopisch kleinen Überreste von Meereslebewesen. Dieses Material hat einen gelblichen Farbton. Würde man es mit Blau mischen, wäre das Ergebnis eine grünliche Farbe. Damals konnten die Forscher die Menge des gelösten organischen Kohlenstoffs in den Eisbohrkernen nicht messen. Stattdessen wiesen sie das Material über Fluoreszenz nach.

    Die Ergebnisse ihrer 1993 veröffentlichen Studie erhielten viel mediale Aufmerksamkeit, aber die Freude war nur von kurzer Dauer. Während Warrens zweiter Meereis-Forschungsreise fanden er und sein Team 1996 zahlreiche weitere Meereisberge. Diesmal konnten sie den gelösten organischen Kohlenstoff richtig analysieren, aber das Ergebnis brachte nicht die erwünschte Klarheit: Das grüne und das blaue Meereis enthielten nicht nur ungefähr dieselbe Menge an Kohlenstoff, die Menge war darüber hinaus auch zu klein, um sich auf die sichtbare Farbe auszuwirken. „Wir wussten nicht so recht, was wir mit dieser Erkenntnis anfangen sollten. Wir hatten nicht genügend Material, um die Analyse zu wiederholen“, sagt Warren. „Also blieben wir darauf sitzen und haben nichts davon veröffentlicht.“

    Erst 2016 wurde das fehlende Puzzleteil im Rahmen einer Studie der Ozeanografin Laura Herraiz-Borreguero von der University of Southhampton – damals allerdings noch von der University of Tasmania – gefunden. In mehreren Eisbohrkernen aus dem Amery-Schelfeis enthielt das Meereis bis zu 500 Mal so viele Eisenverbindungen als das darüber liegende Gletschereis.

    Eisenoxide kommen für gewöhnlich in Boden und Gestein vor, welches der Studie zufolge durch das Eis abgetragen wird, das sich über das ostantarktische Grundgestein schiebt. Das dadurch entstehende, feine Sediment – sogenanntes Gletschermehl – gelangt ins Meer. Dort friert es gelegentlich an der Unterseite von Schelfeis fest und wird im Meereis eingeschlossen, das schließlich abbricht und Eisberge bildet. Wie es der Zufall will, haben Eisenoxide zumeist eine rötlich gelbe Färbung.

    „Das Eis filtert das rote Licht heraus und die Eisenoxide filtern das blaue Licht. Was übrig bleibt, wenn das gebrochene Licht wieder aus dem Eis austritt, ist Grün“, erklärt Warren.

    In seiner aktuellen Studie, die im „Journal of Geophysical Research: Oceans“ erschien, errechnete sein Team, wie viel Eisen nötig wäre, um die Farbe des Eises von Blau nach Grün zu ändern. Das Ergebnis zeigte, dass die Menge im Amery-Meereis dafür ausreichte.

    Künstler des Südlichen Ozeans

    Auch wenn es sich bisher eher um indirekte Nachweise handelt und noch mehr Feldforschung nötig ist, um das Modell zu bestätigen, hält Lea den Mechanismus „für eine wirklich nette Idee, die die verfügbaren Beobachtungsdaten erklärt“.

    Dieses Förderband für grüne Eisberge habe auch ein paar bedeutsame Konsequenzen für die Umwelt im Süden, fügt Lea hinzu. Die Aufsetzlinien der Gletscher – jene Bereiche, an denen die Eisblöcke das Grundgestein verlassen und ins Meer gleiten – haben sich in letzter Zeit rund um die Antarktis zurückgezogen. Dadurch kann das Eisschelf vor den Aufsatzlinien instabil werden und zerbrechen. So könnte eine ganze Armada an Jadebergen ins Meer gelangen.

    Das hätte zur Folge, dass ein Teil der dahinterliegenden Eisdecke über dem Grundgestein der Antarktis ebenfalls ins Meer rutschen und zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen könnte. Einen Vorteil hätte das Ganze laut der Studie aber: Die smaragdgrüne Eisbergflotte „könnte ein Festmahl für die Algen sein, die diesen lebenswichtigen Nährstoff zum Überleben brauchen“, sagt er.

    Mit anderen Worten: Die Algen rund um das Amery-Schelfeis hätten dann den besten Take-away-Service im ganzen Südlichen Ozean.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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