Forscher erzeugen mit Lasern heißes Eis
Das exotische Material, das nur unter extremen Bedingungen entsteht, könnte auf Uranus und Neptun natürlich vorkommen.
Ob in den Tiefen unseres Gefrierschranks oder in den kalten Gletschern der Antarktis – das meiste Eis auf der Erde ist sich recht ähnlich. Aber im Rest unseres Sonnensystems und auch darüber hinaus können extreme Temperatur- und Druckverhältnisse die gefrorene Substanz in bizarre Formen pressen.
Nun haben Forscher Röntgenaufnahmen von etwas gemacht, das sich als neuster Zugang im Varieté der Eisformen herausstellen könnte: ein elektrisch hochleitfähiges Material namens superionisches Eis. Wie das Team im Fachmagazin „Nature“ berichtete, existiert dieses Eis unter einem Druck, der drei bis vier Millionen Mal so hoch ist wie auf dem irdischen Meeresspiegel, und bei Temperaturen, die halb so hoch sind wie auf der Sonnenoberfläche.
„Ja, wir reden von Eis“, sagt der Studienleiter Marius Millot, ein Physiker des Livermore National Laboratory in Kalifornien. „Aber die Probe ist mehrere Tausend Grad heißt.“
Auf der Erde wären solche Verhältnisse im Normalfall unmöglich, aber tief in den großen Eisriesen Uranus und Neptun sollten sie auftreten können. Potenziell könnten sie auch dabei helfen zu verstehen, wie die fernen Planeten funktionieren und woher ihre ungewöhnlichen Magnetfelder stammen.
Jenseits von Vonnegut
Wissenschaftlern sind bereits 17 Formen kristallinen Eises bekannt Fans von Kurt Vonnegut werden erleichtert sein zu erfahren, dass das tatsächliche Eis-IX im Gegensatz zu seinem fiktionalen Gegenstück recht harmlos ist.) Schon vor mehr als 30 Jahren theoretisierten Physiker, dass Wasser durch enorm großen Druck auch in eine superionische Form gepresst werden kann.
Superionische Materialien sind teils fest, teils flüssig: Ihre Atome sind in einer kristallinen Gitterstruktur angeordnet, aber in den Zwischenräumen bewegen sich ungebundene Atomkerne mit einer elektrischen Ladung. Im Falle von Wasser – also H2O – würden die Sauerstoffatome in eine feste Kristallstruktur gepresst, während die Wasserstoffprotonen wie bei einer Flüssigkeit umherfliegen. (Vor Kurzem entdeckte ein anderes Forscherteam, das mit Kalium experimentierte, die Existenz eines Aggregatzustands, der gleichzeitig fest und flüssig ist.)
„Das ist ein ziemlich exotischer Aggregatzustand“, sagte die Co-Autorin Federica Coppari, die ebenfalls im Livermore National Laboratory arbeitet.
Im letzten Jahr fanden Millot, Coppari und ihre Kollegen die ersten Belege für superionisches Eis, als sie flüssiges Wasser mithilfe von Diamantambossen und Laserschockwellen so weit verdichteten, dass es für ein paar Milliardstel einer Sekunde zu Eis wurde. Die Messungen des Teams zeigten, dass die elektrische Leitfähigkeit des Eises für einen kurzen Moment um viele hundert Male zunahm – ein deutlicher Hinweis darauf, dass es in einen superionischen Zustand gewechselt war.
In ihren jüngsten Tests nutzten die Forscher sechs starke Laserstrahlen, um eine Folge von Schockwellen zu generieren, die eine dünne Schicht Wasser unter dem millionenfachen Druck auf der Erde und 1.600 bis 2.700 °C zu Eis verfestigte. Zeitlich genau abgestimmte Röntgenscans durchleuchteten den Zustand, der wieder nur ein paar Milliardstel einer Sekunde anhielt. Sie offenbarten, dass sich die Atome tatsächlich in einem Kristallgitter angeordnet hatten.
Der Sauerstoff war dicht an dicht in Kuben angeordnet, wobei sich jeweils ein Atom an jeder Ecke befand und eines in der Mitte jeder Kubenseite. Es war das erste Mal, dass Wassereis in einer solchen Formation beobachtet wurde, sagt Coppari. Das Team schlug für diese neue Formation die Bezeichnung Eis-XVIII vor.
Auch wenn sich die Bedingungen in den beiden Experimenten teils ähnelten, werden weitere Untersuchungen nötig sein, um die superionische Eigenschaft des Eises endgültig zu bestätigen, erklärt Roberto Car. Der Physiker der Princeton University war an der aktuellen Studie nicht beteiligt. Trotzdem betrachtet er die Arbeit der Forscher als eine wichtige Veranschaulichung der Vielseitigkeit von Wasser.
„Der Umstand, dass sich Materie in so einer Vielzahl von Formen anordnen kann, ist ziemlich verblüffend“, findet er.
Magnetische Mysterien
Die Ergebnisse des Teams fließen schon jetzt in neue Modelle von Uranus und Neptun ein. Die gewaltigen Gasriesen bestehen zu rund 65 Prozent aus Wasser, das zusammen mit Ammoniak und Methan die Schichten der Planeten bildet.
Die neuen Experimente deuten darauf hin, dass Uranus und Neptun über eine Schicht aus superionischem Eis verfügen könnten, die wie der Mantel unseres Planeten funktioniert. Dieser besteht aus festem Gestein, das sich im Laufe der Erdzeitalter langsam bewegt. Im Falle von Uranus und Neptun könnte die Eisschicht auch dabei helfen, eine Erklärung für ihre ungewöhnlichen Magnetfelder zu liefern.
Die Magnetfelder von Erde, Jupiter und Saturn werden alle durch einen internen Dynamo in der Nähe ihres Kerns angetrieben. Auffällig ist, dass die Magnetfelder alle mehr oder minder an der Rotationsachse ausgerichtet sind. (Das Magnetfeld der Erde wandert aktuell mit zunehmender Geschwindigkeit. Was geschah, als Wissenschaftler zuletzt die genaueste Karte des Erdmagnetfelds anpassen mussten, lest ihr hier.)
Im Gegensatz dazu ist das Magnetfeld des Neptun stark von der Rotationsachse weggeneigt. Der Uranus ist in dieser Hinsicht sogar noch seltsamer. Sein Magnetfeld scheint sich „umgedreht“ zu haben, weshalb sein magnetischer Südpol ungefähr am geografischen Nordpol zu finden ist. Man vermutet, dass die Magnetfelder beider Eisriesen instabil sind.
Millot hält es für möglich, dass sich direkt über der superionischen Eisschicht auf dem Uranus und dem Neptun noch eine flüssige Wasserschicht befindet, die ebenfalls in einem elektrisch hochleitfähigen Zustand existiert. Die Magnetfelder der beiden Planeten könnten dort ihren Ursprung haben, also viel näher an der Oberfläche als im Falle anderer Planeten. Das könnte auch ihre Eigenheiten erklären. Da Astronomen mittlerweile diverse Exoplaneten von der Größe eines Neptun oder Uranus entdeckt haben, könnte dieser Aufbau auch bei solch fernen Welten in anderen Systemen zu finden sein.
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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