Einzigartiger Mineralfund: Der Diamant im Diamant

Es ist das erste bekannte Exemplar dieser Art: Ein Diamant mit einem Hohlraum, in dem sich ein anderer Diamant frei bewegt.

Von Maya Wei-Haas
Veröffentlicht am 11. Okt. 2019, 15:31 MESZ
Matrjoschka-Diamant
Im inneren Hohlraum eines neu entdeckten Diamanten kullert ein weiterer winziger Diamant umher. Forscher rätseln über den Entstehungsprozess dieses außergewöhnlichen Exemplars.
Foto von ALROSA

Als Spezialisten des Bergbauunternehmens ALROSA Diamanten sortierten, die im russischen Sacha (auch Jakutien) aus dem Boden geholt wurden, machten sie eine bislang einzigartige Entdeckung: Ein winziger Diamant, der in einem Hohlraum eines größeren Diamanten eingeschlossen ist. Der sogenannte Matrjoschka-Diamant, der nach den ineinander stapelbaren russischen Puppen benannt wurde, wiegt gerade mal 0,124 Gramm. Der äußere Diamant ist nur so groß wie ein Reiskorn, hieß es in der letzten Woche in einer öffentlichen Erklärung von ALROSA.

Diamanten sind kleine Zeitkapseln und schließen in ihrem Inneren oft exotische Minerale oder Spuren jener Flüssigkeit ein, in der sie entstanden. Aber die Entdeckung eines winzigen Diamanten im Inneren eines weiteren Diamanten ist ein besonderer Fund, über den Wissenschaftler aus aller Welt staunen.

„Ich dachte, um Himmels Willen, sowas habe ich ja noch nie gesehen!“, erzählt der Mineraloge Thomas Stachel von der University of Alberta, nachdem er ein Video des winzigen Diamanten gesehen hat, der sich im Inneren des anderen Diamanten bewegt. „Wir suchen nun schon sehr lange nach Diamanten, und das ist das erste Stück dieser Art.“

Diese Röntgenaufnahme eines Doppeldiamanten zeigt einen winzigen Diamanten in einem Hohlraum eines größeren Exemplars. Ein solcher Hohlraum kann unter dem enormen Druck in den Tiefen unseres Planeten, wo Diamanten entstehen, nicht existieren. Die Forscher vermuten daher, dass irgendwas diesen Hohlraum einst gefüllt haben muss.
Foto von ALROSA

Noch ist unklar, wie genau der ungewöhnliche Doppeldiamant entstand. Bald schon könnte es aber erste Hinweise darauf geben: Derzeit wird über Pläne gesprochen, die kleinen Glanzstücke zur weiteren Untersuchung an das Gemological Institute of America zu schicken. Dort könnten neue Details über die Prozesse ans Licht kommen, die sich viele Kilometer unter unseren Füßen abspielen.

„Das ist ein wahrhaft einzigartiges Werk der Natur“, sagte Oleg Kovalchuk in einer Pressemitteilung, der Direktor für die Innovationsabteilung der ALROSA Research and Development Geological Enterprise.

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Wie entstehen Diamanten?

Diamanten bilden sich für gewöhnlich etwa 250 Kilometer unterhalb der Erdoberfläche. Sie entstehen in den kratonischen Kerngebieten der Kontinente – Zonen aus altem, harten Mantelgestein, an denen die darüberliegenden Landmassen verankert sind.

Diese Diamantkinderstuben befinden sich weit jenseits menschlicher Reichweite. Das bisher tiefste Loch, das je von Menschen gebohrt wurde, ist „nur“ knapp über elf Kilometer tief. Um die besonderen Bedingungen zu erforschen, unter denen Diamanten entstehen, bleibt den Wissenschaftlern deshalb nichts anderes übrig, als die Kristalle selbst zu untersuchen. Diese werden durch seltene Vulkanausbrüche mitsamt dem geschmolzenen Gestein aus diesen tiefen Erdschichten – Kimberlit genannt – an die Oberfläche befördert.

Ein kleinerer Diamant befindet sich im Hohlraum eines größeren Diamanten. Die Forscher am Gemological Institute of America hoffen, dass sie das außergewöhnliche Stück erforschen können, um Hinweise auf seinen Entstehungsprozess zu erhalten.
Foto von ALROSA

So gelangte wahrscheinlich auch dieser neue Doppeldiamant in menschliche Reichweite. Aber wie genau er entstehen konnte, bleibt rätselhaft. Die Bildung vieler Diamanten scheint mit der Subduktion des Meeresbodens in Zusammenhang zu stehen. Zu einem solchen Vorgang kommt es, wenn eine dichte und schwere tektonische Platte sich unter eine weniger dichte Kontinentalplatte schiebt. Wenn der Meeresboden absinkt, steigt die Temperatur und presst Flüssigkeit aus den Gesteins- und Sedimentschichten. Aus der so entstehenden salzigen und kohlenstoffhaltigen Brühe, die durch die Bodenschichten sickert, kristallisieren sich unter Druck Diamanten heraus.

Im Falle des neu entdeckten Doppeldiamanten scheint dabei aber etwas schief gelaufen zu sein. Er bildete sich nicht als einzelner, durchgehender Mineralklumpen, sondern schloss einen kleineren Diamanten in sich ein. Der derzeitige Hohlraum, in dem sich der kleine Diamant befindet, hätte aber unter dem enormen Druck in den Tiefen des Mantels nicht bestehen können. Ursprünglich muss also irgendetwas diesen Hohlraum gefüllt haben.

„Im Mantel gibt es keine Hohlräume. Das ist absolut unmöglich“, sagt Stachel. „Unter diesem Druck würde jeder Freiraum binnen einer Millisekunde verschwinden.“

Ein mysteriöser Hohlraum

Womöglich befand sich in dem Doppeldiamanten einst ein Tropfen der salzigen Brühe, indem das Mineral Form annahm, sagt Michael Förster, ein promovierter Forscher im Bereich der experimentellen Petrologie an der australischen Macquarie University. So eine Flüssigkeit hätte leicht durch eine Fraktur im äußeren Diamanten austreten können. Andere Experten vermuten, dass sich in dem Zwischenraum einst andere Minerale aus dem Mantel befunden haben, beispielsweise grünbrauner Olivin oder dunkelroter Granat.

„Es ist spannend, darüber nachzudenken, welches Mineral als Zwischenstück zwischen dem inneren und äußeren Diamanten funktioniert hätte“, schrieb Förster in einer E-Mail.

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Unklar ist, wie und wann diese Minerale dann verschwunden wären. Sie könnten sich allerdings verflüssigt haben, als die Diamanten an die Oberfläche befördert worden, spekuliert Wuyi Wang, der Vizepräsident für Forschung und Entwicklung am Gemological Institute of America. Geschmolzenes Gestein oder siedend heiße Flüssigkeit könnten die Mantelminerale im Inneren des Diamanten verflüssigt haben.

Stachel vermutet, dass der Hohlraum auch erst an der Oberfläche geleert worden sein könnte. Dort könnte Wasser die Mineralfüllung zunächst in weichere Minerale umgewandelt und dann langsam ausgewaschen haben.

Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass einer dieser beiden Prozesse den gesamten Hohlraum hätte säubern können. Die Rückstände wurden wahrscheinlich durch menschliches Zutun beseitigt, vermutet Stachel. Zwar ist nicht bekannt, wie der Diamant nach seinem Abbau gesäubert wurde, aber die meisten Verarbeitungsprozesse beinhalten eine Waschung mit stark ätzenden Substanzen wie Flusssäure.

„Die zersetzt fast jedes bekannte Mineral“, so Stachel. Diamanten zählen zu den wenigen Mineralen, die eine solche Begegnung überstehen. Derzeit stehen weitere Informationen über den Diamanten und seine Verarbeitung noch aus.

Scans sollen Hinweise liefern

Früher wurden bereits andere ungewöhnliche Diamantstrukturen gefunden, die Parallelen zur jüngsten Entdeckung aufweisen. Wang beispielsweise besitzt seit Langem einen Diamanten, in dessen Inneren sich ein weiterer Diamant befindet, der allerdings fest an der Innenwand seiner Diamanthülle sitzt. Und zahlreiche andere Diamanten hätten ebenfalls Löcher, wie Stachel hinzufügt.

Durch die Untersuchung dieser Sonderlinge können Forscher mehr darüber lernen, wie Diamanten entstehen und mit welchen Umgebungen und Chemikalien sie es in den Tiefen unseres Planeten zu tun haben.

Wang, der die Untersuchung des Doppeldiamanten am GIA leiten wird, freut sich besonders darauf, einen hochauflösenden CT-Scan des Exemplars zu machen. Damit lässt sich seine Struktur dreidimensional visualisieren. Er hofft, dass er die Form des Hohlraums so besser untersuchen und einen möglichen Ausweg für die mutmaßliche ehemalige Mineralfüllung finden kann. Die chemische Zusammensetzung des Diamanten möchte er ebenfalls erforschen, um eventuell Hinweise auf die Beschaffenheit der ehemaligen Füllung zu erhalten.

Um ihre Fragen aber wirklich beantworten zu können, brauchen die Forscher Stachel zufolge noch weitere Exemplare. „Das schlussendliche Ziel wäre eigentlich, dass die Leute jetzt noch einen Diamanten finden, dessen Hohlraum noch gefüllt ist. Dann wären wir alle sehr glücklich.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

 

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