Gewaltige Massen merkwürdiger, leuchtender Tiere überfluten den Pazifik

Tropische, röhrenförmige Tiere namens Feuerwalzen tauchten millionenfach an der Küste des Pazifischen Nordwestens und vor Alaska auf. Niemand weiß, warum.

Von Craig Welch
Veröffentlicht am 30. Okt. 2017, 13:04 MEZ
Wirbellose Meereslebewesen namens Feuerwalzen
Wirbellose Meereslebewesen namens Feuerwalzen tauchen in Rekordmassen in Gebieten auf, in denen sie nie zuvor gesichtet wurden.
Foto von Steve Morey

Drei Jahre lang waren die Wassertemperaturen an der Westküste der USA so hoch wie nie. 2017 kühlten sie sich dann endlich wieder ab. Krill kehrte in großen Mengen zurück und bot Lachsen ein reichhaltiges Mahl. Seelöwen und andere Meeressäuger wurden nicht länger ausgemergelt und verhungernd an die Strände gespült. Es schien, als würde alles wieder zur Normalität zurückkehren.

Mit dem Frühling kamen auch Millionen bizarrer Meereslebewesen, die wie primitive Quallen anmuten und biolumineszent sind. Sie verklebten Fischernetze und Angelhaken und schwemmten in Massen an die Strände entlang der Westküste. Die stoppeligen, gallertartigen Tierchen heißen Feuerwalzen. Jedes von ihnen ist technisch gesehen eine Kolonie aus anderen mehrzelligen Tieren, sogenannten Zooiden. Die kegelförmigen Manteltierchen kommen normalerweise in den Tropen vor, aber mitunter tauchen sie auch weiter nördlich bis auf Höhe von British Columbia auf. In diesem Frühling begannen sie, in bisher beispiellosen Massen den Ostpazifik von Oregon bis zum Golf vom Alaska zu schwärmen.

„Es ist wirklich seltsam“, sagt Jennifer Fisher, eine wissenschaftliche Assistentin am Hatfield Zentrum für Meereswissenschaften der Oregon State University. „So was haben wir noch nie zuvor gesehen.“

Das hat auch Rick Brodeur nicht, ein Forscher und Biologe am Northwest Fisheries Science Center in Oregon, das von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) betrieben wird. Er studiert Quallen und andere gallertartige Lebewesen im Pazifischen Nordwesten seit 30 Jahren.

„Es ist einfach unglaublich, wie viele von ihnen es gibt“, sagt Brodeur.

Ein Netz der Forscher zog innerhalb von fünf Minuten 60.000 Exemplare aus dem Meer. Lachsfischer bei Sitka in Alaska haben ihre Arbeit eingestellt, da sie nicht verhindern konnten, dass die merkwürdigen, röhrenförmigen Tierchen an ihren Haken hängen bleiben. Sie dominieren die Wassersäule für mehr als hundert Meter. Aber niemand weiß, wie oder warum.

„Sie kamen her und gedeihen prächtig – [sie sind] einfach total reichlich vorhanden“, sagt Fisher. „Aber das ist das Merkwürdige: Warum hier? Warum jetzt?“

DIE KLEINE UNBEKANNTE

Im Normalfall sind Feuerwalzen so selten, dass ein kanadischer Wissenschaftler, der einen jährlichen Bericht zum Zustand des Ozeans verfasst, noch nicht mal von ihnen gehört hatte. Wissenschaftler von der Westküste haben in der Fachliteratur nur spärliche Informationen zu den Tieren gefunden. Es ist auch nicht klar, ob das Auftauchen der Feuerwalzen bedeutende ökologische Konsequenzen nach sich ziehen wird. Die meisten Wissenschaftler vermuten aber, dass das wohl der Fall sein muss. Es ist nur schlicht unmöglich vorherzusagen, wie diese Konsequenzen aussehen werden.

Feuerwalzen finden sich üblicherweise an Orten wie der Elfenbeinküste, dem Mittelmeer oder den Gewässern vor Australien und Florida. Manche können etwa neun Meter lang werden und wirken wie geisterhafte Dungchen (lange tibetische Blechblasinstrumente). Die kleineren Exemplare nutzten Flimmerhärchen, um sich die Wassersäule auf- und abzubewegen. Sie sind fest, ein bisschen wie Gurken, und mit kleinen Beulen übersät. Hantiert man mit ihnen, quillt ein gallertartiger Eiter aus ihnen heraus.

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    Als 2014 und 2015 eine riesige Warmwasser-Lache den Ostpazifik transformierte, tauchten plötzlich allerhand Arten dort auf, wo sie eigentlich nicht hingehörten. Vor der Küste Alaskas gingen Haie aus wärmeren Gewässern und Thunfische ins Netz. Vor Kalifornien tauchten tropische Seeschlangen auf. Die längste und bisher giftigste Algenblüte, die man je verzeichnet hat, vergiftete Krabben, Sardellen, Robben und Seelöwen. Und eine Handvoll Feuerwalzen wurden an Strände gespült.

    Aber dann begannen die Temperaturen wieder zu sinken. Aber als der Rest des Meeres sich wieder seinem Normalzustand annäherte, begannen die Feuerwalzen sich aus irgendeinem Grund zu vermehren. Mit Beginn des Frühlings dominierten sie einen Großteil der oberen Meeresschichten, besonders vor der Küste von Alaska.

    „Als Fischer mit Schleppangeln nach Königslachsen fischten, zogen sie diese Leinen mit je 50 Haken hinter sich her, und praktisch an jedem der Haken hingen diese Dinger“, sagt Leon Shaul vom Amt für Fische und Wild in Alaska. „Das ging so weit, dass sie effektiv nicht mehr fischen konnten.“

    Shaul sagt, dass einer der Fischer ein paar der Tiere in einen Eimer geworfen und später wieder über Bord gekippt hat. Er hat erst nachträglich bemerkt, dass der Eimer leuchtete.

    „Das Wasser war wirklich voll von ihnen“, sagt Aaron Baldwin vom Amt für Fische und Wild in Alaska.

    Während einer wissenschaftlichen Fangfahrt mit Schleppnetzen Ende Mai, die mehrere hundert Kilometer vor der Küste von Oregon stattfand, entdeckten Wissenschaftler die Feuerwalzen schon zu Zehntausenden.

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    Es ist nicht sicher, was die Tiere eigentlich gefressen haben – nur, dass es eine ganze Menge gewesen sein muss.

    „Die können vermutlich eine Menge Nahrung verzehren – sie fressen eher sehr feine Partikel –, aber sie müssen wirklich sehr viel fressen, um so eine Dichte zu erreichen“, sagt Brodeur.

    Es weiß auch niemand so recht, welche Tiere die Feuerwalzen fressen. Wissenschaftler, die Kohlenfische gefangen haben, sahen auch ein paar Tiere, die Feuerwalzen auswürgten. Andere Forscher haben ein paar kleine Feuerwalzen im Bauch von Königslachsen gefunden. Aber haben die Fische sie gefressen oder konnten sie die kleinen Tierchen nur einfach nicht vermeiden?

    Wissenschaftler befürchten schon jetzt, dass die Massen im Wasser so gewaltig sind, dass sie riesige Mengen Sauerstoff aus den Küstengewässern ziehen werden, wenn sie schließlich absterben und verwesen. Das wiederum stellt eine Bedrohung für viele andere Meereslebewesen dar.

    „Für etwas, das es hier vorher nie wirklich gegeben hat, ist die Dichte einfach wahnsinnig“, sagt Laurie Weitkamp, eine andere Biologin vom Northwest Fisheries Science Center. „Wir sind da ziemlich ratlos.“

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