Kosmische Überraschung: Schwarzes Loch nur 1.000 Lichtjahre entfernt

Das unsichtbare massereiche Objekt befindet sich in einem Dreiersystem, das am südlichen Nachthimmel leuchtet.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 7. Mai 2020, 13:35 MESZ

Diese künstlerische Darstellung zeigt die Umlaufbahnen der Objekte im Dreiersystem HR 6819. Es besteht aus einem inneren Stern (blauer Orbit), einem neu entdeckten Schwarzen Loch (roter Orbit) und einem dritten, weiter außen gelegenen Stern (ebenfalls mit blauem Orbit).

Foto von Illustration von ESO/L. CALÇADA

Während des Winters leuchtet am Nachthimmel der südlichen Hemisphäre ein blauer Lichtpunkt im Sternbild Teleskop am Firmament. Was wie ein heller Stern aussieht, sind tatsächlich zwei Sterne – und sie werden von einem Schwarzen Loch begleitet, das der Erde näher ist als jedes andere.

Dieses neu entdeckte Objekt ist nur etwa 1.011 Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt und befindet sich im Sternensystem HR 6819. Es kreist zusammen mit zwei Sternen um einen Mittelpunkt, wie im Fachmagazin „Astronomy & Astrophysics“ beschrieben wurde. Schätzungen zufolge hat es ungefähr die vierfache Masse der Sonne und ist uns ungefähr 2.500 Lichtjahre näher als das zweitnächste Schwarze Loch.

„Es scheint, als hätte es sich direkt vor unseren Augen versteckt“, sagt der Astronom Kareem El-Badry, ein Doktorand an der University of California, Berkeley. Er ist auf binäre Sternsysteme spezialisiert, war an der Studie aber nicht beteiligt. „Das Sternsystem ist hell genug, dass die Leute es schon seit den Achtzigern erforschen. Es sieht aber so aus, als hätte es noch ein paar Überraschungen parat gehabt.“

Diese Aufnahme des Himmels entstand im Rahmen der Digitized Sky Survey 2. Der leuchtend blaue Punkt im Zentrum ist HR 6819. Die beiden Sterne sind so dicht beieinander, dass sie wie ein einziger Stern aussehen. Zu dem Dreiersystem gehört auch ein Schwarzes Loch.

Foto von SO/Digitized Sky Survey 2, mit Dank an: Davide De Martin

Für menschliche Maßstäbe sind 1.000 Lichtjahre eine gewaltige Entfernung. Würde man ein Modell der Milchstraße so darstellen, dass zwischen Sonne und Erde nur ein einziges Haar passt, wäre HR 6819 immer noch 6,5 Kilometer entfernt. In Relation zur gesamten Galaxie, deren Durchmesser mehr als 100.000 Lichtjahre beträgt, ist uns HR 6819 aber ziemlich nah. Das lässt auch vermuten, dass es überall in der Milchstraße zahlreiche Schwarze Löcher gibt.

„Wenn wir eines finden, das uns sehr nah ist, und wir davon ausgehen, dass wir nichts Besonderes sind, dann muss es überall da draußen welche geben“, sagt der Hauptautor der Studie Thomas Rivinius, ein Astronom der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile.

Tanz mit zwei Sternen

Forscher vermuten schon länger, dass es in der Milchstraße hunderte Millionen von Schwarzen Löchern geben könnte – enorm dichte Objekte, deren Gravitation so gewaltig ist, dass nicht einmal Licht ihr entkommen kann. Allerdings hat es sich als äußerst schwierig herausgestellt, diese dunklen Objekte zu finden. Ein paar Dutzend der Schwarzen Löcher in unserer Galaxie wurden entdeckt, weil sie die Gase nahegelegener Nebel „fressen“. Bei diesem Prozess entstehen Röntgenstrahlen, wenn die Gase um den Ereignishorizont des Schwarzen Loches wirbeln. Die Mehrheit dieser Objekte ist jedoch unsichtbar. Um sie zu entdecken, müssen wir nach den Auswirkungen ihrer Gravitation auf umliegende Objekte Ausschau halten.

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    Die Astronomen, die HR 6819 erforschten, waren eigentlich gar nicht auf der Suche nach Schwarzen Löchern. Sie wollten mehr über das eigenartige Sternenpaar erfahren, das einander umkreist.

    Der äußere Stern, ein sogenannter Be-Stern, hat das Mehrfache der Masse der Sonne und brennt deutlich heißer und blauer. An seinem Äquator rotiert die Oberfläche des Sterns mit mehr als 480 km/s – mehr als doppelt so schnell wie die Oberfläche am Sonnenäquator. „Die rotieren so schnell, dass die Materie fast von selbst wegfliegt“, sagt Rivinius.

    Im Jahr 2004 wurde HR 6819 vier Monate lang mit dem MPG/ESO-2,2-m-Teleskop des La-Silla-Observatoriums in Chile beobachtet. Dabei entdeckten die Forscher Anzeichen dafür, dass es sich bei den Sternen um mehr als ein nur ganz normales Binärsystem handelte. Der „normale“ innere Stern schien alle 40,3 Tage einen Orbit um ein weiteres Objekt zu vervollständigen. Der größere Be-Stern umkreiste deutlich weiter draußen sowohl den inneren Stern als auch ein mysteriöses drittes Objekt.

    Fünf Jahre später nahm sich Stan Štefl von der Europäischen Südsternwarte diese Beobachtungen noch einmal vor. Sie enthielten Hinweise auf ein Schwarzes Loch, das im Zentrum von HR 6819 lauerte. Als Štefl 2014 bei einem Autounfall starb, wurde die Arbeit zwischenzeitlich auf Eis gelegt.

    Im November 2019 hatte Rivinius – ein Experte für Be-Sterne und ein langjähriger Kollege von Štefl – einen neuen Grund, um sich HR 6819 noch mal anzusehen. Eine andere Forschergruppe hatte eine Studie publiziert, in der sie ein Sternsystem namens LB-1 beschrieben. Das System enthielt ein Schwarzes Loch, das 70 Mal massereicher als unsere Sonne ist. Die Studie sorgte sogleich für Skepsis. Nach dem zu urteilen, was Physiker über die Entstehung Stellarer Schwarze Löcher wissen – also solche, die nach einer Supernova zurückbleiben –, sollten derart massereiche Schwarze Löcher gar nicht entstehen können. Wenn ein Stern groß genug ist, um theoretisch ein Schwarzes Loch von dieser Größe hervorzubringen, müsste er auf eine Weise explodieren, die verhindert, dass die Trümmer wieder aufeinander zurückfallen und sich verdichten.

    Rivinius’ Team kamen die Daten von LB-1 allerdings ziemlich bekannt vor: Sie wiesen eine starke Ähnlichkeit zu dem auf, was sie selbst vor Jahren bei HR 6819 gesehen hatten. Also machten sie sich daran, das mysteriöse dritte Objekt des Systems zu beschreiben. Anhand der Berechnungen der Helligkeit und Umlaufbahn des inneren Sterns musste das unsichtbare Objekt mindestens 4,2 Mal massereicher als unsere Sonne sein – und damit ähnlich massereich wie andere bekannte Schwarze Löcher in der Milchstraße.

    Ein unsichtbares Ziel

    Wenn das Objekt tatsächlich etwa vier Sonnenmassen hat, dann kann es kein normaler Stern sein: Ein Stern von dieser Größe wäre „sehr einfach zu entdecken“, sagte der Co-Autor der Studie Dietrich Baade, ein emeritierter Wissenschaftler des ESO. Auch für einen Neutronenstern – das dichte Zentrum eines Sterns, das nach manchen Supernovae zurückbleibt – ist das Objekt zu massereich.

    Nur eine Art von Objekt konnte die Messungen erklären: ein Schwarzes Loch.

    Aber alle Studien von Systemen wie HR 6819, in denen es mehrere Objekte dicht beieinander gibt, haben mit potenziellen Fehlerquellen zu kämpfen, erklärt El-Badry. Der äußere Be-Stern und der innere Stern von HR 6819 sind zu dicht beieinander, um mit optischen Teleskopen isoliert zu werden. Die beiden Sterne können nur durch ihr unterschiedliches Lichtspektrum identifiziert werden.

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    In manchen Fällen können ältere Sterne, die ihren äußeren Wasserstoff bereits verbrannt haben, aussehen wie jüngere, massereiche Sterne. Sollte das auch beim inneren Stern von HR 6819 der Fall sein, müssten Forscher die Masse des mutmaßlichen Schwarzen Loches neu berechnen.

    Für ihre Folgestudie wollen Forscher unter der Leitung des Co-Autors Petr Hadrava das von HR 6819 ausgestrahlte Licht analysieren und die präzisen Lichtspektren der zwei Sterne identifizieren. Das sollte auch die Frage nach ihrer Beschaffenheit klären. Laut El-Badry könnte auch das ESA-Teleskop Gaia, welches die Milchstraße mit bislang beispielloser Präzision kartiert, mehr Details über die Umlaufbahnen in HR 6819 offenbaren. Weil das System uns so nahe ist, könnten Astronomen die beiden Sterne mithilfe einer Technik namens Interferometrie punktgenau lokalisieren. Dabei werden mehrere Teleskope miteinander kombiniert – ähnlich wie das Teleskopnetzwerk, das erfolgreich die Silhouette eines Supermassereichen Schwarzen Lochs ablichtete.

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    „Wenn man ein Schwarzes Loch mit einem Stern im Orbit hat, kann man für gewöhnlich nicht sehen, wie der Stern das Schwarze Loch umkreist“, sagt die Co-Autorin Marianne Heida, eine Postdoktorandin am ESO. „Das hier ist aber so nahe, dass wir die Bewegungen sehen können sollten […] und das bedeutet, dass man die Masse des Schwarzen Loches viel genauer bestimmen kann, wenn alles klappt.“

    Während die Forscher ihre nächsten Schritte planen, würdigen sie auch Štefl, die treibende Kraft hinter der Entdeckung dieses Schwarzen Lochs. „Stan war sehr vorsichtig“, sagt Rivinius mit einem Grinsen. „Der würde mich jetzt vermutlich ansehen und sowas sagen wie: Bist du dir wirklich sicher?“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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