Österreichs irdische Marsmissionen

Im Angesicht von Isolation und durchgeschwitzten Raumanzügen simulieren sechs „Analogastronauten“ eine Reise zum Roten Planeten.

Von Michael Greshko
bilder von Florian Voggeneder
Veröffentlicht am 31. Jan. 2019, 23:06 MEZ
Die Crewmitglieder Gernot Grömer und João Lousada stehen im Habitatmodul der Kepler Station, einer temporären Basis ...
Die Crewmitglieder Gernot Grömer und João Lousada stehen im Habitatmodul der Kepler Station, einer temporären Basis für eine simulierte Marsmission namens AMADEE-18.
Foto von Florian Voggeneder

An einem ganz normalen Tag kann man Kartik Kumar in den Niederlanden antreffen, wo er gerade seinen Doktortitel in Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität Delft erwirbt oder sich um sein Start-up kümmert. Aber im Februar 2018 stand Kumar auf der Oberfläche des Mars.

Na ja, fast. Nach Abschluss eines Intensivtrainings war Kumar einer von sechs „Analogastronauten“, die sich freiwillig für eine einmonatige Missionssimulation namens AMADEE-18 zum Roten Planeten gemeldet hatten. Ziel des Projekts: die Werkzeuge und Prozesse sowie Körper und Geist angesichts der Herausforderungen bei einer echten Marsmission auf die Probe zu stellen.

Je mehr Schwächen das Team feststellen kann, umso besser. Wenn einem auf der Erde Fehler unterlaufen, ist das nicht halb so dramatisch wie auf dem Mars – einer gefrorenen Wüste mit nicht atembarer Luft, in der giftiger Staub umherwirbelt. Dort kann selbst der kleinste Fehler tödlich sein.

„Wenn ein Mensch in einem Raumanzug steckt, [ist es faszinierend], wie schwer ihm Dinge fallen können – selbst so einfache Sachen wie bei einem Experiment einen Knopf zu drücken oder im Sand zu stehen“, sagt Bonnie Posselt, eine Staffelführerin der Royal Air Force und Doktorandin am U.S. Air Force Research Laboratory. Sie nahm als Sanitätsoffizierin an AMADEE-18 teil.

BELIEBT

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    Carmen Köhler hat einen Doktortitel in Atmosphärenphysik und betreibt ihre eigene Solaranlagenfirma. Schon von klein auf wollte sie Astronautin werden. Nachdem sie sich erfolglos darum beworben hatte, Deutschlands erste Astronautin zu werden, erfuhr sie von den Missionen des ÖWF – danach gab es kein Zurück mehr. „Ich wusste einfach, dass ich das in meinem Leben haben wollte“, sagt sie.
    Foto von Florian Voggeneder
    Jeder Analogastronaut hat ein praktisches Referenzinstrument dabei, das sich Geo-Chart nennt. Mit Hilfe der Karte können sie geologische Merkmale einordnen, während die Fotos Größenverhältnisse verdeutlichen.
    Foto von Florian Voggeneder

    Als Kumar in der Wüste des Oman stand – gekleidet in einen 45 Kilogramm schweren Raumanzug, der in der Sonne schimmerte –, fand er heraus, dass das Exoskelett des Anzugs seine Bewegungsfreiheit einschränkte und seine Sinne abschirmte. Er konnte nichts hören als das Rauschen seiner Kopfhörer und schwitzte am ganzen Körper. Vor ihm, jenseits des gewölbten Glasvisiers seines Helms, erstreckte sich kilometerweit der unwirtliche rote Sand. Einen Moment lang hatte Kumar das Gefühl, er sei durch Raum und Zeit gereist.

    „Das sind wirklich seltsame Gefühle“, erzählt er. „Alle Sinne – alle Gedanken – sind in diesem Gefühl verwurzelt, auf dem Mars zu sein.“

    Von Innsbruck auf den Olympus Mons

    Der österreichische Fotograf Florian Voggeneder hat ebenfalls für die Mission trainiert und war Teil von AMADEE-18s Außenteam, damit er das Unterfangen uneingeschränkt dokumentieren konnte.

    Vor fast vier Jahren wollte Voggeneder eine ironische Hommage an die österreichischen Weltraumenthusiasten entwerfen – in Anlehnung an das praktisch kaum vorhandene Raumfahrterbe des Landes. Es ist mehr als 25 Jahre her, dass Österreichs einziger Astronaut, Franz Viehböck, an Bord der russischen Raumstation Mir den Planeten umkreiste. Voggeneders Idee entwickelte sich jedoch zu einem seriösen Projekt, als er auf das Österreichische Weltraum Forum stieß, ein privates Netzwerk aus Wissenschaftlern und Interessierten.

    Nachts fielen die Temperaturen rund um Kepler Station unter den Kondensationspunkt, sodass die Basis in einen dichten Nebel gehüllt wurde. „Der war richtig greifbar“, sagt der Fotograf Florian Voggeneder.
    Foto von Florian Voggeneder

    „Das war ein sehr ehrliches Projekt mit einem bodenständigen Ansatz“, so Voggeneder. „Das hat mich neugierig gemacht.“

    Seit 1997 hat das ÖWF bereits zwölf analoge Marsmissionen auf der ganzen Welt simuliert, darunter auch die in bislang größter Höhe abgehaltene Mission in einer österreichischen Eishöhle. Die Belegschaft veröffentlicht regelmäßig wissenschaftliche Abhandlungen. Beobachter der NASA und ESA halten sich über die Erkenntnisse des ÖWF auf dem Laufenden.

    „Es gibt eine ganz bestimmte Nische, in der wir Missionen für wenig Geld mit einem großen Erkenntnisgewinn durchführen können“, erklärt der ÖWF-Direktor Gernot Grömer, der bei elf AMADEE-Missionen als Einsatzleiter oder Leiter der Missionsunterstützung mitgewirkt hat. „Vor ein paar Jahren gab es im JSC [Johnson Space Center] der NASA ein Meeting, bei dem die Leute ein Problem hatten, das sie nicht lösen könnten. Irgendwer stand auf und sagte: Ich habe von so einer komischen Gruppe aus Österreich gehört, die was Ähnliches machen, lasst uns die mal fragen.

    Das ist für mich die höchste Auszeichnung“, so Grömer. „Darauf bin ich sehr stolz.“

    Life on Mars (auf der Erde)

    Eine echte Reise zum Mars würde einen neunmonatigen Flug durch den Weltraum bedeuten. Bei der AMADEE-18-Mission ging es für die Teilnehmer nur mit einer Fluggesellschaft von München nach Maskat, der Hauptstadt des Oman. Von dort flogen sie mit einer Chartermaschine in den Süden des Landes nach Dhofar. Als sie schließlich an der Kepler Station – ihrer temporären Basis – aus dem Bus stiegen, waren sie im Umkreis von vielen Kilometern die einzigen Menschen.

    Das Missionsmitglied Michael Müller führt das Experiment AD3PT durch, das gemeinsam vom ÖWF und der Texas A&M University entworfen wurde und testen soll, wie ein 3D-Drucker auf einer Marsmission genutzt werden könnte.
    Foto von Florian Voggeneder
    Die Mondsichel hängt über Kepler Station.
    Foto von Florian Voggeneder

    Diverse Faktoren, von der Isolation bis zum roten Wüstensand, trugen dazu bei, dass die Simulation innerhalb der Möglichkeiten auf der Erde so authentisch möglich wirkte. Die Missionsunterstützung „auf der Erde“ – ein Gebäude in Innsbruck – erstellte für die Astronauten Zeitpläne, die bis auf 15 Minuten genau durchstrukturiert waren. Jegliche Kommunikation zwischen Kepler Station und Innsbruck fand mit einer zehnminütigen Verzögerung statt, um die Zeitverzögerung zwischen Erde und Mars zu simulieren.

    Jeden Tag liefen zwei Analogastronauten bis zu sechs Stunden am Stück mehrere Kilometer weit in die Wüste, um Equipment zu testen, das eines Tages bei der Suche nach Leben auf dem Mars zum Einsatz kommen könnte. Das Duo trug den ganzen Stolz des ÖWF: einen Raumanzugsimulator namens Aouda.X, der in akribischer Detailarbeit entwickelt wurde.

    Das dreilagige Exoskelett soll so authentisch wie möglich sein – inklusive aller Unannehmlichkeiten. Es kann bis zu drei Stunden dauern, den Anzug anzuziehen, und eine Stunde, um ihn wieder abzulegen. Trotz des eingebauten Belüftungssystems kann man darin so viel schwitzen, dass man im Einsatz gut zwei Liter trinken kann, ohne auch nur einmal auf Toilette zu müssen.

    „Es ist viel schwieriger, sich zu bewegen – als würde man eine fünf Kilogramm schwere Banane anheben“, erzählt die Analogastronautin Carmen Köhler, die an der AMADEE-18-Mission beteiligt war.

    All diese simulierten Unannehmlichkeiten führen aber zu wichtigen Erkenntnissen für künftige Mars-Raumanzüge. Auf einer früheren AMADEE-Mission hörte die Crew einen Astronauten im Feldeinsatz über Funk gequält ächzen. An seiner Nase hatten sich Schweißtropfen gesammelt, aber da er einen Helm trug, konnte er sie nicht abwischen. So entstand eine der Innovationen des ÖWF: ein Stück Schweiß absorbierendes Haftband an der Innenseite des Helms.

    Der Anspruch der Authentizität erstreckte sich auch auf Voggeneder. Als Teil des Außenteams musste er die Missionsunterstützung bitten, seinen Zeitplan anzupassen, damit ihm Zeit zum Fotografieren blieb. Die formelle Genehmigung dazu erhielt er erst Tage später, wie das auch bei einer echten Anfrage zu Änderung des Missionsplans gewesen wäre.

    Der Analogastronaut João Lousada läuft an den Crewquartieren von Kepler Station vorbei, nachdem er von einem Feldeinsatz zurückgekehrt ist. Insgesamt haben die Missionsteilnehmer des ÖWF mehr als 750 Stunden mit simulierten Feldeinsätzen verbracht.
    Foto von Florian Voggeneder

    Obwohl die Teilnehmer nie wirklich vergaßen, dass sie sich weiterhin auf der Erde befanden, veränderte sie die Erfahrung. Je mehr Voggeneder über seine Zeit während der AMADEE-18-Mission nachdachte, desto häufiger sprach er vom Missionszentrum in Österreich als „Erde“ und vom Oman als „Mars“.

    „Wir sind in so einer Art Limbo“, sagt er.

    Kunst auf dem Mond, Menschen auf dem Mars

    Nun, da der Sand des Oman langsam die ehemalige AMADEE-18-Basis verschlingt, plant Grömers Team schon den nächsten Besuch auf dem „Roten Planeten“. Im Oktober 2020 werden sechs Analogastronauten des ÖWF vier Wochen in den Tiefen der Wüste Negev in Israel verbringen. Die Missionsentwickler denken sogar darüber nach, die Astronauten von der Hilfscrew zu trennen, die vor Ort zugegen ist, um die Isolation noch extremer – und realistischer – zu gestalten.

    Derweil werten die Wissenschaftler aus, wie sich die Testinstrumente von AMADEE-18 geschlagen haben. Ihre Ergebnisse werden sie in einer kommenden Ausgabe des Fachmagazins „Astrobiology“ veröffentlichen.

    Was Voggeneder angeht, so denkt er immer noch viel über den Weltraum nach und überlegt, wie er zu einer künftigen Kunstinstallation auf dem Mond beitragen könnte. „Was braucht es, damit man sich irgendwo zu Hause fühlt?“, fragt er. „Man könnte durch den Weltraum reisen, aber sobald man dann beschließt, sich irgendwo niederzulassen, müsste man seine eigenen Gewohnheiten, seine eigenen Rituale und seine eigene Kultur einführen.“

    Die anderen AMADEE-18-Crewmitglieder sind überzeugt, dass die Frage nicht lautet, ob sich die Menschen je auf dem Mars mit diesen Themen beschäftigen werden müssen – sondern wann.

    „Der erste Mensch, der den Mars betreten wird, ist bereits geboren“, ist sich der AMADEE-18-Analogastronaut João Lousada sicher. „Wenn ich ihm etwas sagen müsste, wäre das definitiv, dass er all die Mühen nicht vergessen soll, die nötig waren, um den Mars zu erreichen – er soll es nicht als selbstverständlich betrachten, aber er soll es auch genießen. Das ist eine der größten Leistungen, die wir zu unseren Lebzeiten noch erbringen können.“

    Ein Sandsturm taucht die Wüste und den Himmel über der Region Dhofar im Oman in marsianische Braun- und Rottöne.
    Foto von Florian Voggeneder

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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