Unser Ozean ist der Schlüssel zur Entdeckung außerirdischen Lebens

Ein Astrobiologe der NASA ist sich sicher: Die Erforschung unserer Meere ist der erste Schritt auf der Suche nach extraterrestrischem Leben im äußeren Sonnensystem.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 8. Sept. 2020, 15:19 MESZ
Der viertgrößte Jupitermond Europa hat einen globalen Ozean, der etwa 65 bis 160 Kilometer tief unter ...

Der viertgrößte Jupitermond Europa hat einen globalen Ozean, der etwa 65 bis 160 Kilometer tief unter einer äußeren Eisdecke liegt.

Foto von NASA, JPL Cal-tech, Seti Institute

Im Herbst 2019 verbrachten der Astrobiologe Kevin Hand und ich einen Monat an Bord des norwegischen Eisbrechers Kronprins Haakon, der sich seinen Weg durch den gefrorenen Ozean vor der Nordostküste Grönlands bahnte. Um uns herum sah die Erde seltsam fremd aus – das ansonsten wogende Meere war von einer dicken Masse aus leuchtendem Eis bedeckt.

Die fremdartige Umgebung passte zur Expedition, die an diesen kalten Ort entsandt worden war, um in der Tiefe nach Spuren des Lebens zu suchen. Leben, das dem auf fremden Welten ähneln könnte, beispielsweise auf den Eismonden des äußeren Sonnensystems. Einige dieser Monde – vor allem Europa, Titan und Enceladus – gelten als die besten Orte, um nach Leben jenseits der Erde zu suchen.

Mitte der 2020er will die NASA eine Raumsonde zum Jupitermond Europa senden, um dort nach Anzeichen außerirdischen Lebens zu suchen. Die Raumfahrtbehörde plant außerdem eine Mission auf den Saturnmond Titan. Auch ein Touchdown auf Europa steht auf der Wunschliste der Wissenschaftler: Dort hoffen sie, in der Zukunft mit einem autonomen U-Boot durch das Eis zu bohren und die Wassertiefen zu erforschen.

Ein Unterwasser-Rover sucht unter dem Eis der Arktis und Antarktis nach Leben. Ein ähnlicher Unterwasserroboter könnte eines Tages eisbedeckte Ozeane auf Monden wie Europa und Enceladus erkunden. BRUIE wurde von Ingenieuren am JPL der NASA entwickelt und ist hier 2015 in einem arktischen See in der Nähe von Barrow in Alaska, im Einsatz.

Foto von NASA-JPL

Hand ist der Direktor des Ozeanwelten-Labors am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA und ein National Geographic Explorer. Er hat seine Karriere damit verbracht, diese wässrigen Monde und die Technologien zu studieren, die wir zu ihrer Erforschung benötigen. Sein kürzlich veröffentlichtes Buch „Alien Oceans: The Search for Life in the Depths of Space“ (dt.: Außerirdische Meere: Die Suche nach Leben in den Tiefen des Weltraums) beschreibt, warum das Studium der irdischen Ozeane ein entscheidendes Kapitel in der Erforschung extraterrestrischer Meere ist. Hand sprach mit National Geographic über diesen Zusammenhang und warum Scheitern eine Option sein muss, wenn man Raumsonden in die eisigen Winkel des Sonnensystems schickt.

Das Wichtigste zuerst: Gibt es Leben jenseits der Erde?

Das ist die erste Frage?! Na ja, wenn die Voraussetzungen für die Entstehung des Lebens auf Welten jenseits der Erde gegeben sind, dann ja – dann glaube ich, dass es Leben jenseits der Erde gibt und dass wir in einem biologischen Universum leben.

Warum halten Sie außerirdische Ozeane für einige der besten Orte, um nach Leben zu suchen?

Wenn wir vom Leben auf der Erde etwas gelernt haben, dann, dass dort, wo man flüssiges Wasser findet, in der Regel auch Leben ist. Und diese Ozeane jenseits der Erde beherbergen potenziell eine ungeheure Menge an flüssigem Wasser. Sie sind unglaublich verlockende Orte, um nach Leben zu suchen, das heute noch existiert – im Gegensatz also zu Fossilien ausgestorbener Organismen.

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    Was ich verstehen möchte, ist die zugrundeliegende Biochemie des Lebens. Gibt es ein Periodensystem des Lebens? Gibt es eine andere Biochemie, die sich von dem DNA-, RNA- und Protein-Paradigma unterscheidet, das alles Leben auf der Erde steuert? Um diese Fragen über die Grundlagen des Lebens und seine Funktionsweisen zu beantworten, müssen wir noch lebendiges Leben finden, bei dem ein Großteil seiner Biochemie noch intakt ist. Das ist der Grund, warum diese Ozeanwelten so verlockend sind.

    Wie verhält sich das im Vergleich zur Suche nach Leben auf dem Mars?

    Der Mars ist ein großartiger Ort, um nach Spuren von Leben zu suchen. Aber auf dem Mars suchen wir zum größten Teil nach altem, ausgestorbenem Leben. Der Curiosity Rover könnte morgen einen Stromatolithen –Gestein, das durch Stoffwechselprozesse von Mikroben entsteht – im Gale-Krater finden, und das wäre durchaus erstaunlich. Aber wir wären nicht in der Lage, DNA oder große Moleküle aus diesem Gestein zu extrahieren. Die großen Moleküle des Lebens überleben in dem Gesteinsbrocken nicht lange. Sie versteinern nicht gut, weil sie schnell zerfallen. Deshalb haben wir zum Beispiel keine DNA von Dinosauriern. So tiefgreifend diese Entdeckung auch wäre, sie würde also noch viele weitere Fragen aufwerfen.

    „Alien Oceans: The Search for Life in the Depths of Space“, das neue Buch des NASA-Astrobiologen Kevin Hand, erschien am 7. April 2020.

    Foto von Princeton University Press

    Haben Sie ein Lieblingsziel bei der Suche nach Leben jenseits der Erde?

    Das ist so, als würde man ein Elternteil bitten, ein Lieblingskind zu wählen! Aber letztendlich würde ich die Suche auf Europa gerne fortsetzen. Wir planen derzeit eine Mission mit dem Namen Europa Clipper, die etwa 45 Mal an dem Mond vorbeifliegen soll. Diese Mission schafft hoffentlich auch die Grundlagen für eine weitere Mission, die irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft auf der Oberfläche landen soll.

    Warum ist Europa so ein guter Kandidat für die Suche nach Leben?

    Wir können mit einiger Sicherheit sagen, dass es Europas Ozean schon sehr lange gibt – im Grunde die gesamte Geschichte des Sonnensystems über. Und das ist wichtig. Ein stabiler Ozean, der schon seit langer Zeit existiert, könnte sowohl für die Entstehung von Leben als auch für das langfristige Überleben von allem, was in diesem Ozean lebt, entscheidend sein.

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    Zweitens haben wir gute Modelle und Belege, die darauf hindeuten, dass Europas Ozean ein globaler Ozean ist und dass er wahrscheinlich einen Meeresboden aus Gestein hat. Dieser felsige Meeresboden enthält möglicherweise hydrothermale Quellen, aus denen Flüssigkeiten und Gase austreten könnten, die Mikroben gerne fressen. Wir wissen auch, dass die Eishülle Europas Verbindungen enthält, die das Leben im Ozean darunter speisen könnten.

    Sie schreiben darüber, wie die Erforschung unseres Ozeans und die Erforschung fremder Ozeane technologisch miteinander verflochten sind. An welchen Projekten zur Erforschung der irdischen Ozeane arbeiten Sie derzeit?

    Es gibt zwei, die ich hervorheben möchte. Das eine ist der Buoyant Rover for Under Ice Exploration (BRUIE), ein am JPL entwickelter Roboter, der sich auf die Schnittstelle Eis-Wasser konzentriert und die Chemie und Biologie dieser Schnittstelle untersucht.

    Das zweite Fahrzeug ist unser Orpheus, eine Partnerschaft zwischen dem JPL und der Woods Hole Oceanographic Institution. Orpheus ist ein kleines Tauchfahrzeug, das in die tiefsten Tiefen unseres Ozeans hinabtauchen wird. Also zum Marianengraben, New-Britain-Graben und Puerto-Rico-Graben – jene Orte, die bisher nur sehr wenig erforscht wurden.

    Eines unserer Ziele mit BRUIE und mit Orpheus ist es, viele der Lektionen aus der Raumfahrt zu nutzen, was die Herstellung von Robotersystemen betrifft, die kleiner, leichter, energiesparender, autonom und in der Lage sind, Wissenschaft vor Ort zu betreiben. All das sind Eigenschaften, die wir für die Erforschung von Welten jenseits der Erde benötigen. Und wir versuchen, einige dieser Eigenschaften zu nutzen, um die Erforschung unserer Ozeane voranzubringen.

    Was ist nötig, um einen ähnlichen Forschungsroboter in einen Ozean im äußeren Sonnensystem zu bringen?

    Die Sache ist die: Keine dieser Technologien ist Zauberei. Wir müssen nicht die Gesetze der Physik brechen oder uns irgendeine verrückte neue Erfindung einfallen lassen, um das möglich zu machen. Es handelt sich allerdings um technisch unglaublich anspruchsvolle und komplizierte Missionskonzepte. Theoretisch können wir durch das Eis bohren und direkt in diese Ozeane gelangen. Wir müssen dafür  nichts Verrücktes wie den Warpantrieb erfinden. Die bedeutendste Einschränkung ist, ein entsprechendes Missionsprogramm aufrechterhalten zu können, das uns im Laufe der nächsten Jahrzehnte dorthin bringen kann.

    Aktuell, also lange bevor wir in einen fremden Ozean jenseits der Erde eintauchen, werden wir in unserem eigenen Meer alle möglichen Entwicklungen und Tests neuer Technologien durchführen müssen. Das ist einer der wirklich tollen Aspekte daran: dass die Entwicklung jener Werkzeuge, die für die Erforschung jenseits der Erde benötigt werden, gleichzeitig zur Forschung und zu Entdeckungen hier auf der Erde beitragen.

    In Ihrem Buch schreiben Sie: „Das Scheitern muss eine Option sein, wenn man versucht, Neues zu wagen und Grenzen zu überschreiten.“ Wie können die Raumfahrtbehörden davon überzeugt werden, diese riskanten Missionen zu unterstützen?

    Es gibt viele verschiedene Arten von Risiken, die man abwägen muss, wenn man sich mit der Exploration beschäftigt – sei es auf der Erde oder jenseits von ihr. Das sind zum Beispiel wissenschaftliche Risiken: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man mit dem geplanten wissenschaftlichen Projekt Erfolg hat? Das Kostenrisiko: Wie hoch ist das Risiko, dass man das Budget sprengt? Und das technologische Risiko, den Roboter oder das Instrument zu bauen, der bzw. das für die Erforschung der anvisierten Region und die Durchführung der Messungen erforderlich ist.

    Wenn man versucht, Wissenschaft im zivilisatorischen Maßstab zu betreiben – Wissenschaft, die bedeutende Investitionen rechtfertigt, weil sie auf eine der ältesten und tiefgreifendsten Fragen der Menschheit abzielt, in diesem Fall die Frage, ob wir allein sind oder nicht –, dann denke ich, dass der Wert dieser Frage es rechtfertigt, ein gewisses Risiko einzugehen. Aber der Vorteil ist, dass wir im Falle eines Erfolgs das Universum, wie wir es kennen, verändern können. Wir könnten eine Revolution in unserem Verständnis der biologischen Wissenschaft auslösen.

    Dieses Interview wurde zugunsten von Länge und Deutlichkeit redigiert.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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