Vorsätze für die Zeit nach der Pandemie: So gelingt die Umsetzung

Während der Pandemie sind viele gute Vorsätze entstanden, was sich „nach Corona“ alles verändern soll. Um diese Vorsätze nach der Rückkehr in den gewohnten Alltag auch wirklich umzusetzen, müssen wir unser Gehirn überlisten.

Von Isabella Neber
Veröffentlicht am 6. Aug. 2021, 10:59 MESZ
Mensch mit Mundschutz

Nach Corona soll alles anders werden. In vielen ist der Wunsch gewachsen, ihren Alltag neu zu strukturieren und alltägliche Dinge wie einen Restaurantbesuch oder eine Umarmung mehr zu schätzen.

Foto von Bihlmayer Fotografie – stock.adobe.com

Lockdown, Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperre: Durch die Corona-Pandemie wurde der Alltag der meisten Menschen abrupt völlig auf den Kopf gestellt. Plötzlich hatte man mehr Zeit, denn viele Termine und Verabredungen fielen weg und die verbrachte Freizeit spielte sich vor allem zu Hause ab – Treffen mit Freunden und Familie fanden in erster Linie virtuell statt.

In so einer Zeit der Beschränkungen reifen Vorsätze für die Zeit „danach“ heran. Wir wollen wieder mehr Sport mit Freunden machen statt zu Hause auf der Couch zu liegen, Ausstellungen und Konzerte besuchen, Eltern und Großeltern besuchen statt sie nur anzurufen, und Restaurantbesuche mehr wertschätzen. Sind solche Vorsätze zum Scheitern verurteilt, sobald der gewohnte Alltag zurückkehrt und man wieder in alte Muster verfällt?

Krisen und Wendepunkte – Hauptzeit für neue Vorsätze

Gute Vorsätze entstehen meist in Zeiten von Neustarts, wie die klassischen Neujahrsvorsätze, aber auch Umbrüche und Veränderungen im Leben sind eine Zeit für Vorsätze. Denn in diesen Lebenslagen muss sich irgendetwas ändern – durch unsere Planung hoffen wir auf eine Besserung der aktuellen Situation. Maren Urner, Neurowissenschaftlerin, Professorin für Medienpsychologie an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln und Autorin, erklärt gegenüber NATIONAL GEOGRAPHIC: „Krisen sind Parademomente, um Gewohnheiten zu hinterfragen und ganz bewusst Vorsätze zu machen.“ Alle größeren Veränderungen im Alltag erleichtern auch das Ändern von Gewohnheiten, sei es ein Umzug in eine neue Stadt, eine Krankheit, eine Umweltkatastrophe – oder eben eine globale Pandemie. Denn in diesen Phasen sind wir besonders offen für Veränderungen und haben die Chance, ganz neu auf die gewohnten Dinge zu blicken.

Vom Trampelpfad im Gehirn zur neuronalen Autobahn

Um Gewohnheiten zu ändern und Vorsätze auch wirklich in die Tat umzusetzen, müssen wir einen Lernprozess im Gehirn anstoßen und durch bewusste Wiederholungen aus unserem eigenen Automatismus ausbrechen. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Bis zu 95 Prozent unserer Alltagshandlungen sind Gewohnheiten – und das ist auch gut so“, erklärt Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Diese automatisierten Handlungen, die in unserem Alltag ablaufen, sind aus neurowissenschaftlicher Sicht ein sinnvoller Mechanismus, um Energie zu sparen. Doch ein Leben, das nur auf Gewohnheiten beruht, bringt uns nicht voran. So steckt in jedem Menschen auch die positive Neugierde auf etwas Neues, auf Veränderung.

Um unliebsame Gewohnheiten zu ändern und Vorsätze umzusetzen, müssen wir aktiv werden. Am besten lernt unser Gehirn durch Wiederholung, denn je öfter wir etwas wiederholen, desto leichter fällt es uns auch. Neurowissenschaftlerin Maren Urner zieht einen einfachen Vergleich: „Ein neues Verhaltensmuster ist wie ein Trampelpfad, den man erst kürzlich angelegt hat. Alte Gewohnheiten dagegen sind im Gehirn eher eine neuronale Autobahn aus fest verankerten Strukturen und somit viel einfacher zu passieren.“

So sind Vorsätze, die wir während der Pandemie gefasst und vielleicht sogar schon begonnen haben umzusetzen, durch die wenigen Wochen der Wiederholung noch nicht so stark abgespeichert wie unser gewohnter Alltag vor Corona. Die gute Nachricht: Mit kleinen Tricks können wir uns selbst überlisten, damit es uns gelingt, an unseren Corona-Vorsätzen festzuhalten.

Vorsätze umsetzen als Termin im Kalender

Homeoffice statt Großraumbüro, Abendessen vor dem Fernseher statt Restaurantbesuch mit Freunden: Die ungewohnte Isolation hat in vielen den Wunsch geweckt, soziale Kontakte wieder mehr zu schätzen. Wir wollen Treffen und Zusammenkünfte bewusster genießen und Besuche, die wir schon viel zu lange aufgeschoben haben, endlich in die Tat umsetzen. Doch wie gelingt das?

Neurowissenschaftlerin Maren Urner hat einen Tipp: „Blocken Sie bewusst Zeiten in Ihrem Kalender für Treffen mit Freunden und Familie.“ Am besten trägt man sich diese sozialen Termine genau wie einen Zahnarzttermin in den Kalender ein. So teilt man sich die Zeit ganz bewusst für ein Treffen ein und muss es nicht irgendwann zwischen anderen Terminen und Aufgaben einschieben. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der erfolgreichen Umsetzung von Vorsätzen ist das Aufbauen von Regelmäßigkeiten: „Vereinbaren Sie bei einem Treffen mit Freunden am besten gleich einen festen Termin für das nächste Treffen. So fällt dafür schon einmal die Planungsphase weg“, rät Urner.

Das dritte wichtige Standbein bei der Umsetzung neuer Vorsätze ist die Achtsamkeit. Wer sich regelmäßig bewusst macht, wie er seine Zeit verbringt, was ihm wirklich wichtig ist und wie er das eigentlich in seinem Alltag umsetzen kann, hat es leichter, neue Gewohnheiten zu etablieren.

Wie realistisch sind unsere Pläne?

Viele kennen es von den guten Vorsätzen zum neuen Jahr: Am ersten Januar ist man noch hoch motiviert, alles zu ändern, was man sich vorgenommen hat und zwei Wochen später kommt häufig schon die Resignation.

Ob ein Vorsatz auch wirklich in die Tat umgesetzt werden kann, hängt ganz wesentlich davon ab, wie realistisch der Plan eigentlich gewesen ist. Wer noch nie gelaufen ist, wird nicht nach kurzer Zeit einen Marathon bewältigen, und wer monatelang hauptsächlich von Fastfood und Lieferservice gelebt hat, wird nicht von heute auf morgen zum Spitzenkoch. „Veränderungen im Verhalten sind immer kleinteilig“, erklärt Neurowissenschaftlerin Maren Urner. „Wer wirklich etwas verändern will, muss einen guten und vor allem realistischen Plan haben.“ Wer seine Vorsätze dagegen zu ehrgeizig setzt, wird leicht enttäuscht, wenn es nicht sofort klappt. Besser ist es also, sich kleinteilige Zwischenziele zu setzen. Auch diese sollten bewusst als wichtige Zwischenerfolge wahrgenommen werden und nicht nur als unbedeutender Abschnitt auf dem Weg. „Auch wenn es vielleicht etwas abgedroschen klingt: Bei der Umsetzung von Vorsätzen sind der Weg und die Etappen dabei das Ziel. Diese Etappen, auch Meilensteine genannt, sind hirnpsychologisch sehr wertvoll. So erfahren wir, dass wir Selbstwirksamkeit und Kontrolle haben. Wir schaffen etwas und besiegen das Hilflosigkeitsgefühl, das bei zu ehrgeizigen Vorsätzen entsteht, die wir nicht erfüllen können“, so Urner.

Wer sich also vorgenommen hat, die Großeltern statt dem seltenen Treffen zu Weihnachten und Geburtstagen mindestens jedes zweite Wochenende zu besuchen, sollte seinen Vorsatz noch einmal überdenken und kleine Zwischenziele einbauen. Auch ein wöchentlicher Anruf und ein zusätzlicher, fest eingeplanter Besuch sind schon echte Meilensteine.

Die Expertin: Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln. Sie studierte Kognitions- und Neurowissenschaften, u. a. an der McGill University in Montreal, und wurde am University College London promoviert. Ihr beiden Bücher „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ und „Raus aus der ewigen Dauerkrise“ sind SPIEGEL-Bestseller.

Foto von Lea Franke

Vorsatz gebrochen? Kein Grund aufzugeben

Neue Vorsätze umzusetzen und aus dem gewohnten Alltag auszubrechen, ist erst einmal mit Anstrengung verbunden. Wie lange es dauert, bis die neuen Abläufe leichter und vielleicht sogar zu einer Gewohnheit werden, ist unterschiedlich. „Die Dauer kann je nach Komplexität und Schwierigkeit der neuen Gewohnheit laut Studien 18 bis 254 Tagen umfassen“, erklärt Neurowissenschaftlerin Maren Urner. „Wenn es also mal einen Tag oder eine Woche nicht klappt, ist das lange noch kein Grund, gleich den ganzen Vorsatz über Bord zu werfen. Wir sollten uns einfach den nächsten kleinen Schritt vornehmen und weiter machen.“

Eine wichtige Komponente, um Vorsätze in die Tat umzusetzen, ist die soziale Unterstützung. „Wenn ich ein Umfeld habe, das mein Vorhaben unterstützt, und das vielleicht sogar die gleiche Absicht verfolgt, gelingt es viel leichter, etwas gemeinsam umsetzen zu können“, so Urner.

Vielleicht gelingt es mit diesem Wissen, dass die Zeit der Pandemie auch positive Dinge in unserem Leben hervorbringt: Bewusstsein für Dinge, die uns glücklich machen, und die in unserem Alltag zuvor nur viel zu wenig Platz hatten. Wertschätzung für alltägliche Dinge wie Restaurantbesuche, Umarmungen und gemeinsame Zeit. Mit diesem Bewusstsein, einem guten Plan und Zwischenzielen können wir es schaffen, dass unsere Vorsätze „nach Corona“ nicht nur Vorsätze bleiben.

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