Schlafparalyse: Wenn der Geist aufwacht, aber der Körper nicht

Kein Muskel bewegt sich, doch der Kopf ist bei klarem Verstand: Wer an einer Schlafparalyse leidet, kann es mit der Angst zu tun bekommen. Warum dieses Phänomen aber nicht annähernd so gefährlich ist, wie es sich anfühlt, erklären zwei Schlafmediziner.

Von Viktoria Schütze
Veröffentlicht am 13. Jan. 2022, 09:43 MEZ
Schlafparalyse

Schlafparalysen sind für Betroffene ein grauenvolles Erlebnis.

Foto von Stock.adobe.com, somkanokwan

„Panik. Einfach Panik. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Warum kann ich mich nicht bewegen? Träume ich noch?“, erzählt Robert Gisshammer. Noch fast 20 Jahre später erinnert er sich noch ganz genau an dieses „wahnsinnig gruselige Gefühl“, wie er es selbst beschreibt. Denn der heute 54-Jährige hat schon über zehnmal in seinem Leben das erlebt, was sich viele kaum vorstellen können: eine Schlafparalyse. Der Geist scheint wach zu sein, doch der Körper ist es nicht. Die Gedanken sind klar, doch kein Muskel lässt sich bewegen.

Zum ersten Mal traf es den Österreicher aus Salzburg nach einem Nickerchen am See. „Ich war in der Sonne eingeschlafen und war mit einem Freund dort. Ich wachte auf und war orientiert, konnte mich aber nicht bewegen“, sagt er. Verzweifelt habe er versucht, einen Ton herauszubringen. „Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich es immerhin geschafft habe zu grunzen.“

Experten sind sich darüber uneins, wie lange eine Schlafparalyse wirklich anhält. Während manche Forscher von nur wenigen Sekunden ausgehen, halten es andere für möglich, dass solche Lähmungen nach dem Schlaf auch einige Minuten andauern können. Betroffenen kommt es aber häufig wie eine halbe Ewigkeit vor. „Es war gefühlt eine sehr lange Zeit“, sagt Robert Gisshammer.

Wie häufig eine Schlafparalyse auftritt, weiß Dr. Anna Heidbreder. Sie ist Oberärztin der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck und begegnet der Schlafparalyse häufig in ihrem Berufsalltag. „Etwa 40 Prozent aller Menschen erleben dieses Phänomen mindestens einmal in ihrem Leben“, erklärt sie. Der Prozentsatz derjenigen, die Schlafparalysen gehäuft erleben, ist allerdings wesentlich geringer. Die Expertin geht von maximal sechs Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Und bei manchen davon ist die Schlafparalyse nur ein Symptom einer ganz anderen Erkrankung.

Schlafparalyse: Was läuft im Kopf schief?

Bei einer Schlafparalyse gibt es ein Problem beim Übergang vom Schlafen zum Wachwerden. Normalerweise durchlaufen wir pro Nacht vier bis fünf Schlafzyklen. Jeder von ihnen beginnt mit drei Non-REM-Phasen und schließt mit dem REM-Schlaf ab. REM steht für Rapid Eye Movement (schnelle Augenbewegung).

„Im Idealfall wachen wir morgens erholt aus dem Stadium N2 auf“, erklärt Dr. Anna Heidbreder. Erlebt man allerdings eine Schlafparalyse, ist man aus dem REM-Schlaf erwacht. Das verrät Prof. Dr. Michael Schredl. Er ist am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim tätig, das gleichzeitig eine psychiatrische Klinik ist. Schredl beschäftigt sich hauptsächlich mit Traumforschung.

Der Experte erklärt, dass jeder im REM-Schlaf eine Muskelblockade, also eine Schlaflähmung, hat: „Der Motorcortex im Gehirn ist für die Steuerung der Muskeln zuständig. Impulse, die dort entstehen, werden im REM-Schlaf nicht oder unvollständig zu den Muskeln weitergeleitet.“ Diese Unterdrückung ist dafür verantwortlich, dass wir Bewegungen, die wir in unseren Träumen machen, in der Realität nicht ausführen.

Erwacht man aus dem REM-Schlaf, kann es passieren, dass dieser Mechanismus langsamer als die restlichen Prozesse umschaltet. Die Folge ist in diesem seltenen Fall eine Lähmung nach dem Aufwachen: Die Muskeln lassen sich nicht bewegen, während der Geist schon wach und klar ist. Genau so ist es auch Robert Gisshammer bei seinen zahlreichen Schlafparalysen ergangen: „Ich war orientiert, konnte Stimmen hören. Geistig war ich wach, ich wusste genau, wo ich bin. Aber ich konnte mich halt nicht bewegen.“

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    Wer an einer Schlafparalyse leidet, erwacht aus dem REM-Schlaf.

    Foto von Stock.adobe.com, Thomas Francois

    Gruselige Gestalten und bedrohliche Gefühle

    Allein das Gefühl, plötzlich gelähmt zu sein, ist ein schlimmes Erlebnis. Doch manche Betroffene sehen in diesem Zustand zusätzlich dunkle Silhouetten im Raum oder haben das Gefühl, bedroht oder angegriffen zu werden. „Ich hatte oft dabei das Gefühl, dass da jemand auf mir sitzt und mich niederdrückt und hatte die Präsenz von Gestalten gespürt, die um mein Bett herumstanden.“ Doch auch diese Aspekte der Schlafparalyse lassen sich einfach erklären.

    Als Oberärztin der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck begegnet Dr. Anna Heidbreder der Schlafparalyse häufig.

    Foto von Heidbreder A.

    Dr. Anna Heidbreder kennt die Ursache dafür, dass viele Betroffene während der Schlafparalyse schlecht Luft kriegen. „Im REM-Schlaf funktioniert die Atem-Hilfsmuskulatur, die wir im wachen Zustand unbewusst zum Atmen einsetzen, nicht richtig“, erklärt sie. Das Atmen fällt deswegen schwerer.

    Die dunklen Gestalten, die manche während einer Schlafparalyse sehen wollen, bezeichnen beide Schlafexperten als Traumgestalten, die Betroffene aus dem REM-Schlaf mitnehmen. Denn in diesem Schlafstadium befindet sich das Gehirn noch teilweise während der Schlafparalyse. „Außerdem glaube ich, dass die Angst in einem solchen Moment vorherrscht. Die Bilder, die man aus dem Traum mitnimmt, entsprechen natürlich dann diesem negativen Gefühl“, erklärt Prof. Dr. Schredl.

    Außerdem sind sich beide Experten darüber einig, dass eine Schlafparalyse absolut ungefährlich ist. So bedrohlich sie auch erlebt wird: Sie hält nie lange an und hinterlässt keinerlei körperliche Schäden.

    Wen kann es treffen?

    Generell kann jeder Mensch jeden Geschlechts und jeden Alters eine Schlafparalyse erleben. Eine genetische Veranlagung gibt es nach dem aktuellen Forschungsstand nicht. Allerdings erhöhen einige Faktoren die Chance, eine Schlafparalyse zu triggern: ein Jetlag, wenig Schlaf, Drogenkonsum oder psychische Erkrankungen gehören dazu. „Eigentlich alles, was den Schlaf stören kann“, so Dr. Anna Heidbreder. Diese Aspekte könnten auch bei Robert Gisshammer für die häufigen Schlaflähmungen verantwortlich sein. Denn laut eigener Aussage sei er gerne und viel ausgegangen, habe viel gearbeitet und wenig geschlafen, als es immer wieder zu den Paralysen kam.

    Prof. Dr. Michael Schredl ist am Forschungsinstitut des Landes Baden-Württemberg tätig, das gleichzeitig eine psychiatrische Klinik ist. Er ist auf Traumforschung spezialisiert und führt Schlafforschungsprojekte und Auswertungen von Traumprotokollen durch.

    Foto von Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim

    Allerdings können häufig erlebte Schlafparalysen auf eine bestimmte Erkrankung hinweisen: die Narkolepsie. Narkoleptiker leiden unter Tagessschläfrigkeit mit Schlafattacken, wie es das Neurologienetz angibt. „Es ist extrem selten, dass die Schlafparalyse häufig auftritt und der Betroffene nicht an einer anderen Erkrankung leidet“, erklärt Prof. Dr. Schredl. In diesem Fall würde man von einer Isolierten Schlafparalyse sprechen, die in der Internationalen Klassifikation für Schlafstörungen den REM-Parasomnien (Auffälligkeiten im Schlaf) untergeordnet ist. Bei Robert Gisshammer, der sich von einem Neurologen in den 1990er-Jahren untersuchen ließ, konnte beispielsweise keine andere Erkrankung diagnostiziert werden.

    Eine bewährte Behandlungsmethode für die Isolierte Schlafparalyse gibt es bislang noch nicht. „Das Wichtigste ist für Patienten ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus“, so Schredl.

    Schlafparalysen sind nicht gefährlich

    Schlafparalysen sind für die meisten etwas Erschreckendes. „Auch wenn man das öfter schon erlebt hat, es fühlt sich nie besser an. Es beruhigt einen nie“, so Gisshammer. Umso erleichterter sei er darüber, schon seit vielen Jahren keine mehr erlebt zu haben. Doch so bedrohlich dieses Phänomen auch wirken mag, gefährlich ist es keineswegs.

    Die Schlafexperten raten allerdings: Sollten Schlafparalysen mehrmals auftreten und das den Betroffenen stark belasten, ist es empfehlenswert, Hilfe beim nächsten Schlaf-Zentrum zu suchen – zumal untersucht werden muss, ob nicht eine andere Krankheit, wie beispielsweise die Narkolepsie, dahintersteckt. Diese kann nämlich sehr gut behandelt werden. Doch insgesamt ist die Schlafparalyse nur ein harmloses Schlafphänomen, bei dem das Gehirn nicht einheitlich umschaltet, wie es das sonst tut. Grund zur Sorge gibt es für Betroffene also in der Regel nicht.

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