Impfungen, die sich wie ein Virus übertragen: Gefährlich oder die Zukunft?
In der aktuellen Coronapandemie wird es besonders deutlich: Genug Menschen zu impfen, um virale Infektionskrankheiten im Zaum zu halten, ist mühsam und kann lange dauern. In der Tierwelt ist das nicht anders. Dabei entstehen genau dort Zoonosen wie Tollwut, Pest oder Covid-19, die auch für den Menschen gefährlich werden können.
Eine naheliegende Idee, wie man dieses Problem bei der Wurzel packen kann, ist das Impfen von Tierpopulationen. Allerdings ist das Immunisieren einzelner, wild lebender Tiere umständlich und zeitaufwendig. Eine Lösung könnten Impfstoffe sein, die sich eigenständig wie ein Virus verbreiten und so nach und nach von einzelnen Individuen ausgehend eine gesamte Population immunisieren. In einem Paper, das am 6. Januar in der Zeitschrift Science erschien, mahnen Forschende, darunter Dr. Guy Reeves vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön und Margret Engelhard vom Bundesamt für Naturschutz, allerdings zur Vorsicht: Neben der voranschreitenden Forschung werde vergessen, über Regularien und mögliche Folgen des Einsatzes solcher Impfstoffe zu sprechen.
Die Technologie gibt es bereits
Herkömmliche Impfstoffe – wie auch die aktuellen Impfstoffe gegen das Coronavirus – funktionieren so, dass nur die geimpften Personen oder Tiere auch tatsächlich gegen das Virus immunisiert sind. Impfungen, die auf vermehrungsfähigen Viren basieren, können sich hingegen eigenständig unter Populationen ausbreiten.
Bereits in den Achtziger- und Neunzigerjahren gab es verschiedene Forschungsprojekte in Australien und Spanien, die sich mit dem Einsatz selbstausbreitender Impfstoffe in Tierpopulationen beschäftigt haben. Vor 22 Jahren wurde gar ein solcher Impfstoff erfolgreich auf einer isolierten spanischen Insel an wilden Hasen getestet. Eine Freigabe zur generellen Nutzung des Impfstoffs gab es damals allerdings nicht – der Konsens war, dass solche Impfungen zu schlecht kontrolliert werden könnten.
Seit einigen Jahren lebt diese Forschung wieder auf. Aktuell gibt es in Spanien ein weiteres Forschungsprojekt, in dem Wissenschaftler Schweine in isolierter Umgebung mit ausbreitungsfähigen Viren gegen die Afrikanische Schweinepest impfen.
Impfung mit herkömmlichen und mit ausbreitungsfähigen viralen Impfstoffen bei Fledermäusen.
Geht das alles zu schnell? Reeves verweist auf die Ergebnisse der Forschungen in den späten Neunzigerjahren, laut denen es „eine evidenzbasierte Norm gab, dass solche Impfstoffe zu unkalkulierbar sind“. Er und seine Kollegen wünschen sich nun, dass neben den jetzt wiederauflebenden Projekten die Aufarbeitung der damaligen Ergebnisse nicht zu kurz kommt. „Wir wollen wissen: Was hat sich seit den Erkenntnissen der Neunzigerjahre geändert und wieso werden diese Ergebnisse in den aktuellen Projekten nicht berücksichtigt?“
Selbstausbreitende Impfstoffe: das Regelwerk fehlt
Reeves betont, dass es bislang schwierig einzuschätzen sei, wie sich solche Impfstoffe in freier Wildbahn verhalten. „Es bedarf mehr Planung“, sagt er. „Diese Arten von Impfstoffen sind dafür gemacht, sich zu verteilen – sie erkennen keine Landesgrenzen an.“ Außerdem könne man nicht einschätzen, wie sich der Impfstoff über eine längere Zeit innerhalb einer Population entwickeln würde. Hier sei es wichtig, internationale Gespräche über Gesetze und Regeln zu führen, bevor ein selbstausbreitender Impfstoff genutzt würde.
„Insgesamt würden wir uns wünschen, dass die Forschenden genauer erklären, wie genau die Impfstoffe ihren vollen Nutzen entfalten können. Wie genau können wir diese Impfstoffe berechenbar machen?“, sagt Reeves.