Erste Frau von HIV geheilt: Durchbruch in der Medizin?

Eine neue Stammzellentherapie aus Nabelschnurblut beseitigte nicht nur den Krebs, sondern auch das HI-Virus einer leukämiekranken Patientin.

Eine Illustration eines HI-Virus. In einer neuen Therapie wurden Stammzellen aus Nabelschnurblut gegen Leukämie und HIV eingesetzt.

Foto von Ezume Images/AdobeStock
Von Deborah Roth
Veröffentlicht am 22. Feb. 2022, 09:37 MEZ

Es ist ein Meilenstein in der Medizin: Nach zwei männlichen Patienten, die in den letzten 24 Jahren von HIV geheilt wurden, gilt nun erstmals in der Geschichte der Krankheit eine infizierte Frau als virusfrei. Und es ist gleich eine doppelte Premiere: Ebenfalls zum ersten Mal erfolgte diese Heilung mit Hilfe von Stammzellen aus einer Nabelschnur.

Mitte Februar 2022 berichteten Koen de Biesen, Medizinprofessor, Dr. Jingmei Hsu, leitende Ärztin der Patientin und Dr. Marshall Glesby, Infektiologe am New Yorker Weill Cornell Medicine über ihre bahnbrechende Stammzellentherapie auf der 29. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI) in Denver.

Die Heilung der 60-jährigen Patienten aus New York erfolgte im Zuge einer Krebstherapie. Nach der erfolgreichen Transplantation von Stammzellen aus Nabelschnurblut in Kombination mit einer Knochenmarktransplantation war nicht nur der Blutkrebs gestoppt, sondern auch ihre HIV-Infektion nicht mehr nachweisbar. Die Patientin geht somit als erste Frau in die Geschichte ein, die von HIV geheilt wurde – sie ist seit 14 Monaten virusfrei.

Weniger Nebenwirkungen?

Die HIV-positive Frau litt an akuter myeloischer Leukämie, einer Krebsart, die blutbildende Zellen im Knochenmark befällt. Sie hatte das Nabelschnurblut sowohl zur Behandlung der Krebserkrankung als auch zur Behandlung ihrer HIV-Infektion erhalten, da ihre Ärzte einen Spender mit der HIV-blockierenden Genmutation gefunden hatten, berichten die New Yorker Stammzellenexperten in ihrer Meldung.

Nabelschnurblut enthält eine große Menge blutbildender Stammzellen. Durch ihre Fähigkeit der Blutbildung (Hämatopoesie) sind die Stammzellen in der Lage, das Immunsystem eines Patienten vollständig zu erneuern.

Die transplantierten Zellen stammten aus zwei Quellen: von einem Verwandten der Patientin und von einem Neugeborenen. Die Stammzellen von dem gesunden erwachsenen Verwandten stellten die Blutzellpopulation wieder her und verringerten dabei infektiöse Komplikationen. Das Nabelschnurblut wurde von den Eltern eines Neugeborenen gespendet – letzteres wird für Transplantationen bei Patienten verwendet, die beispielsweise keinen passenden erwachsenen Knochenmarkspender gefunden haben.

Prof. Dr. Brockmeyer, Direktor für Forschung und Lehre der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum hält die neue Methode für schonender: „Es gibt deutlich weniger Nebenwirkungen als bei einer alleinigen Knochenmarktransplantation.“

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Die Hoffnung auf langfristige Remission

Drei Monate nach der Transplantation zeigten Tests, dass die Blutzellpopulation der Patientin vollständig aus den HIV-resistenten Nabelschnurblutzellen stammte. Bei Untersuchungen nach der Transplantation konnte HIV mit verschiedenen empfindlichen Tests nicht mehr nachgewiesen werden.

Die Patientin nahm schließlich keine antiretroviralen Medikamente mehr ein, um ihre HIV-Infektion zu unterdrücken, und ist seit 14 Monaten frei von HIV-Medikamenten, ohne Anzeichen eines erneuten Auftretens von HIV. Das deutet auf eine Heilung hin – obwohl  Ärzte in diesem Stadium lieber von einer langfristigen Remission sprechen. Die Patientin ist auch seit mehr als vier Jahren leukämiefrei.

Die CCR5Δ32-Variante: Erster Fall bei gemischt-ethnischem Hintergrund

Unterdessen ist dieser Fall auch der erste, in dem eine Person, die sich als gemischt-ethnisch identifiziert, auf diese Art behandelt wurde. Da die CCR5Δ32-Variante (CCR5-Delta32-Gen-Mutation bei HIV-Infizierten) bei Menschen europäischer Abstammung viel häufiger vorkommt, ist es schwieriger, gut passende CCR5Δ32-Spender für herkömmliche Stammzellentransplantationen bei nicht-weißen Patienten zu finden. Die Verwendung von Nabelschnurblut entschärfe dieses Problem teilweise, berichten die Forscher des Weill Cornall Medicine.

Auf der CCR5Δ32 Mutation beruht auch die bisher erste bestätigte Heilung einer HIV-Infektion, die im Jahr 2008 erreicht wurde. Ein HIV-positiver Patient, auch bekannt als „Berliner Patient“, erhielt zur Behandlung seiner akuten Leukämie eine Stammzelltransplantation von einem Spender, der auf  die CCR5Δ32-Mutation passte – und lebte zwölf Jahre ohne HIV-Erkrankung weiter, erlag jedoch an den Folgen seiner Leukämie.

Das Verfahren gilt jedoch als zu riskant für HIV-positive Patienten, die ansonsten keine solche Transplantation benötigen: „Gut therapiert, mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie, können Menschen mit HIV eine ähnliche Lebenserwartung wie nicht HIV-Infizierte haben. Nach einer Stammzelltransplantation sterben mehr als 15% an den Komplikationen“, erklärt Brockmeyer. „Eine Stammzellentherapie ist zudem keine Garantie für eine HIV-Heilung.“

Die neue Therapieoption ist somit kein Allheilmittel für HIV-Erkrankte – aber möglicherweise ein erster Schritt in zukünftige, weniger riskante Heilmethoden.

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