Neue Forschungsergebnisse im Kampf gegen Herpes

Etwa 90 Prozent aller Menschen sind mit Herpesviren infiziert, bei vielen bricht das Virus immer wieder aus. Nun wurde erstmals geklärt, wie genau diese Reaktivierung abläuft – ein wichtiger Schritt auf der Suche nach einer wirksamen Behandlungsmethode.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 9. Mai 2022, 14:39 MESZ
In Grün: Die Fragmentierung von Mitochondrien. Die für den Zerfall verantwortlichen Drp-1-Proteine sind mit Antikörpern markiert ...

In Grün: Die Fragmentierung von Mitochondrien. Die für den Zerfall verantwortlichen Drp-1-Proteine sind mit Antikörpern markiert und in Magenta gefärbt.

Foto von Lehrstuhl für Virologie / Universität Würzburg

Eine stressige Woche, eine starke Erkältung oder ein langer Tag in der Sonne: Bei manchen Menschen reicht einer dieser Faktoren bereits aus, um das Herpes-Simplex-Virus 1 ausbrechen zu lassen. Juckende Lippenbläschen sind das Symptom dieser bekanntesten Herpesviren. Laut einer Studie, die Forschende der University of Bristol im Jahr 2015 in der Zeitschrift Plos One veröffentlichten, schlummert das Virus in zwei Dritteln der Weltbevölkerung unter 50 Jahren. Damit waren zum damaligen Zeitpunkt rund 3,7 Milliarden Menschen betroffen.

Doch HSV-1 ist nicht die einzige Variante des Virus. Insgesamt existieren acht verschiedene Herpesviren, die zum Teil schwere Krankheiten auslösen können – darunter zum Beispiel Multiple Sklerose. Eines haben sie alle gemeinsam: Nachdem eine Person sich erstmals mit ihnen infiziert hat, richten sich die Herpesviren dauerhaft im Körper ein. Sie befinden sich dann in einer Art Ruhephase, aus der sie jederzeit reaktiviert werden können. Das muss jedoch nicht zwangsläufig geschehen: Manche Menschen haben wiederholt erneute Ausbrüche, andere nie.

Ein Schalter weckt das Virus auf

Warum das so ist und vor allem wie die Reaktivierung der Viren im Körper funktioniert, war bislang unklar. Ein wissenschaftliches Team der Julius-Maximilians-Universität forscht unter der Leitung der Virologen Lars Dölken und Bhupesh Prusty seit Jahren zu verschiedenen Herpesviren. Nun wurden die Erkenntnisse dieser Arbeit in einer Studie veröffentlicht, die in der Zeitschrift Nature erschienen ist. Sie liefert erstaunliche Antworten auf die bisher offenen Fragen und könnte neue Ansätze für die Behandlung der Viren ermöglichen.

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„In den letzten zehn Jahren haben systembiologische Ansätze unser Wissen über die komplexen Wechselwirkungen des Virus mit seinem Wirt erheblich erweitert“, sagt Lars Dölken. Unklar seien bis jetzt aber immer noch die Mechanismen gewesen, mit denen das Herpesvirus zwischen Ruhe und Aktivität wechselte. Dies herauszufinden sei Mittelpunkt der Forschung des Teams gewesen. „Wenn wir dies verstehen, wissen wir, wie wir therapeutisch eingreifen können.“ 

An Herpesviren vom Typ HHV-6 – den Erregern des Drei-Tage-Fiebers, mit denen mehr als 90 Prozent aller Menschen still infiziert sind – konnten die Forschenden einen bislang unbekannten zellulären Mechanismus beobachten, der das Virus aus dem Schlaf holt. Dazu arbeitete das Team mit neuartigen systembiologischen sowie computergestützten Methoden. Ein neuartiger Ansatz zur Einzelzell-RNA-Sequenzierung lieferte zusätzliche Daten und Ergebnisse. 

Ahnungsloses Immunsystem

Herpesviren setzen im Körper Mikro-RNAs ein – kurze Ribonukleinsäuren, die die Genexpression regulieren –,  um ihre Wirtszellen zu ihrem Vorteil umzuprogrammieren. So kann sich das Virus schnell über die Zellen im Körper ausbreiten.

Der zentrale Schalter, der die Reaktivierung und auch die Vermehrung von HHV-6 in Gang setzt, ist eine virale Mikro-RNA mit dem Namen miR-aU14. Sie wird vom Virus selbst produziert. Sobald miR-aU14 aktiviert wird, greift sie in den Stoffwechsel menschlicher Mikro-RNAs ein – und das Herpesvirus kann erneut erwachen. 

Dabei blockiert miR-aU14 die Reifung menschlicher Mikro-RNAs aus der miR-30-Familie. Diese produzieren eigentlich Typ-I-Interferonen – Botenstoffe, die dem Immunsystem die Anwesenheit von Viren melden. Ist die menschliche Mikro-RNA außer Gefecht gesetzt, wird das Immunsystem über das Erwachen des Virus nicht informiert. Dadurch können Herpesviren ungestört in den Aktivitätszustand wechseln und sich verbreiten – ohne dass der Körper sich wehrt. Darüber hinaus sorgt miR-aU14 für eine Zerstückelung der Mitochondrien der Wirtszelle und zerstört so ihren Energiestoffwechsel. 

Es gibt bereits erste Hinweise darauf, dass die Reaktivierung anderer Herpesviren ebenfalls über den entdeckten Mechanismus ausgelöst wird.

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    Mithilfe weiterer Untersuchungen wollen die Forschenden aus Würzburg nun herausfinden, was genau der Auslöser für die Aktivierung von miR-aU14 ist und warum das Virus bei manchen Menschen reaktiviert wird und bei anderen nicht. „Die virale Mikro-RNA miR-aU14 ist für die Reaktivierung von HHV-6 quasi der zentrale Schalter. Wer oder was diesen drückt ist unklar”, sagt Lars Dölken. „Entscheidend ist aber, dass unsere Daten zeigen, dass sich HHV-6 ohne das Drücken genau dieses Schalters offensichtlich nicht mehr reaktivieren kann.“ 

    Das An- und Ausschalten von Mikro-RNA ist zum Beispiel mithilfe von Antagomiren möglich - kleiner, synthetischer RNA, die mit der miRNA einer spezifischen Zielzelle komplementär ist. Für die Behandlung von Herpesviren könnten sich dadurch zukünftig verschiedene Methoden ergeben: Zum einen ließe sich die Reaktivierung der Viren direkt verhindert, indem der Schalter gezielt blockiert wird. Ein anderer Ansatz wäre, die Reaktivierung gezielt auszulösen und im nächsten Schritt die reaktivierenden Zellen auszuschalten.

    Welche Herangehensweise sich schließlich als geeignet herausstellen wird, wird sich zeigen. Sicher ist jedoch: Millionen von Betroffenen sehnen diesen Tag schon jetzt herbei.

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